Zeremonie:Warum Fasching auf einmal wie Widerstand ist

Zeremonie: Im Prunkhof des Rathauses geben Elisabeth II. und Leonard I. ihr erstes Tänzchen.

Im Prunkhof des Rathauses geben Elisabeth II. und Leonard I. ihr erstes Tänzchen.

(Foto: Leonhard Simon)

Die Narrhalla inthronisiert ihre Prinzenpaare - und mit einem Mal wirkt der Fasching nicht mehr wie ein albernes und längliches Oktoberfest. Sondern wie das Aufbegehren gegen ein Virus, das den Kindern so viel Freude gestohlen hat.

Von Bernd Kastner

Es ist noch nicht elf Uhr elf, der Moderator redet sich erst mal warm. "Meine Herrschaften, bitte ein bisschen Abstand", ruft er ins Mikro, und dann: "Wir haben schöne Stehtische." Die stehen in coronakonformer Distanz zueinander und vielleicht heißen sie auch deshalb Stehtische, weil das Wasser auf ihnen steht, auf einem klebt sogar noch Eis aus der Nacht. Es ist kalt, aber egal. "Jetzt geht's los! Wir geben alles!"

So also beginnt der Fasching 2022. Mit der Inthronisation der beiden Prinzenpaare der Narrhalla, nicht wie üblich auf dem Marienplatz für alle, sondern im Prunkhof des Rathauses für eine kleine Schar angemeldeter Gäste. Da steht eine Bühne, die Treppe nach oben ist rot, links und rechts am Geländer sind Luftballons drapiert, bunt, aber bescheiden. Nur das teure, schwere Auto daneben, mit Narrenkappe oben drauf, erinnert an früher; damit wird das Prinzenpaar durch die Stadt kutschiert. Corona verhindert Livemusik einer Liveband, die Musik ist Konserve, mal Discoklänge, mal Faschingssound. Traurig wirkt das Ganze, wie verkatert nach zwei Jahren Pandemie. Aber dann tut sich was und plötzlich berührt der Start in den Frohsinn selbst einen Faschingsmuffel.

Mit einem Mal wirkt der Fasching wie Widerstand gegen das Coronavirus

Auftritt Prinzenpaar eins. Das jüngere der beiden jungen Paare hält Einzug mit Fahne. Leopold Hagl alias Leopold I. und Amelie Ger alias Amelie I., 14 und 13 Jahre alt. "Schaut euch mal diese tapfere Prinzessin an", ruft der Moderator, "das nenn' ich einen Einsatz." Wohl wahr, Amelie trägt ein Kleid, wie man es im Ballsaal anhat, mit wenig Stoff an den Schultern. Der Gang in den Prunkhof muss sich anfühlen wie Eisbaden, ohne Wasser, dafür mit Wind. "Sind sie nicht toll?", fragt Günther Grauer, Narrhalla-Präsident. Fanfare fürs Kinderprinzenpaar, Übergabe des Zepters, Aufsetzen des Krönchens. Die beiden Teenager geloben, fortan dem Frohsinn zu dienen. Dann folgen die Regenten dem Dirigat der Fotografinnen und Fotografen und Kameraleute. Man könnte an einen Staatsakt denken, so viele sind da.

Zeremonie: Das Jugendprinzenpaar - Amelie I. und Leopold I. - gelobt, fortan dem Frohsinn zu dienen.

Das Jugendprinzenpaar - Amelie I. und Leopold I. - gelobt, fortan dem Frohsinn zu dienen.

(Foto: Leonhard Simon)

Jetzt fangen sie mit ihren Objektiven eine Gruppe Kinder ein, kurze Hosen, aber immerhin hautfarbene Strumpfhosen darunter. Sie tanzen auf der Bühne einen Teil ihrer einstudierten Choreografie und sie werden immer mehr. Sie lächeln nicht bloß, man sieht, wie sie sich freuen, als sie hüpfen und klatschen, endlich präsentieren, wofür sie lange geübt haben. Mit einem Mal wirkt der Fasching nicht mehr wie ein albernes und längliches Oktoberfest, sondern wie Widerstand. Widerstand gegen ein Virus, das den Kindern so viel Freude gestohlen hat. Jetzt sind die Minuten mit der kräftigen Musik wie eine Zeitreise in eine unbeschwerte Zukunft, von der man noch nicht weiß, wann sie beginnt. Die Narrhalla tut mit gewissenhaften Corona-Regeln das Ihre, um die Inthronisation nicht zu einem Fest fürs Virus zu machen. "It's a beautiful life", singt es aus den Boxen.

"Jetzt ist die Spannung so richtig am Knistern", spricht der Präsident ins Mikro. Fanfare, Einzug des Prinzenpaares. Elisabeth Schnellenberger alias Elisabeth II. und Leonard Bogner alias Leonard I. Selbes Prozedere wie gerade eben, Zepter, Krönchen und Umhängen eines Mäntelchens mit hermelinartigem Aufsatz und das Versprechen: "Ich gelobe, Brauchtum und Tradition des Münchner Faschings zu pflegen."

Zeremonie: Die Kinder freuen sich, dass sie endlich präsentieren dürfen, wofür sie lange geübt haben.

Die Kinder freuen sich, dass sie endlich präsentieren dürfen, wofür sie lange geübt haben.

(Foto: Leonhard Simon)

Später, am Telefon, sagt Elisabeth Schnellenberger, dass sie natürlich "sehr traurig" sei, dass kein normaler Fasching möglich sei, dass die großen Bälle ausfallen. Aber dass sie auch sehr froh sei, dass überhaupt was möglich sei. Sie wollen, wie sonst auch, soziale Einrichtungen besuchen, Kindergärten, Seniorenheime, wollen tanzend den Menschen "ein Lächeln ins Gesicht zaubern", immer mit Vorsicht und Distanz. "Wir machen das Beste draus", sagt Prinz Leonard, 25. Nicht rein ins Altenheim, sondern draußen tanzen, im Hof und die Senioren schauen vom Fenster aus zu. Auch online soll es abgehen, mit Videos, auf Instagram und Youtube, erklärt die Prinzessin. Da soll, weil der Pumuckl-Kinderball ausfällt, der Kobold zu Elisabeth und Leonard kommen, was man dann im Netz anschauen kann. Wenn man Elisabeth Schnellenberger, 22, zuhört, dann spürt man, dass sie ihre Aufgabe so ernst nimmt wie im anderen Leben vermutlich ihr Studium. Jura, siebtes Semester, Schwerpunkt Medizinrecht.

Im Prunkhof folgt die Übergabe des goldenen Rathaus-Schlüssels an die beiden neuen Regenten. Der Oberbürgermeister hat einen Vertreter geschickt, der bei der CSU Asyl gefunden hat, Alexander Reissl. Eingeweihte wissen, dass er eine Art Faschingsveteran ist, er war mal Prinz Alexander II. in Moosach, lange her, da gehörte er noch der SPD an. Jetzt trägt er einen Trachtenhut und spricht dann zu den lieben Freundinnen und lieben Freunden des Münchner Faschings und ehe man anfangen könnte, seinen verbalen Frohsinn mit Debattenbeiträgen im Stadtrat zu vergleichen, sagt er: "So, jetzt kommt der Schlüssel." Prinz und Prinzessin danken und schon kündigt Reissl noch "ein ernstes Wort" an. Oh weh. Es werden dann sogar zwei: "Impfen lassen!" Ach so.

Gerade war man gedanklich in die Vergangenheit gereist, als eine Narrhalla-Inthronisation einer von Hunderten Terminen im Jahreskalender dieser Stadt war. Und jetzt, da das Prinzenpaar den Prinzenwalzer tanzt, einige Männer in engen Trikots die Beine schwingen, andere Faschingsvereine ihre Präsente überreichen und man unter Narrenkappen und Masken glückliche Gesichter vermutet, ist es ein ganz besonderer Trotzdemtag.

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