Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Was gibt's zum Essen?:Ochsen, Hendl und der grüne Schorsch

Lesezeit: 4 min

Vom sauberen Trinkwasser aus dem Mangfalltal bis zur biologisch erzeugten Kindergartenkost: Was anfangs als Spielwiese von Öko-Exoten galt, hat sich im Laufe der Zeit zum Standard für die Rathauspolitik entwickelt.

Von Franz Kotteder

Ans Essen hatte erst mal niemand gedacht. Als 1980 das städtische Umweltreferat gegründet wurde - unter der CSU-Alleinregierung und dem Oberbürgermeister Erich Kiesl übrigens, auch das angeblich weltweit erste Umweltministerium war 1970 in Bayern entstanden -, dachte man eher an klassische Gefahrenlagen wie die Luftverschmutzung und Altlasten im Boden. Umweltreferent Rüdiger Schweikl (CSU) erlangte vor allem Berühmtheit durch seinen Saugrüssel: Das ist nicht so ordinär, wie es klingt, es handelte sich dabei um eine in München entwickelte Vorrichtung für Zapfpistolen an Tankstellen, mit denen der sich beim Tanken entwickelnde Benzindampf abgesaugt und wiederverwertet werden konnte.

Die Themen lauteten damals: bleifreies Benzin, Giftstoffe im Erdreich, Waldsterben. An Klimawandel dachten bestenfalls ein paar nerdige Forscher und schrullige Professoren, die Lehrstühle in Orchideenfächern innehatten. Und mit "Ernährungswende" assoziierte man bestenfalls ein Manöver beim Segeln, wenn der Skipper eine Hafenkneipe gesichtet hatte, oder den Wandel in den Essgewohnheiten vom Daheimkochen hin zum Fastfoodlokal und der telefonischen Bestellung beim Pizzaservice.

So nach und nach geriet aber dann doch die Nahrungsmittelproduktion ins öffentliche ökologische Bewusstsein. 1984 hatte Georg Kronawitter (SPD) spektakulär die Wahl gegen Kiesl gewonnen. Und 1990 machte er seinem Spitznamen "Der grüne Schorsch", den er sich durch seinen Einsatz für Parks und Grünflächen erwarb, alle Ehre, als er eine neue Rathauskoalition mit den Grünen und der Rosa Liste schmiedete. Kronawitter war zwar Sozialdemokrat durch und durch, aber das fast schon explosive wirtschaftliche Wachstum der Stadt sah er ebenso skeptisch wie viele Grüne. Seine Tiraden über den "gewaltigen Druck im Dampfkessel München" und die Klage über die Mieter seiner Stadt, die "ausgenommen werden wie Weihnachtsgänse", konnten die Rathausreporter in den letzten Jahren seiner Amtszeit wortwörtlich mitsprechen, so oft wiederholte er sie.

Das rot-grüne Bündnis hielt am Ende 24 Jahre lang, länger als jedes andere in einer Großstadt. Im Nachhinein schreibt sich zwar jede Partei die Erfolge auf ihre Fahnen und macht für das weniger Geglückte die andere verantwortlich. Aber im Großen und Ganzen zog man letztlich doch häufig an einem Strang. Jedenfalls, was die ökologische Nahrungsmittelerzeugung anging. Die war anfangs noch etwas für Ökoexoten, in den wenigen Bioläden der Stadt standen meist spindeldürre Typen mit Norwegerpullis und Fusselbärten, und das Gemüse in der Auslage war bei weitem nicht so blankpoliert wie im Supermarkt. Diesem Klischeebild entsprach die Münchner Grünen-Fraktion allerdings nur rudimentär, und dass der Grüne Georg Welsch phänotypisch dem Idealbild eines gestandenen Bayern ähnelte, hat seiner Akzeptanz bei den anderen Rathausparteien sicher nicht geschadet. So wurde er aufgrund eines Deals zwischen Grünen und CSU bereits 1987 zum städtischen Kommunalreferenten gewählt.

Gestritten wurde im Großen Sitzungssaal am Marienplatz vor allem über Stadtplanung, Verkehr und Mieten. Umweltschutz und Ernährung war eine Spielwiese, die man gerne den Ökos überließ. Und vom Grundsatz her war man ja irgendwie schon auch dafür, quer durch die Parteien.

600 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche unterhält die Stadt

Es ist dann doch erstaunlich viel passiert. Was sicher nicht bloß deshalb gegangen ist, weil die Grünen in der Rathauskantine ein vegetarisches Gericht pro Woche durchsetzten, sondern weil die gesellschaftliche Stimmung dahin ging. Von den zehn städtischen Gütern rund um die Stadt - immerhin 600 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche - wurden fünf auf ökologischen Landbau umgestellt. Auf dem Gut Karlshof, bekannt für seine fast 600 Ochsen, ist diese Umstellung bis heute zwar noch nicht möglich, weil dazu das gesamte Futter für die Tiere auf eigenem Grund erzeugt werden müsste, wofür der Platz fehlt. Aber es gab bald eine Biogasanlage dort, immerhin. Die städtischen Wälder, die mit 5000 Hektar eine Fläche von der Hälfte des Starnberger Sees umfassen, wurden zu ökologisch bewirtschafteten Mischwäldern. Überall dort, wo es möglich war, wurden in der Stadt Streuobstwiesen, Hecken und Flächen für Wiesnbrüter angelegt. Ein Teil des Dachauer Mooses, der der Stadt gehört, wurde renaturiert mit stolzen Erfolgen, was die Artenvielfalt angeht. Und beim Tierschutz sorgte man dafür, dass Tiertransporte beschränkt wurden: Der Münchner Schlachthof durfte nach einem Beschluss des Stadtrats keine Tiere mehr annehmen, die aus einer Entfernung von mehr als 300 Kilometer hergekarrt wurden oder länger als sechs Stunden transportiert worden waren. Das Angebot an Wochenmärkten in den Stadtvierteln stieg stark an, bald gab es auf jedem auch Bio-Stände, und die ersten zwei reinen Ökömarkte entstanden.

Den bedeutendsten Fortschritt in Sachen Lebensmittelsicherheit erreichten aber die Stadtwerke. Bereits Anfang der Neunzigerjahre schlossen sie Verträge mit fast allen Landwirten im südlichen Taubenberggebiet auf einer Anbaufläche von gut 1000 Hektar. Dort im Mangfalltal befindet sich das größte Trinkwasserreservoir der Stadt. Die Bauern stellten auf ökologische Landwirtschaft um, erhielten dafür gute Ausgleichszahlungen und sicherten so die hohe Qualität des Münchner Trinkwassers, die in ganz Europa als vorbildlich gilt. Das nützt den Münchnern, aber auch dem Rest des Landes.

Parallel dazu wuchs die Akzeptanz in der Stadtgesellschaft, Initiativen und Vereine entstanden, die sich mit dem Thema Ökologie in der Stadt befassten. Das Tollwoodfestival etwa förderte Bioernährung an Schulen und Kindergärten und rief gegen Massentierhaltung ein Aktionsbündnis Artgerechtes München ins Leben, das in kürzester Zeit mehr als 90 000 Unterstützer fand. Und München, das sich 2006 zur "Biostadt" erklärt und sich verpflichtet hatte, ökologische Grundsätze einzuhalten, änderte die Vorgaben dort, wo es möglich war. In Kindergärten, Schulmensen und Kantinen wurde mehr und mehr Biokost angeboten. Bei städtischen Empfängen achtete man darauf, woher die Verköstigung stammte, und selbst auf dem Oktoberfest und bei den Dulten gab es bei der Zulassung von Schaustellern und Gastronomen Zusatzpunkte für umweltgerechte Ausstattung und biologisch erzeugte Lebensmittel.

Ein herber Rückschlag folgte freilich in der letzten Wahlperiode des Stadtrats. Da setzte die CSU trotz wütenden Widerstands vieler Initiativen 2017 durch, dass bei der Zulassung zur Wiesn Lebensmittel, die aus bis zu 200 Kilometer Umkreis um die Stadt herum angeliefert werden, genauso viel zählen wie biologisch erzeugte. Das Hendl aus dem niederbayerischen Massenstall mit industrieller Tierproduktion war also plötzlich wieder genauso viel wert wie ein artgerecht aufgewachsenes Biohendl aus Österreich. Das war etwas merkwürdig, denn die Landespartei war damals schon viel weiter. Der damalige Landwirtschaftsminister Helmut Brunner (CSU) hatte gerade das bayerische Biosiegel eingeführt, das bis heute bundesweit als fortschrittlichstes auf Länderebene gilt.

Man kann aber davon ausgehen, dass dieser Beschluss noch vor dem nächsten Oktoberfest vom Stadtrat wieder revidiert werden wird. Selbst in der CSU-Fraktion ist heute kaum noch jemand begeistert von der damaligen Entscheidung, auch wenn man "Produkte aus der Region" schon wegen der besseren Klimabilanz wichtig findet. Die SPD hatte eh nur wegen der Koalitionsvereinbarung mit der CSU zähneknirschend zugestimmt, und ihr ehemaliger Zuchtmeister Alexander Reissl sitzt inzwischen auf der anderen Seite des politischen Spektrums.

Tatsächlich hat sich viel verändert in der Einstellung zur Ernährungspolitik, in der Stadtgesellschaft ebenso wie im Rathaus. Über "Körndlfresser" und "Kohlrabi-Apostel", wie vor 40 Jahren, lachen heute nur noch die wenigsten.

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Quelle:
SZ vom 25.05.2021
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