Problem Papierkram :Woran es oft scheitert, wenn ausländische Fachkräfte Erzieher werden wollen

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Kseniia Ladanova aus Russland und ihr Kollege Anderson Johan Vivas Araque aus Venezuela lieben ihren Job und die Kinder. Doch der Papierkram und die Unsicherheit erschweren vieles. (Foto: Robert Haas)

Kaum jemand will hierzulande noch Erzieher werden, deshalb arbeiten immer mehr ausländische Fachkräfte in Kitas und Krippen. Im Alltag funktioniert das gut. Doch es gibt ein Problem: die Vorgaben, die vieles in den Einrichtungen schwierig machen.

Von Linus Freymark

Wenn es schlecht für ihn läuft, muss er Ende Dezember gehen. Dabei liebt er die Arbeit mit den Kindern. Dabei sagt seine Chefin, „der Johan macht einen tollen Job“. Dabei wird er so dringend gebraucht und hat alles getan, was von ihm gefordert wurde. Und trotzdem ist unklar, ob Anderson Johan Vivas Araque nächstes Jahr noch in München sein darf. Wie es weitergeht? „Ich weiß es nicht“, sagt der junge Mann aus Venezuela.

Vivas Araque arbeitet als Ergänzungskraft in der Kindertagesstätte der Pfennigparade an der Markomannenstraße in der Nähe des Waldfriedhofs. Die Voraussetzungen dafür bringt er mit, der deutsche Staat hat ihm das anerkannt. Doch sein Visum läuft zum Jahresende ab. Damit es verlängert wird, muss Vivas Araque Deutschkenntnisse auf B2-Niveau nachweisen, er muss sich also spontan und fließend verständigen können.

Den entsprechenden Kurs hat er gemacht. Aber: Die Ausstellung des Zertifikats kann bis zu sechs Wochen dauern. Und erst wenn er den Nachweis hat, kann er sich um einen Behördentermin kümmern. Bis er den bekommt, dauert es wieder, vielleicht vier Wochen, vielleicht sechs. Dann aber wäre seine aktuelle Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen. Und Vivas Araque, den sie in der Pfennigparade alle nur Johan nennen, müsste das Land verlassen. „Das wäre sehr schade“, sagt er. „Ich liebe München.“

Einrichtungsleiterin Linda Bechtold kennt solche Fälle wie den von Vivas Araque. Immer wieder kommt es vor, dass Fachkräfte aus dem Ausland gehen müssen oder erst deutlich später anfangen können, weil die in ihrem Heimatland erworbene Ausbildung lange nicht anerkannt wird. Zwar habe sich in den vergangenen Jahren einiges getan, sagt Bechtold, die Verfahren seien durchaus vereinfacht worden. Aber weil je nach Fall verschiedene Stellen involviert sind – Behörden, Sprachschulen, die Bundesagentur für Arbeit –, komme es nach wie vor zu Bearbeitungszeiten von vielen Wochen. Für Vivas Araque und andere Betroffene wird es dann fast unmöglich, die vorgegebenen Fristen einzuhalten.

Für Bechtold bedeutet das: Sie kann diese Mitarbeiter im Zweifelsfall nicht wie geplant einsetzen. Das reißt Lücken in den Stellenplan – und das, obwohl doch ohnehin beinahe alle Einrichtungen mit dem Fachkräftemangel kämpfen und händeringend nach Leuten suchen. „Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland“, sagt Bechtold. Deutsche Bewerberinnen und Bewerber gebe es kaum noch, im ganzen Land fehlen Tausende Erzieherinnen und Kinderpfleger. Diese Lücke füllen Zuwanderer – und mit denen laufe es im Kita-Betrieb sehr gut, sagt Bechtold. Bis auf den Papierkram.

Was der für Auswirkungen haben kann, zeigt auch das Beispiel von Kseniia Ladanova: Die Russin hat in ihrer Heimat Pädagogik studiert und im vergangenen Jahr ihre Ausbildung zur Erzieherin in der Pfennigparade angefangen. In diesem Jahr war sie wie Vivas Araque als Ergänzungskraft eingeplant. Aber weil sie bis zum Start des neuen Kita-Jahres am 1. September kein Arbeitsvisum bekommen, sondern lediglich ihr Ausbildungsvisum behalten hat, ging das nicht. Jetzt macht Ladanova ihre Ausbildung weiter, ist deshalb aber nur noch zwei Tage pro Woche in der Einrichtung.

„Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland“, sagt Einrichtungsleiterin Linda Bechtold. Deutsche Bewerberinnen und Bewerber gebe es kaum noch. (Foto: Robert Haas)

Das hat Folgen: Weil Krippenkinder während der Eingewöhnung eine Eins-zu-Eins-Betreuung brauchen, mussten Bechtold und ihre Stellvertreterin Anna Kohrmann manchen Eltern mitteilen, dass ihr Kind erst ein paar Wochen später als geplant den zugesagten Platz bekommt. „Das ist natürlich blöd“, sagt Kohrmann. „Die Eltern verlassen sich ja darauf.“ Genau wie deren Arbeitgeber, die fest damit gerechnet haben, ihre Mitarbeiter einsetzen zu können. Das führe zu Druck bei allen Beteiligten, erklärt Kohrmann. Druck, den letztlich diejenigen zu spüren bekommen, die am allerwenigsten dafür können: die Kinder. „Die merken das natürlich“, sagt Kohrmann.

Was sich gegen das Problem tun lässt? Das wissen auch Bechtold und Kohrmann nicht so genau. Nur eines ist für die beiden klar: „Die Prozesse müssen vereinfacht werden“, sagt Kohrmann. Auch bei Stadt und Freistaat hat man den Handlungsbedarf erkannt. Aber weil so viele unterschiedliche staatliche Stellen involviert sind, ist eine Lösung schwierig – erst recht, weil wie die Kitas auch die öffentliche Verwaltung mit Fachkräftemangel kämpft. Aber für die Verantwortlichen in der Pfennigparade ist klar: „Hier muss es unbedingt Verbesserungen und Erleichterungen geben, die allen Seiten helfen“, erklärt Geschäftsführerin Susanne Schönwälder. Zwar sei es manchmal kompliziert, dass Fachkräfte aus dem Ausland ihre pädagogischen Qualitäten in Deutschland umsetzen könnten. In der Pfennigparade bieten die Verantwortlichen dafür Fortbildungen und Sprachkurse an – auf Stiftungskosten. „Anstatt zu jammern, dass es keine Fachkräfte gibt, ist es hilfreicher, zu schauen, was wir tun können, damit die Menschen, die hier sind, gut arbeiten können“, sagt Schönwälder. Weniger Ablenkung durch Papierkram wäre ein Ansatz dafür. 

Anderson Johan Vivas Araque muss nun hoffen, dass er das Zertifikat für seinen Deutschkurs möglichst schnell bekommt. Und dass er dann rechtzeitig einen Termin für die Verlängerung seines Visums bekommt. „Das ist wirklich wichtig für mich“, sagt er. Und auch seine Kollegen und die Kinder in der Pfennigparade wünschen sich, dass er bleiben kann. Aber alle wissen: Die Zeit drängt.

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