München:Ex-KZ-Häftling wegen Nazi-Protest verurteilt

Die umstrittenen Urteile gegen Martin Löwenberg, 79, und Christiaan Boissevain, 52, sind rechtskräftig: Die beiden Friedensaktivisten hatten im November 2002 zu einer Demonstration gegen einen Neonazi-Aufmarsch aufgerufen. Das Gericht sieht darin eine "Öffentliche Aufforderung zur Straftat".

Von Alexander Krug

Tausende Münchner hatten am 30. November 2002 versucht, einen Aufzug der Neonazis gegen die Wehrmachtsausstellung im Zentrum zu blockieren. Der Aufmarsch war von dem Neonazi Martin Wiese angemeldet worden, der inzwischen als mutmaßlicher Rädelsführer des geplanten Sprengstoffanschlags auf das jüdische Zentrum am St. Jakobs Platz in Untersuchungshaft sitzt.

"Sich in den Weg stellen ist eine gute Sache", hatte OB Christian Ude damals öffentlich erklärt. Der 79-jährige Martin Löwenstein, dessen Verwandte zum Großteil in einem Vernichtungslager ermordet wurden und der selbst 1944 in einem KZ in Lothringen war, rief am Odeonsplatz den Demonstranten zu: "Es ist legitim, ja legal, sich den Totengräbern der Demokratie entgegenzustellen." Boissevain verteilte Stadtpläne als Handzettel und einer Telefonnummer, unter der die "tatsächlichen Nazi-Routen" bekannt gegeben würden.

Löwenstein und Boissevain wurden vom Staatsschutz observiert und wegen "öffentlicher Aufforderung zu Straftaten" angeklagt. Peinlich dabei: In einem Bericht der Staatsschützer wurde Löwenstein als "KFZ-Häftling" bezeichnet, Hitlers Propagandaminister hieß darin "Göppel".

Im September vergangenen Jahres kam es am Amtsgericht zum ersten Prozess, der mit einem Schuldspruch endete. Boissevain wurde zu 30 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt, Löwenstein zu 15 Tagessätzen von je 20 Euro.

Die Urteile lösten einen Proteststurm aus, die Gewerkschaft Verdi nannte sie "skandalös". Die beiden Angeklagten legten Berufung am Landgericht ein, ebenso die Staatsanwaltschaft, die eine noch höhere Strafe forderte.

Im April dieses Jahres wurde Boissevain erneut verurteilt, die Strafe wurde lediglich auf 20 Tagessätze reduziert. Das Gericht würdigte zwar, dass er aus "lauteren Motiven" gehandelt habe. Gleichzeitig sprach es sich jedoch für den "Vorrang" des Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus. Der Neonazi-Aufmarsch sei damals "ordnungsgemäß angemeldet" worden und daher gelte auch für ihn das Grundrecht der freien Meinungsäußerung.

Boissevain legte Revision gegen die Entscheidung ein, die nun das Bayerische Oberste Landesgericht verworfen hat. "Die Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten" ergeben, heißt es darin lapidar. Eine Begründung fehlt.

Aufgrund dieses Beschlusses entschied das Landgericht nun auch, die Berufung von Martin Löwenberg nicht anzunehmen. Bei einer Strafe von nicht mehr als 15 Tagessätzen ist dies zulässig (§ 313 der Strafprozessordnung). Einer Begründung bedarf es dazu nicht.

Der 79-jährige Löwenberg zeigte sich am Freitag empört über die Entscheidung. "Ich finde es beschämend und unerträglich, dass die faschistische Propaganda von der Justiz geschützt wird." Er werde das Urteil keinesfalls akzeptieren. Löwenbergs Anwältin Angelika Lex kündigte an, Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einzulegen.

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