Süddeutsche Zeitung

Medizin:Wenn Kinderärzte keine Mitarbeiter mehr finden

Niedergelassene Ärzte in München klagen über den Mangel an Fachkräften. Kinderärzte trifft der Wettbewerb besonders hart. Praxen kürzen Sprechzeiten. Die Folgen müssen die Patienten tragen.

Von Inga Rahmsdorf

Philipp Schoof hat die Sprechzeiten seiner Praxis reduziert. Dabei müsste der Münchner Kinder- und Jugendarzt sie eigentlich ausweiten. Sein Wartezimmer ist voll, die Termine sind Monate im Voraus ausgebucht, er kann längst nicht mehr alle neuen Patienten aufnehmen. In anderen Kinderarztpraxen sieht die Situation ähnlich aus. Doch Schoof findet kein Personal mehr. "Wir stoßen an unsere Kapazitätsgrenzen", sagt er. Schon seit Langem sucht er nach qualifizierten Medizinischen Fachangestellten (MFA) - ohne Erfolg. "Arztpraxen in München funktionieren immer schlechter", sagt Schoof.

Der Markt für Medizinische Fachangestellte sei leergefegt und die Konkurrenz groß. "Wir haben ein riesiges Problem. Und es geht allen Kollegen so", berichtet Schoof, der auch als Obmann des Berufsverbands für Kinder- und Jugendärzte spricht. Es gebe Praxen, in denen Ärzte schon die Aufgaben von Fachangestellten übernommen hätten, weil Mitarbeiter fehlen. "Das dauert dann natürlich alles ewig." Und bedeutet für die Familien noch längere Wartezeiten.

Das Problem betrifft nicht nur die Kinderärzte. Ausgebuchte Terminkalender erleben Patienten in München auch bei Haus- und anderen Fachärzten. Gleichzeitig sind die Notaufnahmen in den Kliniken überlaufen und Mitarbeiter dort kritisieren, dass immer mehr Patienten wegen Bagatellen kommen. Müssen Patienten bei niedergelassenen Ärzten nun noch länger auf ihre Termine warten, weil dort Personalmangel herrscht, wächst der Druck weiter auf die Klinken. Zudem konkurrieren die Arztpraxen auch noch mit den Krankenhäusern um das Fachpersonal.

"Bei uns gibt es auch einen massiven Mangel, aber im Gegensatz zur Pflege tauchen wir in den Medien gar nicht auf", sagt Claudia Gentz, die seit 30 Jahren als MFA in München arbeitet und im Vorstand vom Landesverband Süd des Verbandes medizinischer Fachberufe ist. Dabei mangle es gar nicht an Nachwuchs, doch viele junge Menschen würden nach der Ausbildung in andere Bereiche abwandern oder sich weiter qualifizieren. Das liege vor allem an der schlechten Bezahlung, gerade für Berufsanfänger.

Im dritten Lehrjahr erhalten MFA laut Tarifvertrag 960 Euro brutto im Monat. Das Einstiegsgehalt ohne spezialisierte Fähigkeiten beträgt in der Tarifgruppe 1 knapp 2000 Euro brutto. "Davon kann man in München keine Wohnung bezahlen und leben", sagt Gentz. Auch in Kliniken sind die MFA sehr gefragt. "Wir sind universell einsetzbar, vom Funktionsbereich wie Blutentnahmen und medizinischen Untersuchungen bis zur Verwaltung", so Gentz. "Es ist ein vielseitiger und wunderschöner Beruf, aber auch mit wahnsinnig stressigen Belastungen." Sie hat schon zahlreiche Fortbildungen abgeschlossen. Das werde heute mehr wertgeschätzt. "Früher ging es nur um möglichst jung und möglichst billig. Heute habe ich schon die Erfahrung gemacht, dass ich die Bezahlung bekomme, die ich möchte."

Der Fachkräftemangel erhöht den Druck auf die Ärzte, ihren Mitarbeitern gute Konditionen anzubieten. Das ist einerseits längst überfällig in einem Beruf, der lange als schlecht bezahlt galt und wenig Aufstiegschancen bot. Die Situation führt jedoch auch dazu, dass viele Ärzte im Konkurrenzkampf kaum noch mithalten können. "Wir können ja nicht einfach die Preise erhöhen, die Kassenärztliche Medizin ist gedeckelt. Der Kostendruck ist immens", sagt die Kinderärztin Nina Sellerer. Sie hat über ein Jahr lang nach einer MFA für ihre Praxis gesucht. Nun endlich hat sie eine gefunden. Würde jedoch eine von Sellerers Mitarbeiterinnen schwanger, erhielte sie sofort Berufsverbot. Und die Suche würde von vorne beginnen.

Bis zu einem gewissen Niveau würde er sowieso übertariflich zahlen, sagt auch Kinderarzt Schoof. "Aber gegen das, was Unternehmen oder teilweise auch Kliniken zahlen, können wir nicht ankommen." Er hatte Mitarbeiter, die nach der Ausbildung lieber in Bürojobs oder Promotionsfirmen wechselten. "Das betrifft uns Kinderärzte extrem." Zum einen kann der Alltag anstrengend sein mit schreienden Babys oder fiebernden Kindern, die noch kurz vor Feierabend kommen. Zum anderen können Kinderärzte zusätzlich zum Tariflohn weniger zahlen, als das in vielen anderen medizinischen Bereichen möglich ist. Sie können kaum Zusatzleistungen berechnen, die Arbeit ist zeitintensiv, wird aber nicht dementsprechend vergütet.

Ein Arzt hat eine gelernte Masseurin angestellt, die sich nun um die Anmeldung kümmert

Auch der Münchner Zahnarzt Wolfgang Wagner sucht seit zwei Jahren nach Mitarbeitern. Er könnte zwei weitere Vollzeitkräfte einstellen. Seine Zahnmedizinische Fachkraft erhalte derzeit für 25 Wochenstunden 3500 Euro brutto im Monat, plus einen Tankgutschein, ein 13. Monatsgehalt und zehn Wochen Urlaub im Jahr. Kollegen von ihm würden vierstellige Prämien für die Vermittlung von Mitarbeitern zahlen, berichtet Wagner. Im vergangenen Jahr habe er insgesamt drei Bewerbungen erhalten, zwei Bewerber seien auch zum Gespräch gekommen. Wagner hätte beide genommen, doch sie entschieden sich anders. Nun ist seine Praxis donnerstagnachmittags telefonisch nicht mehr erreichbar. Obwohl er dann arbeitet. Aber die einzige Mitarbeiterin an dem Tag muss ihm bei den Behandlungen assistieren. Manche Ärzte behelfen sich auch schon mit fachfremden Mitarbeitern, wie der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Christoph Wimmer. Nachdem er Patienten abweisen musste, weil er keine weitere MFA mehr fand, hat er eine gelernte Masseurin für die Anmeldung eingearbeitet.

Wird es schwieriger in Praxen, zeitnahe Termine zu erhalten, verschärft sich auch die Situation in den Bereitschaftspraxen. Im Elisenhof sind abends sowie an Samstagen, Sonn- und Feiertagen Ärzte im Notdienst eingeteilt. "Die Versorgung ist nicht gefährdet", sagt Guido Zdrenka von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), die zuständig für den Bereitschaftsdienst ist. "Aber wir haben die ganze Zeit offene Stellen für Medizinische Fachangestellte ausgeschrieben." Vor 15 Jahren habe es zehn Bewerber auf eine Ausschreibung gegeben, so Zdrenka. Heute könne man von Glück sprechen, wenn sich überhaupt jemand bewirbt.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019
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