München feiert:Fröhliches Miteinander, ernste Worte

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Beim Fest der Kulturen des Migrationsbeirats auf dem Odeonsplatz geht es ebenso wie beim Bürgerfest der Israelitischen Kultusgemeinde auf dem St.-Jakobs-Platz darum, wie Münchner zusammenleben. Und auch an anderen Orten in der Stadt wird zur Jahreshalbzeit gefeiert

Von Wolfgang Görl

Es ist Samstag, Punkt 14 Uhr, und in diesem Augenblick ruft der Kabarettist Jürgen Kirner (Couplet AG), der bei der 1. Münchner Rathausdult als Auktionator fungiert, ein besonderes Schmankerl zur Versteigerung auf. Wer jetzt das Meiste bietet, darf gemeinsam mit Oberbürgermeister Dieter Reiter und seiner Frau Petra eine Aufführung von Christoph Marthalers Schauspiel "Tiefer Schweb" in den Kammerspielen besuchen. 50 Euro sind das Mindestgebot, doch erst einmal halten sich die Dultgäste im Prunkhof des Rathauses zurück. Was für eine Blamage, würde niemand mit dem Bürgermeisterehepaar ins Theater gehen wollen. Die Erleichterung ist groß, als Dietmar Holzapfel, der Wirt der "Deutschen Eiche", die Hand hebt und 75 Euro bietet. Damit ist das Eis gebrochen. Bald ist man bei 100 Euro, was Petra Reiter aber noch zu wenig ist, denn der Erlös der Versteigerung kommt der Schwabinger Kinderklinik, dem UN-Kinderhilfswerk Unicef und dem Projekt "Bunte Münchner Kindl" zugute. Folglich erhöht Schirmherrin Reiter den Kaufanreiz: "Wir werfen auch noch einen Blick hinter die Kulissen der Kammerspiele." Das wirkt. Ein heftiger Bieterwettstreit entsteht, schnell sind 175 Euro erreicht. Doch Auktionator Kirner ist noch nicht zufrieden. Er legt eine Handtasche als Bonus hinzu. Holzapfel bietet 200 Euro, "aber ohne Handtasche", doch am Ende hat er das Nachsehen. Chrissie Elsing erhöht auf 220 Euro, und damit hat sie den Zuschlag: Die Aquarellmalerin aus München begleitet die Reiters in die Kammerspiele.

Beim "Fest der Kulturen" auf dem Odeonsplatz fegte die bosnische Tanzgruppe "Ljlian" über die Bühne. (Foto: Catherina Hess)

Während die Rathausdult, bei der alles unter den Hammer kommt, was die Münchner als missliebiges Geschenk abgegeben haben, unter Kirners Ägide weitergeht, hallen exotische Klänge über den Odeonsplatz. Dort feiert der Migrationsbeirat das "Fest der Kulturen", dessen einer Schwerpunkt zweifelsohne das Kulinarische ist. So haben die Gäste die Gelegenheit, sich etwa ein Menü aus griechischen Souflaki, bulgarischen Fleischpflanzln und marokkanischen Fladen zusammenzustellen. Auf der Bühne tanzen Folkloregruppen aus aller Herren Länder, darunter die acht in grün-roten Kleidern gehüllten Mädchen der armenischen Landsmannschaft Annusch. Seit 1962 gibt es die Organisation in München, sagt Ani Cakir, die Vorsitzende der Landsmannschaft. Man trifft sich regelmäßig, feiert Gottesdienst, veranstaltet Sprachkurse und pflegt die Tradition. Etwa 300 armenische Familien leben Cakir zufolge in München. Sie kommen aus den USA ebenso wie aus dem Irak, Iran oder Russland. Doch woher ein Mensch stammt, ist am Samstag auf dem Odeonsplatz gar nicht mehr so wichtig. Als wenig später die türkischen Tänzerinnen aus Trabzon ihren Auftritt von der Bühne auf den Platz verlegen, tanzen alle mit, die nicht gerade mit dem Essen beschäftigt sind. Nicht jeder beherrscht die Schritte, aber das ist in diesem Moment egal.

Chrissie Elsing (mit Handtasche) hat einen Theaterbesuch mit Dieter Reiter und Ehefrau Petra (links) ersteigert. (Foto: Catherina Hess)

Großer Auftrieb auch bei der Rewe Family Tour auf der Theresienwiese. Naturgemäß stehen auch dort Speis' und Trank im Vordergrund. Zum Beispiel können sich die Besucher zum Sonderpreis mit Paketen diverser Senf-, Brot- oder Milchspezialitäten eindecken. Auf der Bühne der "Genuss-Arena" kochen die, wie es heißt, "Promi-Köche" Ali Güngörmüs und Stefan Marquard um die Wette, und es ist in der Tat erstaunlich, wie es den beiden gelingt, aus ein paar Zutaten schmackhafte Gerichte zu zaubern und dabei unentwegt Witze zu reißen, mal gute, mal bescheidene. Erstaunlich aber auch, dass gleich zwei Hüpfburgen um die Gunst der vielen Kinder konkurrieren. Die eine ist von Coca Cola und gemahnt an eine mittelalterliche Anlage, wohingehen die Hüpfburg von Müller-Milch eher orientalischen Vorbildern folgt. Ach, die Welt der Hüpfburgen - man weiß viel zu wenig über sie.

Am Sankt-Jakobs-Platz stehen die Leute für den Synagogenbesuch Schlange. (Foto: Catherina Hess)

Sonntagmorgen auf dem Königsplatz: Es nieselt leicht, aber den Kanupolospielern im 90-Quadratmeter-Pool kann's egal sein: Sie sind schon nass. Doch, es gibt die Sportart Kanupolo, bei der zwei Teams im, nun ja, Paddelboot um den Ball kämpfen, der möglichst im Tor des Gegners untergebracht werden soll. Überhaupt sind viele ungewöhnliche Spiele und Leibesübungen beim 8. Münchner Sportfestival zu bewundern, insbesondere die Kampfkunst erlebt offenbar eine Blütezeit. Man hätte einen harten Tag, würde man alles ausprobieren: mittelalterlichen Schwertkampf, Taekwondo, Shinkendo, Ju-Jutsu, Judo, Medieval Combat und so weiter. So ein biederer Sport wie Tischtennis fällt in diesem Festival der Trendsportarten direkt auf.

Zur selben Stunde eröffnet Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, das Bürgerfest auf dem Sankt-Jakobs-Platz. Die Feier steht im Zeichen eines Jubiläums: "Zehn Jahre ist es her, dass ein Traum Realität wurde: Die Rückkehr der jüdischen Gemeinde ins Herz der Stadt." Seither ist der Platz für Charlotte Knobloch ein "magischer Ort". Und sie fügt hinzu: "Hier sind wir, und wir bleiben hier." Oberbürgermeister Dieter Reiter feiert in seinem Grußwort das Miteinander jüdischer und nichtjüdischer Bürger in der Münchner Stadtgesellschaft. Dabei erinnert er daran, dass dies nicht selbstverständlich ist. Sorgen bereitet Reiter die Renaissance von Rechtspopulismus und Antisemitismus - und er fordert: "Dies muss ein Ende haben."

© SZ vom 03.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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