Fremdenfeindlichkeit:"Es braucht zivilen Widerstand"

Miriam Heigl von der "Fachstelle für Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit" über die zunehmenden Versuche radikaler Rechter, im Münchner Alltag in die Mitte der Bürgerschaft vorzudringen

Interview von Nicole Graner und Thomas Kronewiter

Nicht nur vor der Feldherrnhalle demonstrieren Rechte, auch in den Münchner Stadtteilen treten sie zunehmend häufiger in Erscheinung. Zuletzt nutzten sie die Sitzung des Laimer Bezirksausschusses für radikale Redebeiträge. Miriam Heigl von der "Fachstelle für Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit" erläutert im SZ-Gespräch die Versuche radikaler Rechter, im Münchner Alltag in die Mitte der Zivilgesellschaft vorzudringen.

SZ: Beim Auftritt der Rechten im Bezirksausschuss (BA) Laim war ein Mitarbeiter Ihrer Stelle zugegen, der sich anschließend nach Hause begleiten ließ. Muss man Angst haben, solche Veranstaltungen zu besuchen?

Miriam Heigl: Wir haben in München seit 2010 sukzessive ein kommunales Netzwerk gegen Rechtsextremismus und Rassismus aufgebaut. In diesem Netzwerk gibt es nicht nur die Fachstelle für Demokratie, sondern auch die Fachinformationsstelle Rechtsextremismus in München (Firm). Das sind Leute, die im Bereich Recherche arbeiten. Ein Mitarbeiter der Fachinformationsstelle hat sich offenbar so bedroht gefühlt, dass er sich vom Ort weg begleiten ließ.

Die Arbeit dieser Fachinformationsstelle ist sicherlich mit die gefährlichste im Rahmen des kommunalen Netzwerkes. Für deren Mitarbeiter ist es sicher nicht das erste und leider auch nicht das letzte Mal, dass sie sehr nahe an Neonazis, Rechtsextreme und Gewaltbereite herankommen. Beispielsweise sind sie bei den montäglichen Pegida-Demonstrationen und dokumentieren, was für die Stadt wichtig ist. Auch da sind sie im Grunde genommen einer physischen Gefahr ausgesetzt. Ich würde aber nicht sagen, dass man Angst haben muss, wenn man in eine Bezirksausschuss-Sitzung geht.

Wie viel Sinn hat es, wenn Mitarbeiter der Fachinformationsstelle inkognito solche Sitzungen besuchen, wie in Laim? Oder wenn sie gar Aufzeichnungen machen, ohne sich zu erkennen zu geben, wie in Neuperlach geschehen?

Es ist ja nicht so, dass ich die Mitarbeiter dieser Stelle irgendwo hinschicke. Sie gehen hin, wenn sie davon ausgehen, dass es relevante Beobachtungen zu machen gibt. Das war in Laim der Fall. Es war ja im nachhinein auch gut, dass jemand da war, der wusste, wer die auftretenden Personen waren. Stadt und Zivilgesellschaft profitieren unheimlich von dieser Arbeit. Die Dokumentationen, die die Fachinformationsstelle macht, sind die präzisesten, die wir als Stadt haben. Im Fall von Neuperlach haben wir das nachbesprochen und geklärt. Wir haben mit den Bezirksausschüssen eine gute Zusammenarbeit. Ein Großteil der Mitglieder kennt das Netzwerk und sieht durchaus dessen Beitrag. Natürlich braucht es immer auch Erfahrungen, Nachjustierungen. Wir lernen alle voneinander.

Muss man davon ausgehen, dass der Auftritt in Laim kein Einzelfall war, dass also rechts gesinnte Gruppen künftig häufiger in den Stadtvierteln und deren Gremien auftreten, dass sie sogar gezielt provozieren?

Ich will keine Ängste schüren. Aber leider ist es auch nicht auszuschließen. Wir haben jetzt gerade wieder - man muss nur auf die Internet-Seite des "Dritten Wegs" gehen, das ist eine aggressive Neonazi-Organisation - den Bericht von einer Veranstaltungsstörung zum Thema Flüchtlinge im Münchner Umland. Die rechte Szene hat politische Gremien wie die Bezirksausschüsse als Plattform entdeckt.

Ursprünglich haben sich die Aktivitäten Ihrer Stelle stark auf einzelne Protagonisten und ihre Aussichten bei der damals anstehenden Kommunalwahl fokussiert. Wie hat sich jetzt das Aufgabenspektrum ihrer Behörde verändert?

Wir sind ein Netzwerk mit Arbeitsteilung. Wenn die Rechten Flugblätter an Schulen verteilen, was sie getan haben, gehen wir als Fachstelle auf die Schulleiter zu, beraten sie, überlegen, ob der Inhalt des Flugblatts strafrechtlich relevant ist, ob sie Strafanzeige stellen können, weil beispielsweise das Schulgelände betreten worden ist. Und wir vermitteln pädagogische Ratgeber. Wir versuchen, auf allen Ebenen zu arbeiten. Natürlich halten wir auch Fachvorträge über die Neonazi-Szene.

Anti-Pegida Demonstration in München, 2015

Aufmerksamer Widerstand: Die Münchner Bürger lassen den Rechten keinen Platz.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Aufgabe meiner Stelle ist es auch, einen gesellschaftspolitischen Diskurs mitzuprägen. In diesem Bereich hat sich das Aufgabengebiet verändert. Da sind wir beim Thema Veranstaltungsstörung. Dabei verschmelzen organisierte Rechtsextremisten mit Bürgern, die bereits verfestigte Vorurteile haben oder auch mit solchen, die nur Ängste haben. Diese Verschmelzung zu unterbrechen, ist unsere Aufgabe.

Nehmen wir ein paar konkrete Beispiele aus den vergangenen Monaten. Kundgebungen des rechten Stadtrates Karl Richter vor der Bayernkaserne wurden mit Gegendemonstrationen beantwortet, die der Bezirksausschuss Schwabing-Freimann mitorganisiert hat. Und nach dem Brandanschlag auf die Pasinger Moschee gab es eine Solidaritätskundgebung. Was bringen solche Aktionen?

Wenn wir Rechtsextremisten ungehindert agieren lassen in dieser Stadt, können sie sich immer weiter ausbreiten. Deshalb braucht es zivilgesellschaftlichen Protest, zivilgesellschaftliche Aufklärung und zivilgesellschaftlichen Widerstand. Auch um denen, die sich eventuell das Mitmachen überlegen, zu sagen: Hey, tut das nicht, das ist ein Problem. Wir werden rechtsextreme Agitation nicht hinnehmen, und wir sind damit auch nicht einverstanden.

Zunehmend suchen sich Rechte oder ihre Sympathisanten feste Stammtische in Lokalen, sind aber oft nicht als solche zu erkennen. Was raten Sie Wirten?

Es ist eben nicht mehr so wie zu Anfang der Neunzigerjahre, als die Rechtsextremen die waren, die verbotene Parolen gebrüllt und sich am liebsten in einem Keller unter dem Hitlerbildchen getroffen haben. Die Rechtsextremen haben erkannt, dass sie nur erfolgreich sind, wenn sie in die Mitte der Gesellschaft vordringen. Deshalb nehmen wir nicht hin, dass man das Gefühl hat, Rechtsextremismus sei Bestandteil der Gesellschaft - sei es im Fußballverein, sei es in der Kneipe. Insofern raten wir Wirten, sich des Problems bewusst zu sein. Man guckt Reservierungen an. Wenn die Fachinformationsstelle gegen Rechtsextremismus im Internet sieht, dass wieder Szene-Stammtisch ist, und wenn der Wirt signalisiert hat, dass er das nicht möchte, wird man ihn anrufen und ihn darauf aufmerksam machen.

Es gibt Wirte, die darauf positiv reagieren. Wir haben in München auch alle Wirte angeschrieben und ihnen mitgeteilt, wie sie reagieren können. Es gibt einen Aufkleber, mit dem sie Stellung beziehen können. Es ist unwahrscheinlicher, dass Rechtsextreme sich gerne in einer Kneipe treffen, wo schon klar ist: Ihr seid hier nicht richtig.

Die meisten der 25 Münchner Bezirksausschüsse haben vor einigen Monaten ehrenamtliche Beauftragte gegen Rechtsextremismus berufen. Ist diese Idee zielführend?

Auf jeden Fall. Ein Problem ist, dass die Stadtpolitik und auch die Stadtverwaltung sehr zentralistisch aufs Rathaus konzentriert sind. Aber der Rechtsextremismus setzt im Alltag an. Nur aus dem Rathaus heraus verstehen wir vieles nicht, kriegen wir vieles nicht mit und können nicht gut gegensteuern. Wir haben aber keine dezentralen Verwaltungsstrukturen. Andere Städte wie Köln und Berlin haben das. Deshalb haben wir uns überlegt, was wir an kleineren politischen Einheiten haben, nämlich die Bezirksausschüsse. Deren Beauftragte allein werden das Problem nicht lösen können, weil sie das ehrenamtlich machen. Aber viele sind sehr engagiert. Deshalb glaube ich, dass es perspektivisch auch noch ergänzende Strukturen braucht, die sich auf die Stadtteile beziehen. Aber im Moment ist es sicherlich die beste Lösung.

Wie werden die Beauftragten geschult?

Das ist unterschiedlich. Wir laden viermal im Jahr zu einem Treffen ein. Immer dabei ist die Fachinformationsstelle, die ihre Erfahrungen referiert, die Beauftragten aus den jeweiligen Bezirken ergänzen das. Wir laden Projekte aus dem Bundesgebiet ein, um uns weiterzubilden. Einmal im Jahr haben wir auch ein Treffen mit der Polizei und dem Kreisverwaltungsreferat, um über Versammlungssituationen zu sprechen. Alles ist sehr bedarfsorientiert.

Dr. Heigl, 2015

Miriam Heigl leitet die Fachstelle für Demokratie.

(Foto: Veronica Laber)

Kommt von den Bezirksausschuss-Beauftragten auch etwas zurück?

Unser Netzwerk strebt an, dass der Informationsfluss immer beidseitig und möglichst auf Augenhöhe ist. Wenn in einem Bezirk etwas los ist, telefoniere ich auch dreimal am Tag mit dem Beauftragten. Weil die Beauftragten eben Ehrenamtliche sind, bekommen wir derzeit aber sicher keine ganz nachhaltige, präventive Arbeit in den Stadtteilen hin.

Kann man die Beratungsangebote optimieren?

Es gibt im klassischen Modell bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus auch noch mobile Beratungsteams. Das sind Berater, die in den Stadtteilen Bürger motivieren, selbständig gegen Rechtsextremismus und Rassismus vorzugehen. Das fehlt leider in Bayern, schon von der Landesebene her. Das liegt daran, dass in der Regel solche Projekte aus Landesprogrammen finanziert sind.

Noch ein Fall, wie er sich immer wieder abspielt: Sie hören von Problemen zum Beispiel bei geplanten Flüchtlingsunterkünften, von Protesten, die mitunter Bürger erheben, die sich selbst überhaupt nicht als rechts einschätzen würden, deren Proteste aber von Rechten genutzt werden. Wie agieren und wie unterscheiden Sie?

Es gibt ja manchmal auch rechte Anwohner. Ein Teil der Leute wird instrumentalisiert, aber ein Teil ist auch hochgradig anfällig. Insofern sind nicht alle Opfer der Rechtsextremen, sondern es gibt auch Menschen, die gerne einsteigen. Wenn wir also eine Seite auf Facebook sehen, rufen wir zuerst den Bezirksausschuss-Beauftragten an und fragen, ob er oder sie das schon gesehen hat und einschätzen kann. Kommen wir zu der Einschätzung, es könnte bei der nächsten Bezirksausschuss-Sitzung eine Versammlungsstörung geben, werden wir überlegen, welche Regularien wir einführen können. Bei einem Aufruf zu einem Treffen in einer Kneipe wird vielleicht der Beauftragte hingehen und zu verstehen versuchen, um wen es da geht und wie problematisch diese Thesen sind.

Jüngst ereignet haben sich Steinwürfe auf Baufahrzeuge, die den Boden für eine geplante Flüchtlingsunterkunft ausheben, immer wieder werden Flugblätter, die eindeutige Ideen propagieren, verteilt oder an Bäume geheftet - zu welcher Reaktion würden Sie raten?

Ich würde versuchen, immer im Einzelfall zu ermitteln, wie lange das schon geht, ob es einen Auslöser gegeben hat, wie vehement die Kritik ist und ob man die Leute auch wieder herunterholen kann. Oder ob die Aktion von einer Gruppe ausgeht, die sachlichen Argumenten gar nicht mehr zugänglich ist.

Haben Sie in Ihrer Dienststelle mehr zu tun als vor einem Jahr?

Viel mehr, ja. Wir haben tatsächlich das Gefühl, das Rechtsextremismus und Rassismus überall aufpoppen, und dass nicht ein Stadtteil speziell betroffen ist.

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