Party am frühen Morgen:Erst der Spaß, dann die Arbeit

Morning Glory

Zwischendrin gibt´s Yoga im Party-Zelt.

(Foto: Lukas Barth)

Morgens um sieben Uhr auf die Tanzfläche, gesund frühstücken und dann direkt ins Büro: Was es in New York und London längst gibt, wird nun auch in München zum Trend.

Von Stefanie Schwetz

San Fransisco, New York, London, Barcelona und Berlin - überall dort ist die Geschäftsidee, zu Electrobeats in den Tag zu tanzen, mittlerweile eine feste Einrichtung. Dazu ein bisschen Yoga, Massage und ein gesundes Frühstück. Nun ist der Trend, um den sich Adjektive wie "gesund", "nachhaltig", "authentisch" und "energiegeladen" ranken, nach München geschwappt. Samira Ben Hamouda und Francesca Virga haben sich dem weltweit operierenden Partyunternehmen Morning Gloryville Ltd. als Franchise-Partner angeschlossen, finanziert aus ihren privaten Mitteln. Im "Wannda Circus" an der Tumblingerstraße veranstalten sie die erste Morgenparty dieser Art an der Isar.

"Reizvolle Gegend hier", brummt ein junger Mann vor sich hin, während er im Slalomlauf um die Pfützen auf den Eingang des Zirkuszeltes zusteuert. Ein wenig erinnern die vom Nieselregen gedämpften Farben an Szenen aus dem preisgekrönten Kinofilm "Der Himmel über Berlin", den Wim Wenders 1987 drehte. Bunter wird es dann drinnen im Zelt - gegenüber vom Eingang das DJ-Pult, in der Mitte die Tanzfläche, der Fußboden drum herum mit bunten Teppichen ausgelegt. Vom sternennachtblauen Zeltdach glitzert ein üppiger Kronleuchter, und die Discokugel verteilt Lichtpartikel über die Manege.

Morning Glory

Es gilt das Motto: "Rave your way into the day"

(Foto: Lukas Barth)

"Yoga ist ja nicht so mein Ding", sagt ein junger Mann in Jeans und Anorak zu seiner Begleiterin mit Blick auf die in Gebetshaltung verharrenden Yogis, die links neben dem Eingang ihre Matten ausgerollt haben, um sich wenig später ungeachtet der wummernden Bässe auf die Schlussentspannung einzulassen. Der Dancefloor wird von Männern, bevorzugt mit Vollbart, und Frauen mit nachlässig arrangierten Haarknoten bevölkert. Viele tragen bunte Leggins und Turnschuhe und sehen aus, als kämen sie gerade vom Sport.

Frühstücksbar mit pralinenartigen "Energiekugeln"

Auch die junge Frau aus der U-Bahn hat Kopfhörer und Jacke abgelegt und läuft im Trägerhemdchen durch die Menge. An der Frühstücksbar bilden sich Menschenschlangen, um pralinenartige "Energiekugeln", Kuchen, Sandwiches und Säfte - natürlich alles vegan - zu kaufen. Und um der internationalen Verbreitung dieser Party-Bewegung gerecht zu werden, wird beim kulinarischen Frühstücksangebot mit Begriffen wie Superfood und Smoothie gearbeitet. Immerhin: Es gibt noch so etwas altmodisches wie Kaffee.

Daneben verausgaben sich auf der Tanzfläche, in schrille Kostüme gewandet, die sogenannten Angels: viel Glitzer, Tüll und ums Haupt gewundene Blumenkränze. Sie übernehmen die Funktion von Animateuren, denn viel Zeit bleibt den Feiernden nicht, um in Partystimmung zu kommen. Bis 10.30 Uhr soll der morgendliche Frohsinn dauern - dann ist Schluss, der gewohnte Alltag nimmt seinen Lauf. Man muss das schon mögen, diese akustische und visuelle Reizüberflutung zu so früher Stunde. Und manchem, der morgens um sieben schon seinem Broterwerb nachgehen muss, mag so eine Party wie eine Provokation vorkommen.

Raven im Business-Anzug

Morning Glory

Party zu früher Stunde: Im bunten Zelt des "Wannda-Circus" geht es bereits morgens um sieben richtig rund.

(Foto: Lukas Barth)

Samira Ben Hamouda hat sich für Morning Gloryville in den letzten fünf Wochen der Vorbereitung alles abverlangt und vor Aufregung kaum geschlafen. Jetzt ist sie vollkommen ausgepowert, aber total euphorisiert von der Musik und der Energie der Menschenmenge. Aber ist so ein Partykonzept, das alles unter einen Hut bringen will - Gesundheit, Club-Atmosphäre und Pflichterfüllung - in Wahrheit nicht nur ein Zugeständnis an die Leistungsgesellschaft? Nach der Devise: von der Tanzfläche hoch motiviert und vitaminreich gefrühstückt direkt zur Arbeit. Der Pressetext verspricht gar: "Geh nach einem Morning Gloryville Event zu einem Vorstellungsgespräch und der Job ist dir sicher. Wenn nicht, erstatten wir deinen Ticketpreis!" Immerhin sind das zwischen 12,50 und 18 Euro.

Zwei tanzende Freundinnen, Mitte zwanzig, sind richtig angetan von dieser neuen Partykultur, die das Prinzip "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen" einfach ins Gegenteil verkehrt: "Dann haben wir das Feiern hinter uns und sind an diesem Tag schon mal auf unsere Kosten gekommen." Drei junge Männer in dunklen Anzughosen und weißen Hemden - Typ Karrierestarter, Anfang dreißig - fallen auf dieser frauenlastigen Veranstaltung deutlich aus dem Rahmen.

Der eine hat erst am Tag zuvor im Radio von Morning Gloryville gehört; normalerweise mache er vor der Arbeit Sport. Sein Kumpel dagegen schläft sonst morgens eine Stunde länger, würde bei nächster Gelegenheit aber sofort wieder morgens feiern. Für die Älteren, die abends oft genug schon vor dem Tatort einschlafen, ist Morning Gloryville eine gute Gelegenheit, sich trotz alltäglicher Dauerbelastung mal wieder ins Partyleben zu stürzen. Und wenn man sie lässig an der Frühstücksbar lehnen sieht, ahnt man, dass hier ganz alte Vergnügungsmuster greifen.

"Schau sie dir an", sagt Heike, die an diesem Tag ihren 47. Geburtstag feiert und für die der Start in den Tag nicht besser hätte laufen können, "das sind alles alte Raver."

Ein älterer Herr mit Gehhilfe bahnt sich zwischen Hula-Hoop-Reifen-schwenkenden Artisten den Weg rund um die Tanzfläche. Eine Gruppe um eine gut gelaunte, leicht ergraute Frau mit geschientem Knie fläzt sich in den umstehenden Sesseln. Und Brigitte aus Marburg, 60 Jahre, ist mit ihrer in München lebenden Tochter gekommen. "Ich mag diese Musik", sagt sie, "aber während der Massage konnte ich die Klänge vollkommen ausblenden. Eine tolle Einrichtung!"

Morning Glory

Wer keine Lust hat, kann das muntere Treiben auch einfach nur ansehen.

(Foto: Lukas Barth)

Gesundheitsdiktat in der Party-Zone

Es mag an der Zirkusatmosphäre oder an dem morgendlichen Ausnahmezustand liegen: Familiäre Heiterkeit herrscht in diesem Zelt, eine Stimmung irgendwo zwischen Karneval und Klassentreffen. Und wie um die graue Wirklichkeit, die vor dem Zelt auf die Berufstätigen wartet, noch einmal aufzuhalten, liefern die hartnäckigsten Gäste noch ein paar tänzerische Showeinlagen zwischen Breakdance, Derwisch und Pogo.

Würde nicht das matte Licht des wolkenverhangenen Himmels durch den Zelteingang scheinen, könnte man leicht vergessen, dass es gerade mal zehn Uhr vormittags ist. Wie ein Versprechen kommt Morning Gloryville daher - eine Gebrauchsanweisung für ein beschwingtes Leben: bewusster, fröhlicher, inspirierender. Manchem mag das Gesundheitsdiktat, das nun gar Einzug in die Partykultur hält, auf die Nerven gehen. Aber vielleicht wird man sich irgendwann nicht mehr daran erinnern, dass es einst tatsächlich Menschen gab, die mit reichlich Giften im Körper von Partyexzessen erst in den frühen Morgenstunden nach Hause kamen, während andere schon in ihren Büros den Rechner hochfuhren.

Samira Ben Hamouda jedenfalls ist von dem Morning-Gloryville-Konzept überzeugt und plant schon die nächsten Partys, die von diesem Sommer an einmal im Monat in München stattfinden sollen: "Das ist ein Trend, der sich vielleicht nicht ewig, aber sicher die nächsten paar Jahre hält". Und als ginge es darum, dieser Hoffnung Nachdruck zu verleihen, reißt der Himmel im Laufe dieses Tages tatsächlich noch einmal auf und beglückt die Stadt mit ein paar Sonnenstrahlen.

Womöglich ein Zeichen für den Aufbruch in ein Zeitalter, in dem das Rauschhafte und das Maßvolle seinen Ausgleich feiert - die Geburt eines ausgewogenen Lebensstils aus dem Geiste der Elektrobeats.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: