Süddeutsche Zeitung

Sport:Ist München wieder reif für Olympia?

Die Euphorie rund um die European Championships beflügelt die Fantasie so mancher Politiker. Doch es gibt auch kritische Stimmen. Soll sich die Stadt wieder bewerben?

Von Anna Hoben und René Hofmann

Ein paar Tage ist es her, da hat Verena Dietl die Siegerinnen im Mehrkampf der Turnerinnen bei den European Championships geehrt, und sie schwärmt noch jetzt davon: "Wenn man diese Emotionen mitnimmt, das ist schon was Besonderes." Sie habe sich das so nicht vorstellen können, sagt Dietl (SPD), die im Münchner Rathaus als Dritte Bürgermeisterin unter anderem für den Sport zuständig ist. Noch vor wenigen Wochen habe eher das Gefühl vorgeherrscht, viele Münchnerinnen und Münchner wüssten gar nichts von dem großen Sportfest. Dann ging es los, bei der Eröffnungsveranstaltung musste der Olympiapark wegen Überfüllung schließen, und zack, da war es: das Hochgefühl, das es mit sich bringen kann, an einem solchen Event teilzunehmen, es mitzuerleben. "Wahnsinn, was in der Stadt los ist", sagt Dietl.

Sommer, Sport und gute Stimmung. Ein Vorgeschmack auf Olympische Spiele, die nach 1972 vielleicht, irgendwann, wieder in München stattfinden könnten? Wenn es nach Verena Dietl geht: warum nicht? Für sie als "Münchner Kindl", wie sie sagt, sei es gerade so: Was man von 1972 immer erzählt bekommen habe, diesen Geist könne man gerade in der Stadt spüren. Ein guter Anlass, findet sie, sich darüber Gedanken zu machen, "dass München den Mut besitzen könnte, den nächsten Schritt zu gehen". Sich also erneut um die Ausrichtung der Olympischen Spiele zu bewerben. Sie habe in den vergangenen Tagen mit vielen Menschen aus anderen Städten und Ländern gesprochen. Die berichteten, dass bei ihnen zu Hause die Olympiaparks leer stünden.

Wie es anders geht, ist gerade in München zu beobachten, wo die Sportstätten von 1972 jetzt wieder genutzt werden. Eine solche Nachhaltigkeit erwarte die Gesellschaft heute auch von den Olympischen Spielen, sagt Dietl - und bei aller Sympathie für die Idee, diese wieder in die Stadt zu holen: Man müsste sich vorher mit den Vorstellungen und Vorgaben des Organisators der Spiele, des umstrittenen International Olympic Committee (IOC), "stark auseinandersetzen". Wichtig sei auch die Frage, ob die Münchner Bevölkerung sich das überhaupt vorstellen könne.

Vorstellen könnte es sich Grünen-Stadtrat Beppo Brem. Er ist sportpolitischer Koordinator seiner Fraktion und hat drei Jahre lang bei der Olympiapark GmbH die European Championships mitorganisiert, zuständig für 300 Mitarbeiter, Finanzen, Administratives und Nachhaltigkeit. Außerdem ist er der Vorsitzende des Kreises München im Bayerischen Landes-Sportverband. Kein Wunder also, dass auch bei Brem viel Euphorie mitschwingt, wenn er beschreibt, wie bei den Championships der Funke übergesprungen sei und was die Spiele für die Stadt bedeuteten. "Ich bin immer dafür, dass in München was stattfindet und insbesondere eine gute Sportveranstaltung", sagt er. Mit dem Olympiapark habe die Stadt ein Alleinstellungsmerkmal, insofern sei er schon "angetan" von der Idee und "nicht per se gegen jede Form von Olympia-Bewerbung". Die European Championships zeigten, dass man das Konzept nachhaltig gestalten könne, wenn auch wohl nie komplett.

Für die Gegner ist das Internationale Olympische Komitee ein rotes Tuch

Der bayerische Innen- und Sportminister Joachim Herrmann (CSU) hatte die Diskussion, die bereits in der Luft lag, in dieser Woche offiziell eröffnet und sich für eine deutsche Olympia-Bewerbung ausgesprochen. "Ich hoffe, dass diese European Championships ein Zeichen dafür sind, dass wir in Deutschland wieder Olympische Spiele austragen werden", sagte er der Rheinischen Post: "Deutschland muss sich - egal an welchem Standort - zu einer Bewerbung aufraffen."

Herrmanns Parteifreund im Münchner Rathaus, CSU-Fraktionsvorsitzender Manuel Pretzl, wirbt ebenfalls dafür, die durch die European Championships entstandene Dynamik zu nutzen. "Ich kann mir Olympia in München auf jeden Fall vorstellen", sagt er und schiebt ein "aber" nach: Nur wenn es andere Spiele würden als in den vergangenen Jahren. Nachhaltige, "ohne pompöse Neubauten und Riesenkommerz". Schließlich könne man in München die alten Sportstätten recyceln. Wenn das IOC mit diesem Gedanken mitginge, würde das auch die Akzeptanz bei den Münchnern erhöhen, glaubt Pretzl. Er glaubt auch, dass das mit dem Internationalen Olympischen Komitee möglich sei, "weil die auch sehen, dass das alte Konzept nicht mehr trägt".

Gegen eine erneute Bewerbung sprechen sich ÖDP und Linke aus. "Wir sind da kritisch", sagt ÖDP-Fraktionschef Tobias Ruff, "das IOC ist für uns ein rotes Tuch." Vielleicht könnte man die Spiele in München sogar einigermaßen nachhaltig gestalten, glaubt er - aber die "Gigantomanie" von Olympia passe hier einfach nicht her. "Auf keinen Fall", sagt auch Linken-Fraktionschef Stefan Jagel. Für ihn sei das IOC viel zu sehr mit Kommerz verbunden. Anders bei den European Championships - da sei der Eintritt immerhin bei manchen Veranstaltungen frei.

Zu Wort gemeldet hat sich auch die Sprecherin des Bündnisses NOlympia, Katharina Schulze. Die Chefin der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag sieht die aktuelle Euphorie um die European Championships nicht als Legitimation für Olympische Spiele in Deutschland. "Sport ist großartig, deswegen kann ich es verstehen, dass manch einer erneut von einer Olympiabewerbung träumt", sagte Schulze. Aber: "Die Rahmenbedingungen haben sich seit den letzten Bewerbungen nicht verändert." Das IOC sei immer noch das gleiche, inklusive "Knebelverträgen", die die finanziellen Risiken auf die Austragungsorte abwälzten. Falls es zu einer erneuten Bewerbung für Olympische Spiele kommen sollte, brauche es wieder einen Bürger- oder Volksentscheid.

Im Jahr 2013 hatten sich bei mehreren Bürgerentscheiden die Gegner von Olympischen Winterspielen in Oberbayern klar durchgesetzt. In München, Garmisch-Partenkirchen und den Landkreisen Berchtesgaden Land und Traunstein stimmten sie jeweils gegen eine Bewerbung für die Winterspiele 2022.

So läuft der Auswahlprozess für die Spiele

Als die Diskussion um Olympische Spiele in München zuletzt geführt wurde, war klar, wie der Auswahlprozess beim Internationalen Olympischen Komitee lief. Für die Winterspiele 2018 und 2022 galt: Mit neun Jahren Vorlauf mussten Städte ihr Interesse beim IOC anzeigen, acht Jahre vor dem Austragungsdatum kürte dies Kandidatenstädte, sieben Jahre vorher entschied die Vollversammlung der IOC-Mitglieder über den Austragungsort. Dieses Prozedere wurde inzwischen verändert. Nun entscheidet ein kleines Expertengremium unter dem IOC-Präsidenten (bis 2025 ist das der Deutsche Thomas Bach), das sich in einem kontinuierlichen Austausch mit interessierten Städten befindet, wann ein Konzept aus seiner Sicht reif für die Umsetzung ist. Dies führte dazu, dass die Olympischen Spiele 2024 nach Paris und 2028 nach Los Angeles im Doppelpack vergeben wurden und heute schon klar ist, dass die Sommerspiele 2032 in Brisbane stattfinden, aber noch unklar ist, wo die Winterspiele 2030 stattfinden (2026 werden sie in Cortina d'Ampezzo ausgetragen). Für deutsche Ambitionen heißt das: Vor 2036 geht im Sommer nichts. Das aber wäre ein historisch heikles Datum, weil sich die Nazi-Spiele in Berlin dann zum hundertsten Mal jähren. Für Winterspiele stehen die Chancen generell besser, weil es für diese weniger Bewerbungen gibt. Ein großer Nachteil sind Volksabstimmungen, wie es sie in Deutschland zuletzt 2015 in Hamburg gab, als 51,6 Prozent "nein" sagten zu einer Bewerbung um die Sommerspiele 2024.

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