Erzdiözese München und Freising:Rechnen lernen mit PricewaterhouseCoopers

Lesezeit: 4 Min.

Leere Kirchen - das ist für die Verantwortlichen des Erzbistum längst kein ungewohnter Anblick mehr. Dass immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, diese Herausforderung wird die Diözese noch lange begleiten. (Foto: Catherina Hess)

Weniger Geld, weniger Personal. Selbst in einem der reichsten Erzbistümer Deutschlands soll künftig genau geprüft werden: Was bringt wirklich was? Auch Kirchenschließungen sind kein Tabu.

Von René Hofmann

Für einen Generalvikar sind es ungewöhnliche Töne, die Christoph Klingan da anschlägt. Von "Zielgruppenorientierung" ist die Rede, von "Innovationen", die wünschenswert wären, für die aber "Strukturen geschaffen" und "Ressourcen bereitgestellt" werden müssen und, weil die eben knapper würden, deshalb genau zu prüfen sei, ob sie zum "strategischen Zielbild" passten.

Strategisches Zielbild: Das klingt eher nach einer Unternehmensberatung und weniger nach einer Institution, die sich lange als quasi gottgeschaffen begriff. Doch so ändern sich die Zeiten.

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Seit 200 Jahren gibt es die Erzdiözese München und Freising in ihrer heutigen Form. In ihr gibt es mehr als 740 Pfarreien. In dem Gebiet, das sie von nördlich von Freising bis zur südlichen Landesgrenze umfasst, leben gut 1,6 Millionen Katholiken, was immer noch rund 40 Prozent der Gesamtbevölkerung in diesem Raum entspricht.

Als Generalvikar verantwortet Christoph Klingan die Verwaltungsangelegenheiten in diesem gewaltigen Gebilde und unterstützt Erzbischof Kardinal Reinhard Marx bei der Leitung. Sein Wort hat also Gewicht, und deshalb hat es schon einiges zu sagen, wenn er über das, was in den vergangenen 15 Monaten in seinem Reich geschehen ist, sagt: "Wir haben gespürt, dass es eine hohe Bereitschaft gibt, sich realistisch den aktuellen und künftigen Herausforderungen zu stellen."

Mehr als zwölf Millionen Euro Verlust drohen

Die aktuellen Herausforderungen sehen so aus: Die Mitgliederzahlen sinken. Und damit die Kirchensteuereinnahmen. 2019 lagen sie noch bei 665 Millionen Euro. 2020 waren es 647 Millionen. Für das noch laufende Jahr werden nur 615 Millionen Euro erwartet. Der Rückgang beschleunigt sich also. Zum zweiten Mal nacheinander droht einem der reichsten Erzbistümer der Republik damit ein Minus (erwartet wird, dass dieses sich bis zum Jahresende auf mehr als zwölf Millionen Euro summiert).

Die künftigen Herausforderungen sehen noch trüber aus: Zu den finanziellen Nöten werden noch stärker als jetzt personelle kommen. "Die Zahl der Mitarbeitenden in der Pastorale wird zurückgehen", wie Klingan vorbildlich geschlechtsneutral formuliert. Um ein Drittel bis zum Jahr 2030, so die Hochrechnungen, vor allem durch Ruheständler, die nicht ausgeglichen werden können, "denn die Zahl derer, die neu in den pastoralen Dienst treten wollen, geht zurück", wie es Klingan ausdrückt.

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Knapp zusammengefasst: Die Basis bröckelt, die Kirche muss sich etwas einfallen lassen. Und aus diesem Grund haben die Münchner Kirchenführer das gestartet, was sie "Wirkung entfalten + Kirche gestalten" genannt haben: Mit einem Pluszeichen in der Mitte, was schon von Beginn andeutete, dass es am Ende um Geld gehen wird.

Rund hundert Engagierte - Haupt- und Ehrenamtliche - haben dabei seit Spätsommer 2020 in vielen Workshops dann aber doch mehr geredet als gerechnet. Herausgekommen sind 150 Wirkungskriterien, mit denen künftig auf jeder Ebene geprüft werden soll, ob Aufwand und Ertrag in einem sinnvollen Verhältnis zueinander stehen.

Der Trend geht zur nachhaltigen Andacht

Für Pastoralreferentin Susanne Deininger aus dem Landkreis Dachau, die eifrig mitgeworkshopt hat und mit Klingan zusammen die Ergebnisse vorstellte, ist das "ein Kulturwandel": Bisher sei vieles einfach unhinterfragt immer weitergemacht worden, aus Tradition.

Deininger kann auch konkrete Beispiele nennen: die aufwändige Vorbereitung von Kindern für die Kommunion. Wenn sie viele von den Kindern, mit denen sie viele Stunden zusammensaß, erst bei der - ebenfalls aufwändigen - Firmvorbereitung wiedersehe, stelle sich schon die Frage, ob mit anderen Mitteln nicht mehr Wirkung zu erzielen sei.

Einheitliche Vorgaben aber wird es nicht geben. Jede Pfarrei entscheide letztlich selbst, was sie tun wolle, streicht Klingan heraus: "Das ist kein Plan zum Einsparen. Aber es ist klar, dass wir reduzieren müssen."

Das Wort "Kulturwandel" benutzt auch er, noch öfter allerdings das Wort "nachhaltig". Denn auch das will die Kirche jetzt zunehmend werden - im ökonomischen und im ökologischen Sinne: Statt Pfarrer von Kirchen zu Kirchen pendeln zu lassen, in denen sich regelmäßig nur noch wenige Menschen versammeln, kann es sinnvoller sein, einen Fahrdienst für eine zentrale Liturgie zu schicken. Andernorts wird derlei nachhaltige Andacht schon praktiziert.

Die Ausgaben für die Beraterfirma provozieren Fragen

Mehr als 7000 Gebäude hat die Erzdiözese aktuell in ihrem Besitz. Das sind mehr, als sie sich langfristig wird leisten können. Von wie vielen Kirchen, Pfarr- und Gemeindehäusern sie sich wie schnell trennt, ist aber noch nicht bestimmt. "Immobilien sollen erhalten werden, wenn sie für die seelsorgliche und andere kirchliche Angebote gebraucht werden", heißt es in der Ergebniszusammenfassung. Wenn dies nicht der Fall ist, könnten sie auch "mit ökumenischen oder kommunalen Partnern" bespielt werden.

Begleitet hat den gesamten Strategieprozess der Erzdiözese die Firma PricewaterhouseCoopers (PwC), zu den marktüblichen Beraterhonoraren, wie es heißt. Was wohl heißt, dass dafür eine mindestens sechsstellige Summe zusammengekommen sein dürfte - was Fragen provoziert.

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Auch angesichts des Finanzgebarens anderer Erzbistümer müssten sich die Münchner die Frage gefallen lassen, "ob es sinnvoll und wirklich notwendig war, eine vor allem an der Wirtschaftlichkeit orientierte Beratungsfirma mit dem Gesamtstrategieprozess zu beauftragen", teilte das Bundesteam von "Wir sind Kirche" mit und äußerte die Sorge, "dass das, was jetzt mit großem Aufwand als ,nachhaltige strategische Orientierung der Erzdiözese' bezeichnet wird, letztlich zu einem rigorosen Sanierungsplan für Geld-, Gebäude- und Personalkürzungen führen wird".

Zurückhaltend äußerte sich auch Elisabeth Stanggassinger von der Initiative Maria 2.0: Zukunftsforen hätte es schon einige geben. Abzuwarten bleibe, was wirklich umgesetzt werde.

Zum Abschluss des Strategieprozesses wird es an diesem Samstag eine Feier geben: einen Gottesdienst im Liebfrauendom, zelebriert von Kardinal Reinhard Marx, an dem auch viele der Arbeitsgruppenmitglieder teilnehmen werden. Am Montag, 13. Dezember, um 19 Uhr, sowie am Freitag, 17. Dezember, um 10 Uhr gibt es dann Online-Informationsveranstaltungen, die über die Website erreicht werden können.

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