Extinction Rebellion:Wenn Aktivisten Sitzblockaden üben

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Blockade ja, aber friedlich: Aktivisten von Extinction Rebellion üben per Rollenspiel, wie es ist, von der Polizei weggetragen zu werden. (Foto: Florian Peljak)

Die Münchner Demonstranten von Extinction Rebellion bereiten sich bei einem Training auf Aktionen des zivilen Ungehorsams vor. Dabei entwickeln sie auch Verständnis für die Polizei.

Von Wolfgang Görl

Etwa 15 Menschen sitzen auf dem Boden, meist junge Leute, aber auch einige ältere, die vielleicht schon gegen den Nato-Doppelbeschluss in den Achtzigerjahren auf die Straße gingen, und allmählich wird ihr anfangs zaghafter Gesang immer lauter: "Auf die Barrikaden, wehrt euch, leistet Widerstand. . ." Sie haben einen Kreis gebildet, die Knie sind angewinkelt, die Arme untergehakt. Hinter ihrem Rücken haben Polizisten Stellung bezogen, die einen klaren Auftrag haben: die Sitzblockade auflösen.

Es beginnt ein Gerangel. Die Polizisten zerren an den Demonstranten, sie müssen beträchtliche Kraft aufwenden, um die Verklammerungen zu lösen. Ist einer der Sitzenden aus dem Verbund herausgezogen, lässt er sich widerstandslos wegtragen. Der Gesang aber verstummt nicht. Es dauert etwa fünf Minuten, bis die Blockade aufgelöst ist. Danach: Erst einmal fröhliches Gelächter.

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Es ist Samstagnachmittag, und hier in der Mucca-Halle im Kreativquartier an der Schwere-Reiter-Straße wird der Ernstfall geprobt. Die Münchner Aktivisten von Extinction Rebellion (XR) haben zu einem Training eingeladen, um Interessenten auf Aktionen des zivilen Ungehorsams vorzubereiten. Extinction Rebellion ist eine international agierende, zivilgesellschaftliche Bewegung, die ihre Wurzeln in England hat. Ihr Ziel ist es, "den nötigen umfassenden und tief greifenden Wandel zu erreichen, um das Risiko der Auslöschung der Menschheit und des Kollapses unserer Ökosysteme zu minimieren".

Dabei setzen die Aktivisten auf gewaltfreie Aktionen, etwa Blockaden von Straßen und Brücken oder auf " Die-ins", bei denen sich Demonstranten scheinbar tot auf den Boden legen, um einen Missstand anzuprangern. Bei allen Aktionen ist Gewaltfreiheit oberstes Prinzip. Am 7. Oktober will Extinction Rebellion in Berlin und weltweit in anderen großen Städten wichtige Straßen und Plätze blockieren, um die Regierungen zu zwingen, wirksam gegen die Klimakatastrophe und das Artensterben vorzugehen. Das Aktionstraining in der Mucca dient der Vorbereitung auf die Berliner "Rebellion" und soll, wie die Münchner XR-Sprecherin Sofia Ritthammer sagt, "sicherstellen, dass jeder weiß, worauf er oder sie sich einlässt, und dass sich jeder wohl fühlt".

Um dies zu erfahren, ist auch Barbara Scharl gekommen, die in Landshut lebt und als Landschaftsarchitektin arbeitet: "Als mir klar wurde, dass die Menschheit nur noch wenig Zeit hat, die Klimakatastrophe und das Aussterben der Arten zu verhindern, habe ich mich entschieden, mich dem Thema zu widmen und etwas zu bewegen." Barbara Scharl ist schon auf vielen Demonstrationen gewesen, aber sie hat das Gefühl, dass die Proteste bei der Politik nicht wirklich Gehör finden.

Ihre 19-jährige Tochter Clara, die ebenfalls beim Aktionstraining dabei ist, sieht das ähnlich: Zwar habe es einige Fortschritte in puncto Klima- und Umweltpolitik gegeben, aber "es passiert viel zu langsam". Den beiden Frauen leuchtet die XR-Strategie ein: extreme Aufmerksamkeit erzeugen, aber ohne Gewalt. Clara Scharl würde es durchaus in Kauf nehmen, von der Polizei festgenommen zu werden: "Wenn ich etwas Verbotenes gemacht habe, dann stelle ich mich auch den Konsequenzen."

XR-Aktivistin Sofia Ritthamer zeigt, wie man Passanten die Blockade einer Straße nachvollziehbar erklärt. (Foto: Florian Peljak)

Das Training dauert rund sieben Stunden, dabei geht es unter anderem um Fragen zur Gewaltfreiheit und des zivilen Ungehorsams, um rechtliche Probleme und um Tipps, was beispielsweise zu tun ist, wenn man in Polizeigewahrsam genommen wird, und es gibt praktische Übungen, etwa das Rollenspiel, bei dem eine Sitzblockade simuliert wird. Nach dem ersten Durchgang ziehen die Akteure Bilanz, die durchaus unterschiedlich ausfällt.

Wer einen Polizisten mimte, hat naturgemäß ganz andere Erfahrungen gemacht als ein Demonstrant oder ein Passant. Die Polizisten, sagt eine Frau, die in der Reihe der Blockierer gesessen hatte, "sind die Bösen, es entsteht so eine Gegnerschaft". Eine andere Teilnehmerin hegte keinen Groll gegenüber den "Polizisten", für sie waren das nur Leute, die ihren Job tun. Eine Polizistendarstellerin fand den Gesang "extrem nervig", den die Demonstranten wiederum als Mittel erfahren haben, die Angst zu mindern.

David Böttcher, Trainer im Bereich Persönlichkeitsentwicklung aus München, hat eigentlich keine Lust, sich politisch zu engagieren. Andererseits: Der Klimawandel, die vielfältigen globalen Bedrohungen - vielleicht sei es doch nötig, etwas zu tun. Böttcher möchte sich erst einmal informieren, deshalb ist er gekommen. Aktionen, wie sie Extinction Rebellion unternimmt, seien dann okay, wenn der Zweck die Mittel heilige. "Aber der Zweck muss stark sein. Und ich bin noch nicht so weit, dass ich dies einschätzen kann." Bioinformatik-Student Yannick Kiefl hingegen, der auch bei Fridays for Future aktiv ist, hat seinen Weg bereits gefunden: "Wir müssen die Politik unter Druck setzen. Und der Druck muss noch viel größer werden."

"Das Allerwichtigste ist, dass es nach außen gewaltfrei wirkt"

Mittlerweile ist die Analyse des ersten Rollenspiels abgeschlossen. Weitgehend einig ist man über den Befund, dass die Szene einen ziemlich gewalttätigen Eindruck gemacht hat. Der Grund ist auch klar: Wenn sich die Demonstranten mit untergehakten Armen verklammern, ist Gewalt nötig, die Verklammerung zu lösen. Tatsächlich aber sollen XR-Aktionen friedlich verlaufen, davon, so das Credo, hängt ihr Erfolg ab.

"Bei uns kommt es auf die Perspektive der Passanten an", sagt Daniel Heimerl, der das Rollenspiel leitet. "Das Allerwichtigste ist, dass es nach außen gewaltfrei wirkt." Was dahinter steckt, kann man einem XR-Flugblatt entnehmen: Wer den zivilen Ungehorsam strikt gewaltfrei betreibe, habe größere Chancen, andere Menschen dazu zu bringen, sich der Bewegung anzuschließen. Und weiter: "Was die Öffentlichkeit als gewaltvoll wahrnimmt, ist Gewalt. Die eigene Interpretation ist nicht alleine entscheidend."

Heimerl ruft zu einem zweiten Rollenspiel auf. Diesmal sitzen die Demonstranten unverklammert auf dem Boden, die Arme unter den angewinkelten Knien verschränkt. "Päckchen" nennt Heimerl diese Haltung. Immerhin, die Päckchen können auch singen, doch diesmal verklingt das Lied in sehr kurzer Zeit. Die "Polizisten" haben wenig Mühe, die Päckchen eines nach dem anderen davonzutragen. Wäre dies ein Ernstfall, müsste man feststellen, dass die Blockade nicht lange Bestand hatte. Doch geht es auch nicht darum, irgendeine Stellung zu halten, etwa ein Gleis zu besetzen, um einen Castor-Transport stoppen. Was hier geprobt wird, sind symbolische Blockaden, die die Öffentlichkeit aufrütteln sollen.

Eine Teilnehmerin, die in die Rolle einer Polizistin geschlüpft ist, sagt hinterher: "Ich hatte das Gefühl, als ob ich Möbelstücke wegtragen würde." Tatsächlich sah die Szene nicht ansatzweise nach wildem Straßenkampf aus. So soll es nach der Vorstellung der XR-Aktivisten auch sein. "Wir raten vom Unterhaken ab", sagt Heimerl. Zudem könnten die Rangeleien leicht außer Kontrolle geraten und eskalieren - genau das, was man vermeiden möchte. Und zudem ist hier weitgehend Konsens, was eine der Aktivistinnen unter Beifall formuliert: "Ich gehe nicht in Aktionen gegen die Polizei. Ich hab' durchaus Wertschätzung und Anerkennung für den Job, den sie macht. Mit dieser inneren Haltung geh' ich rein."

© SZ vom 19.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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