Süddeutsche Zeitung

Problematische Schulplanung:"Mir tut von Herzen leid, dass ich diese Schüler abweisen muss"

Lesezeit: 4 min

Bei der Vergabe von Plätzen im neuen Gymnasium in Feldmoching gehen ausgerechnet die Kinder aus dem Hasenbergl - einem der sozial am meisten benachteiligten Viertel der Stadt - leer aus.

Von Jerzy Sobotta, Hasenbergl

Wenn die Sommerferien vorbei sind und die frisch gebackenen Gymnasiasten ihre Containerburg an der Georg-Zech-Alle betreten, dann wird eine Gruppe fehlen: Schüler aus dem Hasenbergl. Denn bei der Vergabe von Plätzen im neuen Gymnasium in Feldmoching sind die Kinder aus dem Hasenbergl leer ausgegangen. Und wenn die Stadt sich nicht schnell etwas einfallen lässt, dann werden sie es auch künftig. Schon nach einem Jahr zeigt sich: Das neue Gymnasium ist viel zu klein. Die Leidtragenden sind ausgerechnet diejenigen Schüler, die ohnehin aus einem der sozial am meisten benachteiligten Viertel der Stadt kommen.

Angefangen habe das Problem bei einer Mutter, erzählt Daniel Peters. Er ist Vorsitzender des Elternbeirats in der Grundschule an der Ittlingerstraße, die fünf Gehminuten südlich der U-Bahn-Haltestelle Hasenbergl liegt. Die Mutter wollte ihren Sohn auf das Gymnasium schicken, das als neue Schule für den ganzen Münchner Norden angepriesen wurde. Doch sie wurde abgewiesen. Die Begründung: Das Gymnasium ist voll. "Gleich mehreren Eltern von unserer Schule ist das Gleiche passiert", sagt Peters. Er wurde misstrauisch, denn kein Kind von der Schule hat es, trotz guter Noten, auf das neue Gymnasium geschafft.

Sein Misstrauen war berechtigt, denn nun stellt sich heraus, dass es nicht nur die Kinder von der Grundschule an der Ittlingerstraße getroffen hat. Dass sich so gut wie alle künftigen Gymnasiasten aus dem Hasenbergl außerhalb ihres Stadtbezirks umschauen müssen, hat Gerlinde Dunzinger herausgefunden. Die SPD-Politikerin lebt selbst im Hasenbergl und ist Kinder- und Jugendbeauftragte im örtlichen Bezirksausschuss.

Nachdem ihr Peters von dem Problem erzählt hatte, hat sie den Telefonhörer in die Hand genommen und die anderen Grundschulen im Viertel abtelefoniert. Überall das gleiche Bild: sowohl an der Paulcke- wie an der Thelottstraße, wo sich die Sozialwohnungen aneinanderreihen und die Diakonie zu den größten Arbeitgebern gehört. Dunzinger zählt etwa 15 Hasenbergler Schüler, die nun irgendwo anders in München oder in den Nachbargemeinden einen Platz auf dem Gymnasium finden müssen. Und nichts weist darauf hin, dass sich das in den kommenden Jahren ändern wird.

"Mir tut von Herzen leid, dass ich diese Schüler abweisen muss", sagt Martin Netter, Rektor des neuen Gymnasiums. "Es waren einfach zu viele Anmeldungen." Rund 180 Kinder wollten in die Übergangscontainer an der Georg-Zech-Allee, Platz hatte er nur für 150. Und das auch nur, weil er bereits zum zweiten Mal fünf statt drei Parallelklassen angenommen hat. Die Stadt hat bislang nur drei Klassen - also etwa 90 Schüler in jedem Jahrgang - eingeplant. "Nächstes Jahr kann ich das nicht mehr machen, denn wir haben sonst bald keine Räume mehr", sagt der Rektor. Das Problem wird sich in den kommenden Jahren also noch verschärfen.

Erst im vergangenen Sommer wurde die neue Schule eröffnet, als erstes Gymnasium für den Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl. Dass es nur "Gymnasium München Feldmoching" heißt und das Hasenbergl im Namen fehlt, stellt sich nun als unbeabsichtigte Prophezeiung dar. Der Grund, warum die Hasenbergler nicht aufgenommen werden, ist simpel: "Distanzkriterium" nennt es Netter. Er wählt die Schüler pro Grundschule aus, damit sie sich besser in der neuen Schule einfinden. Und dabei kommen die Schulen zuerst zum Zug, die am nächsten dran sind. Das sind eben vor allem die Schüler aus den Eigenheimsiedlungen in Feldmoching und der Lerchenau. "Ich gehe nicht nach Stadtvierteln, sondern nach der Distanz. Ich kenne kein anderes neutrales Kriterium", sagt Netter. Er würde gern mehr Kinder aufnehmen, auch die aus dem Hasenbergl. Doch dafür fehlt ihm der Platz.

"Das kommt uns wie eine gefühlte Diskriminierung vor", sagt Elternbeirat Peters. Er selbst kommt aus dem Hasenbergl und weiß, dass das Stadtviertel weder gute Zahlen in der Sozialstatistik noch einen guten Ruf hat. Dass der Rektor keine bösen Absichten hat, kann man ihm glauben, schließlich betreibt er nur Mangelverwaltung. Doch im Hasenbergl wirkt die Benachteiligung strukturell. Sie braucht keinen bösen Willen. Es genügt das vermeintlich neutrale Kriterium der Distanz, der Ferne von allem, was Teilhabe verspricht: von der Innenstadt, vom Geld, von Bildung oder politischem Einfluss. Wer dem entkommen will, muss doppelt stark sein.

Nach Feldmoching hätten sie das Fahrrad nehmen können

Für die künftigen Gymnasiasten aus dem Hasenbergl heißt das: jeden Tag früher aufstehen und länger pendeln zu einer Schule, die sie noch aufnimmt. Das Gymnasium München-Nord an der Knorrstraße hat schon längst keinen Platz mehr für sie. Bleibt also noch Unterschleißheim. Fahrtzeit aus dem nördlichen Hasenbergl: 40 Minuten und drei Mal umsteigen. Nach Feldmoching hätten sie das Fahrrad nehmen können.

Dort ist die Containerburg des neuen Gymnasiums nur ein Übergangsquartier. Es wird eine feste Behausung bekommen, wenn auf dem Lerchenauer Feld Ende des Jahrzehnts ein neues Stadtviertel aus dem Acker gestampft wird. Dann soll die Schule sechs Parallelklassen bekommen. "Genau so viele bräuchte ich jetzt schon", sagt Rektor Netter. Doch wenn er sie bekommt, wird Feldmoching um mehrere zehntausend Bewohner gewachsen sein. Samt Kindern, von denen viele mal ins Gymnasium kommen.

Lokalpolitiker warnen deshalb schon lange, dass das neue Gymnasium zu klein ist. Sie fordern nun ein weiteres Gymnasium. Doch das städtische Bildungsreferat sieht das auf Anfrage anders: "Nach derzeitigem Stand der Bedarfsermittlung und -planung ist kein weiterer Neubau eines Gymnasiums" im Stadtbezirk vorgesehen. Man verweist auf Planungen in der Bayernkaserne oder in der Nähe des Kieferngartens in Freimann. Doch wieso sollte Freimann die Schüler aus dem Hasenbergl aufnehmen, wenn schon Feldmoching zu weit weg ist? Gut möglich, dass es für sie auch in zehn Jahren noch heißt: "Distanzkriterium, nichts gegen euch."

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SZ vom 03.07.2021
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