Süddeutsche Zeitung

Ausstellung im Isartor:Die Schönheit der Schlote

Nicht nur bekannte Prachtbauten, auch bemerkenswerte Fabriken und andere Gewerbeanlagen haben das Erscheinungsbild Münchens geprägt. Eine Ausstellung zeigt sehenswerte Beispiele der Industriearchitektur - von denen viele leider verschwunden sind.

Von Alfred Dürr

Prunkvolle Residenzstadt und beeindruckende Industriemetropole: Es sind in erster Linie die Monumentalbauten wie die Residenz, das Maximilianeum, die Frauenkirche oder die Bauwerke an den Prachtmeilen Maximilianstraße und Ludwigstraße, die das besondere Erscheinungsbild und den architektonischen Charakter Münchens geprägt haben. Dass die Stadt allerdings auch eine Geschichte als bedeutender Standort von Fabriken und anderen bemerkenswerten Gewerbeanlagen hat, rückt nicht so oft ins Bewusstsein.

Entsprechende Objekte, die teilweise wichtige Meilensteine in der Stadtgeschichte darstellen, drohen sogar ganz von der Bildfläche zu verschwinden und in Vergessenheit zu geraten, klagt der Verleger Franz Schiermeier. Nicht jede historische Betriebshalle steht unter Denkmalschutz. Flächen werden umgenutzt, ehemalige Industrieareale wandeln sich zu neuen Wohn- und Bürovierteln. Zu sehen war und ist diese Entwicklung etwa entlang der Bahngleise zwischen Hauptbahnhof und Pasing. Einschneidende Veränderungen zeigen sich auch im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof und auf dem Schlacht- und Viehhofgelände, oder sie kommen noch wie auf dem Großmarktareal in Sendling.

Schon seit Jahren stellt der Arbeitskreis Industriekultur im Münchner Archiv der Arbeiterbewegung diesen speziellen Aspekt der Stadtgeschichte der Öffentlichkeit vor - mit Ausstellungen, Fotokalendern und dem reich bebilderten Sammelband "Industriekultur in München. Zwischen Abriss und Bewahren" (Franz Schiermeier Verlag).

Nun sind am Isartor in Kooperation mit dem Valentin-Karlstadt-Musäum bis zum 6. Juni 2023 insgesamt 36 Tafeln ausgestellt. Der Innenhof des Isartors ist frei zugänglich und rund um die Uhr geöffnet. Es geht dem Verein nicht nur darum, architektonische Besonderheiten der einzelnen Objekte zu erklären. "Wir wollen auch zeigen, wo und unter welchen Bedingungen früher gearbeitet wurde und welche Rollen die Fabriken für die Menschen in den Stadtvierteln spielten", sagt Simone Burger vom Verein.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei es vor allem darum gegangen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ein deutliches Symbol für das gewachsene Selbstbewusstsein der Gewerkschaften war das 1912 fertiggestellte Gewerkschaftshaus an der Pestalozzistraße. In dem repräsentativen Bauwerk gab es politische Versammlungen, Bildungsveranstaltungen, Konzerte und Feste. Später ergriffen die Nationalsozialisten gewaltsam Besitz von dem Gebäude.

Viele Gewerkschafter wurden während der Nazi-Herrschaft verfolgt, verhaftet und ermordet. 1944 lag die "rote Burg der Arbeiter" nach einem Bombenangriff in Schutt und Asche. Die nach dem Krieg neu gegründeten Gewerkschaften zogen nach mehreren Zwischenstationen schließlich Ende der Fünfzigerjahre in ihre neue Zentrale an der Schwanthalerstraße. Und die Geschichte geht weiter: Nach mehr als 60 Jahren wird der Bau abgerissen und durch ein modernes Gewerkschaftshaus ersetzt.

Viele bedeutende Zeugnisse der Münchner Industriegeschichte sind bereits verschwunden. Da ist zum Beispiel der 1854 fertiggestellte Glaspalast auf dem Areal des Alten Botanischen Gartens in der Nähe des Lenbachplatzes. Im Glaspalast wurden Ausstellungen gezeigt, etwa auch darüber, welchen Beitrag Wissenschaft, Forschung und Technik zur Weiterentwicklung des Agrarlandes Bayern leisteten. 1931 wurde das außergewöhnliche Bauwerk durch einen Brand vollständig zerstört.

Berühmt war auch das vom Unternehmer Joseph Anton von Maffei gegründete Lokomotivenwerk in der Hirschau im nördlichen Englischen Garten. In der Anlage wurden unter anderem auch Dampfschiffe gebaut. Mehr als 2000 Personen waren zeitweise hier beschäftigt. Erhalten sind noch die ehemaligen Werkswohnungen an der Gyßlingstraße. Von 1935 an bis in die Fünfzigerjahre wurden die Fabrikgebäude abgebrochen.

Noch stehen aber einige sehenswerte Objekte aus Münchens Industriegeschichte. Zum Beispiel die 1892 errichtete Hackerbrücke kurz vor dem Hauptbahnhof mit ihren charakteristischen Bögen. Weniger bekannt hingegen ist der Schmederersteg in Giesing über die Bahnstrecke nach Rosenheim. Diese Fußgängerbrücke aus dem Jahr 1871 gehört zu den wenigen erhaltenen Eisenkonstruktionen der frühen Bahnstrecken. Der Steg gewährleistet den durchgehenden Isar-Hochuferweg vom Kronepark nach Giesing.

Erhalten geblieben ist auch das Wohnheim aus dem Jahr 1927 für ledige Männer mit geringem Einkommen an der Bergmannstraße im Westend. Der Architekt Theodor Fischer schuf hier ein Beispiel von Neuem Bauen in München. Viele solcher Häuser gibt es nicht mehr in der Stadt.

Dass man die Vergangenheit in eine positive Zukunft überführen kann - dafür nennen die Initiatoren der Ausstellung einige Beispiele: die historischen Messehallen auf der Theresienhöhe, wo das Verkehrszentrum des Deutschen Museums untergebracht ist, das Kulturzentrum Muffatwerk beim Müller'schen Volksbad oder auch die Diamaltfabrik in Allach mit neuem Wohnungsbau und einem Kulturzentrum.

Ein architektonisches Kleinod ist das frühere Paketzustellamt von Robert Vorhoelzer und Walter Schmidt aus den Zwanzigerjahren an der Arnulfstraße. Der markante Rundbau veränderte sich von 2010 an zum "Postpalast" und wurde eine Eventlocation. Dann gab es Pläne für ein Hotel. Schließlich erwarb der Internetkonzern Google das Areal und erweitert hier seinen Münchner Standort. Weniger klar ist, was aus dem früheren Eisenwerk ("Zeppelinhalle") in der Nähe des Ratzingerplatzes werden könnte. Nach Straßenbahnhof und Katastrophenschutzzentrum träumt man nun von neuen urbanen Nutzungen.

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