Oberbürgermeister Dieter Reiter:Bundesregierung soll von München lernen

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„Man kann nicht zum ganz normalen Tagesgeschäft zurückkehren“: Dieter Reiter beim Empfang zum Stadtgründungsfest im Prunkhof des Rathauses. (Foto: Robert Haas)

Der Empfang zum Stadtgründungsfest wird vom Rechtsrutsch bei der Europawahl überschattet. Das Stadtoberhaupt richtet deshalb einen eindringlichen Appell an seine Politikerkollegen.

Von Joachim Mölter

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat die Bundesregierung als Konsequenz aus dem Ergebnis der Europawahlen vom Sonntag aufgefordert, „von den Städten zu lernen, von München zu lernen“. Während die von Verfassungsschützern in Teilen als rechtsextrem eingestufte AfD auf Bundesebene die zweitmeisten Stimmen bekommen habe, sei sie in der bayerischen Landeshauptstadt im Zaum gehalten und auf Platz fünf verwiesen worden. „Dafür bin ich meinen Münchnerinnen und Münchnern sehr dankbar“, sagte Reiter am Montagabend beim Empfang zum Stadtgründungsfest im Prunkhof des Rathauses.

Üblicherweise ist dieser Empfang eher ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem Politiker aller Ebenen und jeder Couleur, Geschäftsleute, Kulturvertreter, Ehrenbürger und andere für die Stadt wichtige Menschen sich treffen und plaudern. Doch diesmal säte Reiter in seiner Begrüßungsansprache einen ernsthaften Grundton in die Gespräche. „Man kann nicht zum ganz normalen Tagesgeschäft zurückkehren“, befand er nach der länderübergreifenden und „nie dagewesenen Verlagerung der Wählergunst nach rechts“ vom Sonntag.

Dass in Deutschland die AfD, „eine Partei, die offen rechtsradikal ist“, so Reiter, zur zweitstärksten Partei gewählt worden sei, „macht mich einigermaßen fassungslos“, bekannte der Oberbürgermeister.„Ich bin echt bestürzt, dass sich Jüdinnen und Juden jetzt ernsthaft überlegen, ob dieses Land noch ihre Heimat sein kann.“

Die Umsetzung des von der AfD propagierten Remigrationsbegriffs „kann und will ich mir einfach für unser Land nicht vorstellen“, sagte er weiter, gerade angesichts des großen Ausländeranteils unter den in München lebenden und arbeitenden Menschen. Auch der Umstand, dass unter den Jugendlichen der Anteil der AfD-Wähler außergewöhnlich hoch war, habe ihn „extrem angefasst“. Er habe die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre ursprünglich für sehr positiv gehalten.

Das Wählerverhalten erklärte Reiter damit, dass viele unzufriedene Menschen der Bundesregierung einen Denkzettel verpassen wollten, es sei um Protest gegangen, nicht um Inhalte. Reiter empfahl daher: „Politik muss mehr denn je erklärt werden. Es muss ideologiefrei diskutiert werden, und zwar mit den Bürgern vor Ort, nicht auf Parteitagen.“ Er mache das seit seinem Amtsantritt vor zehn Jahren bei seinen Bürgersprechstunden, wo er sich drei, vier Stunden Zeit nehme, um seine Politik zu erläutern. „Das funktioniert viel besser als Wahlkampfreden“, resümierte Reiter.

Petra Reiter (li.) und Susanne Breit-Keßler, frühere Münchner Regionalbischöfin der Evangelischen Kirche. (Foto: Robert Haas)
Der Zweite Bürgermeister Dominik Krause (Mitte) von den Grünen lauscht den ernsten Worten des Oberbürgermeisters. (Foto: Robert Haas)

Mit populistischen „Freibier-Anträgen“, wie er sie nennt, schaffe man jedenfalls nur Verdruss, wenn die Bürger merkten, dass nichts umgesetzt werde. Reiter rief seine Politiker-Kollegen auf, konkreter auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen, um die Politikverdrossenheit zu überwinden und wegzukommen vom Thema „Denkzettelwahl“.

Zu Anfang seiner Rede hatte Dieter Reiter darauf verwiesen, dass der 866. Jahrestag der Stadtgründung im Grunde erst am 14. Juni sei. Doch am kommenden Freitag finde auch ein Fußballspiel in der Stadt statt, nämlich das Eröffnungsspiel der Europameisterschaft zwischen Deutschland und Schottland. Und nachdem der Fußballverband Uefa „bockig war wegen einer Terminverlegung, feiern wir halt ein bisschen früher“, erklärte Reiter launig.

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