Auf der grünen Papierschnecke an der Tür steht: "Anton und Familie". Gerade ist niemand da. Die drei Betten sind gemacht, ein paar Plüschtiere liegen auf den Decken, auch ein bisschen Spielzeug. Eine Wickelkommode steht im Raum. Die zwei Zimmer auf Station 8d der Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik der München Klink Schwabing sind gerade für einige Wochen das Zuhause einer Mutter mit ihren beiden Kindern. Auf der 8d werden Kinder mit Essstörungen behandelt. Anton ist ein Säugling mit Fütterungsstörungen. Er braucht Hilfe.
Aber nicht nur er, sondern viele andere Kinder und Jugendliche auch. So viele, dass der Bedarf an Betten im Haus in den vergangenen Jahren immer größer, die Wartelisten immer länger wurden. Jetzt hat die Klinik zwei neue Stationen mit 15 weiteren Betten eröffnet. 44 Betten, sechs Eltern-Betten und zehn Plätze in der psychosomatischen Tagesklinik sind es nun insgesamt.

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Die Stadt München hat die schnelle Erweiterung im Rahmen des Bau- und Investitionsprogramms der München Klinik mit Zuschüssen unterstützt . Eineinviertel Jahre hat der Umbau nur gedauert. Mitten in der Pandemie. "Ich bin sehr froh, dass wir dieses Projekt nicht aus den Augen verloren haben", sagt die Dritte Bürgermeisterin, Verena Dietl (SPD). Und spricht bei einem Rundgang durch die neuen Räume von einer "Herzensangelegenheit", belasteten Familien in München mehr Angebote machen zu können.
Die Pandemie "hat alles noch einmal verstärkt", sagt die Chefärztin der Klinik, Sigrid Aberl - und nennt Zahlen: 13,8 Millionen Kinder und Jugendliche leben in Deutschland, 17 Prozent zeigten psychische Auffälligkeiten. "Ein Fünftel der Kinder ist also psychisch belastet", sagt Aberl. Und durch Corona, besonders während des zweiten Lockdowns, seien die Belastungen um 30 Prozent gestiegen. Besonders Essstörungen hätten zugenommen, aber auch Ängste, Depressionen, die verstärkte Einnahme von Suchtmitteln. Das Risiko für häusliche Gewalt sei ebenfalls gestiegen.



Gut, dass die Wände des Schwabinger Krankenhauses so hoch sind. Sonst hätte nie die große Kletterwand in den Bewegungsraum gepasst, den es in der neuen "Pre-teens"-Station gibt. Oder die Schaukel. Kinder im Alter von neun bis 13 Jahren in einer sensiblen Phase ihrer Entwicklung lernen dort, sich langsam wieder zu öffnen, ihre Ängste zu artikulieren.
Während der Corona-Zeit haben viele Kinder durch das Homeschooling soziale Kontakte verloren, sich zurückgezogen. Ängstliche Kinder hätten zwar auch die Geborgenheit des Familienumfelds erfahren, würden aber nun den Unterricht in der Schule "verweigern", berichtet die Leitende Oberärztin der Klinik, Petra Sobanski. Bewegung täte da gut. Und wer sich traue zu klettern und bis ganz nach oben zu kommen - das gebe Selbstvertrauen. Wie auch Gespräche in Gruppen, mit den Eltern und den Therapeuten.
Seelische Nöte, mangelnde Selbstakzeptanz, aber auch familiäre Probleme werden in der Klinik mit psychotherapeutischen Therapien behandelt. Und mit viel Geduld. Mindestens sechs bis zwölf Wochen sind die jungen Patientinnen und Patienten laut Chefärztin Aberl in Behandlung. Sorgen bereiten ihr die zunehmenden Essstörungen. Von zehn Jugendlichen, die gerade auf Station seien, seien acht stark untergewichtig. Sie hätten ihre Essensverweigerung in den Corona-Monaten "perfektioniert", ihre Erkrankung noch besser verheimlicht, noch besser organisiert.
Privatsphäre ist für die Kinder enorm wichtig
"Bitte laut klopfen", das steht auf fast jeder Tür. "Die jungen Menschen brauchen ihre Privatsphäre", sagt Oberärztin Astrid Holch. "Das ist ganz wichtig und darauf legen sie großen Wert." Holch leitet die zweite, neu entstandene Station der Klinik. Hier stehen Kinder und Jugendliche im Vordergrund, die mit Traumafolgestörungen zu kämpfen haben.
Das geräumige, helle Zimmer ist ausnahmsweise aufgeräumt. Auf den Nachtkästchen liegen Kopfhörer. Ganz wichtig scheinen Kuscheldecken und viele Kuschelkissen zu sein, die auf den Betten liegen. Rosafarben, lila oder beige. Sich ein wenig wie zu Hause zu fühlen, sich an weiche Kissen zu schmiegen, wenn die Gedanken hin und her wandern, das hilft, wenn man sich intensiv mit sich selbst auseinandersetzen muss. Traumafolgestörungen führen zu "erheblichen Einschränkungen in der Alltagsbewältigung und zu starken emotionalen Reaktionen", erklärt Oberärztin Holch. Ein geschützter Rahmen sei da besonders wichtig. Als sie das sagt, huscht ein Mädchen leise in das Zimmer und schließt sofort die Tür hinter sich.
Ein kleiner Raum im Keller der Klinik steht voller Instrumente. Ganz neu dabei ist eine Harfe. "Sie ist ein schwingungsreiches und körpernahes Instrument", sagt Musiktherapeutin Anke Voigt. Die Vibrationen, durch das eigene Spiel erzeugt, übertragen sich auf den Körper und würden "Entspannung, aber auch emotionale Öffnung" bewirken. Manche Kinder formen auch Figuren aus Ton, die oft ihre Gedanken und Ängste widerspiegeln: Ein Wolf trifft im Kunstraum auf eine fauchende Schlange, ein Krafttier also stellt sich dem Bösen entgegen. Ein Drache spannt seine Flügel - er ist frei.
"Erfolge gibt es viele", sagt Oberärztin Sobanski. Nach der Therapie bewältigen die Kinder ihren Alltag meist wieder besser, sie fühlen sich befreit und weniger verängstigt. "Je früher die Kinder kommen, desto besser ist es", sagt Chefärztin Aberl. "Umso größer sind die Therapieerfolge."