Essstörung:Nöte im Gespräch verdauen

Essstörung: Mein Körper, Feind - oder Freund? Die Ärztin Karin Lachenmeir vor einem Therapiespiegel.

Mein Körper, Feind - oder Freund? Die Ärztin Karin Lachenmeir vor einem Therapiespiegel.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Am "Therapie-Centrum für Essstörungen" sollen in einer neuen Veranstaltungsreihe Patientinnen, Angehörige und Fachkräfte ihre Erfahrungen austauschen.

Von Stephan Handel

Bunt sind die Bilder an den Wänden, bunt sind auch die Haare einiger Mädchen und jungen Frauen in den Gängen und draußen im Garten - trotzdem kann kein Zweifel bestehen, dass es um ernste Angelegenheiten geht hier im "Therapie-Centrum für Essstörungen" (TCE) in Neuhausen: Monate ihres noch jungen Lebens verbringen die Patientinnen - männliche Patienten sind selten - in dem Haus, um wieder zurechtzurücken, was sich verschoben hat: den normalen Umgang mit Ernährung.

"Essstörungen sind sehr schwere Erkrankungen", sagt Karin Lachenmeir, die Leiterin der Einrichtung. Es sind ja nicht nur die Patientinnen selbst betroffen - Magersucht, Bulimie oder Esssucht sind stets krankhafter Ausdruck einer seelischen Not, ungelöster Konflikte. Deshalb haben auch Angehörige und andere Bezugspersonen ihren Anteil daran, der bei der Therapie berücksichtigt werden muss. "Gerade die Eltern unserer Patientinnen leiden unter massiven Gefühlen", sagt Karin Lachenmeir: "Ohnmacht, Angst, Mitleid, Wut." Durch diese Verstrickungen fällt es den Betroffenen oft schwer, miteinander zu reden und sich gegenseitig zu verstehen. Diesem Manko will das TCE nun mit einer neuen Veranstaltungsreihe begegnen: Bei den "Trialogen" sollen Patientinnen, Angehörige und Fachkräfte miteinander ins Gespräch kommen, ohne therapeutischen Ansatz, nur über das Erzählen, das Berichten von Gefühltem und Erlebtem.

Zu den Trialogen soll sich eine Gruppe von 12 bis 20 Menschen zusammenfinden. Das Besondere daran: Niemand aus der Gruppe hatte bislang mit anderen aus der Gruppe zu tun. So sollen möglichst nicht Eltern mit ihren Kindern daran teilnehmen, die teilnehmenden Therapeuten sollen darauf achten, dass keine ihrer Patientinnen dabei ist. Dadurch sollen mögliche Konfliktpunkte aus persönlicher Verstrickung vermieden werden. "Die Teilnehmer berichten aus ihrer Erfahrung", sagt Karin Lachenmeir. "Die Patientinnen aus eigener Erfahrung, die Angehörigen aus Mit-Erfahrung, die Fachkräfte aus Berufserfahrung."

Das Angebot beschränkt sich nicht nur auf Personen mit Bezug zum TCE. Mit dabei sind auch ANAD e.V., die Caritas-Fachambulanz für Essstörungen und das Therapienetz Essstörung. Geplant sind zunächst vier Termine mit einer Dauer von jeweils 90 Minuten, beginnend am 15. März. Die Teilnahme an allen Terminen ist wünschenswert, aber nicht verpflichtend. Anmelden können sich aber nicht nur Patientinnen und Eltern - auch Lehrer, Geschwister, Freunde sind willkommen. Die Teilnehmer müssen volljährig sein - und psychisch stabil, um eventuell belastende Erfahrungen verarbeiten zu können. Die Hochschule Landshut wird das Projekt wissenschaftlich begleiten und die Ergebnisse evaluieren.

Das Therapie-Centrum für Essstörungen existiert seit 1989, zunächst unter der Federführung des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, seit 2006 gehört es zum Klinikum Dritter Orden. Seit 2016 residiert es in einem Neubau auf dem Gelände der früheren Lachner-Klinik in Neuhausen.

Lernen, dass der eigene Körper kein Feind ist

Das Angebot zielt auf zwei Altersgruppen: Für 12- bis 15-Jährige stehen acht Plätze bereit, die Patientinnen leben von Montag bis Freitag im Centrum in Wohngruppen, die Wochenenden verbringen sie bei ihren Familien. Für 16- bis 25-Jährige verfügt das TCE über 24 Plätze, sie bleiben sieben Tage die Woche in der Klinik. Ein Therapieblock dauert acht bis neun Wochen, die meisten Patienten absolvieren zwei bis drei Blöcke. Die Untergrenze für eine Aufnahme liegt bei einem Body-Mass-Index von 13 - das wäre beispielsweise bei einem 15-jährigen Mädchen von 1,60 Metern Größe ein Gewicht von etwa 35 Kilogramm.

Während ihres Aufenthalts werden die Patientinnen auf vielerlei Weise behandelt: In der Ernährungstherapie lernen sie, wieder regelmäßig und ausreichend zu essen. In der Psychotherapie - einzeln, in der Gruppe oder als Familientherapie - geht es um Ursachen und Hintergründe der Erkrankung. In der Körpertherapie sollen die Patienten lernen, so Karin Lachenmeir, "dass der Körper kein Feind ist, den man bekämpfen muss, sondern ein Freund sein kann". In der Kunsttherapie schließlich haben die Patientinnen Gelegenheit, Emotionen auszudrücken, wenn ihnen das verbal schwerfällt.

Um Gefühle und Erfahrungen wird es auch bei den vier Sitzungen des "Trialogs" gehen. Interessenten können sich anmelden unter www.tce-dritter-orden.de.

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