Ein Jahr nach Angriffen im Englischen Garten:Körperverletzung und schwerer Landfriedensbruch

Ein Jahr nach Angriffen im Englischen Garten: Einsatz mit Folgen: Als die Polizei am 8. Mai 2021 nach einer Schlägerei eingriff, eskalierte die Situation.

Einsatz mit Folgen: Als die Polizei am 8. Mai 2021 nach einer Schlägerei eingriff, eskalierte die Situation.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Vor einem Jahr wurden 19 Beamte durch Flaschenwürfe verletzt. Noch ist kein einziges Verfahren gegen Tatverdächtige eingeleitet. Die Ermittlungen erweisen sich als sehr komplex, nähern sich aber inzwischen dem Ende.

Von Joachim Mölter

Thomas Hampel war gerade ein halbes Jahr im Amt des Münchner Polizeipräsidenten, als er die erste große Krise erlebte: 19 verletzte Polizistinnen und Polizisten auf einen Schlag. Im Englischen Garten war ein Einsatz eskaliert, als Beamte zu einer Schlägerei kamen, die sich infolge einer sexuellen Belästigung entwickelt hatte. Offenbar im Glauben, da begehrten Jugendliche gegen Corona-Maßnahmen auf, mobilisierten sich mehrere Dutzend in der Nähe weilende Heranwachsende.

Sie beschimpften die Beamten und bewarfen sie mit Flaschen; Prellungen und Schnittwunden waren die Folge. Das Entsetzen bei Politik und Polizei war groß. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) versprach: "Die Gewalttäter werden Konsequenzen tragen müssen." Auch Hampel fand es damals wichtig, "dass diese Ereignisse mit strafrechtlichen Konsequenzen enden. Das ist ein Signal, das die Täter verstehen. Und den Beamten hilft es bei der Verarbeitung des Erlebten".

Am 8. Mai, also am Sonntag, jährt sich der öffentlichkeitswirksame Angriff auf die Polizisten im Englischen Garten, aber bislang hat noch niemand Konsequenzen tragen müssen. Noch ist kein Täter verurteilt, kein Verfahren eingeleitet, nicht einmal ein Aktenzeichen angelegt worden. Wie auch, wenn die Polizei noch gar keine Akten an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet hat, wie deren Sprecherin Anne Leiding auf Anfrage bestätigte?

Das bedeute freilich nicht, dass die Staatsanwaltschaft nicht informiert sei über den Stand der Dinge, fügte Leiding umgehend hinzu. Der verantwortliche Abteilungsleiter hat sich frühzeitig mit dem für jugendtypische Gewalttaten zuständigen Kommissariat 23 darauf verständigt, die Ermittlungsergebnisse nicht einzeln, sondern gebündelt abzugeben, als Gesamtkomplex. Das ist durchaus üblich, wenn keine Haftgründe vorliegen, die nach einem Zwischenbericht verlangen. Womit ein Vorgang dann auch offiziell bei der Staatsanwaltschaft landet.

In Sachen Englischer Garten stünden die Ermittlungen kurz vor dem Abschluss, versichert Andreas Franken, der Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums. Die Dauer der Untersuchungen hänge immer davon ab, wie komplex ein Fall sei, erklärt er, "und der hier ist eindeutig sehr komplex".

Es gibt 48 Beschuldigte, aber erst 13 gelten schon als identifiziert

Im Zuge ihrer Arbeit haben die Kriminalbeamten insgesamt 52 Videos mit einer Gesamtlaufzeit von rund zehn Stunden gesichtet. Darauf seien mehr als 100 Personen zu erkennen gewesen, sagt Franken: 48 werden nun einer Tatbeteiligung beschuldigt, aber erst 13 sind schon identifiziert. Auch mit Hilfe von Super-Recognizern - Beamten mit der Fähigkeit, sich besonders gut Gesichter merken zu können. Derzeit glaubt das Kommissariat 23 mindestens 31 Fälle der gefährlichen Körperverletzung mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte nachweisen zu können, zudem 13 Beleidigungen.

Hinzu kommt achtmal der Vorwurf des leichten und 20 Mal der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs. Der liegt vor bei Gewalttätigkeiten, die aus einer Menschenmenge heraus begangen werden; schwere Fälle sind es, wenn ein Täter zudem "eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt" und andere Menschen "in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt", wie es in Paragraph 125a des Strafgesetzbuches heißt.

Externe Kritik, dass die Ermittlungen der Münchner Polizei zu schleppend verlaufen, ist nicht bekannt. Oberstaatsanwältin Leiding weist darauf hin, dass es trotz großer Menschenmengen oft schwierig sei, Zeugen zu finden, die aussagten, dass ein Nebenmann, eine Nebenfrau etwas geworfen habe. Das sei beim Oktoberfest ähnlich, wenn dort im Schutz der Masse Masskrüge flögen.

Peter Pytlik, der bayerische Landesvorsitzende in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), äußert sich ähnlich zurückhaltend. Es sei zwar auch aus Sicht von Polizisten und Polizistinnen verständlich, "dass man sich als Opfer einer Straftat eine schnelle Aufklärung der Tat verspricht und auch eine zeitnahe strafrechtliche Ahndung wünscht". Auf der anderen Seite müssten die Ermittlungen "natürlich sorgfältig geführt werden, was gerade bei komplexen Tathergängen Zeit in Anspruch nehmen kann". Oberste Prämisse sei jedenfalls, "jede Tat beweiskräftig aufzuklären".

So ganz ergebnislos seien die bisherigen Ermittlungen im Übrigen nicht gewesen, sagt Polizeisprecher Franken: Weil die Beamten des Kommissariats 23 ja nicht bloß mit einem Fall beschäftigt sind, sind sie bei einem anderen auf einige Bekannte aus dem Englischen Garten gestoßen. Die hatten im Juli in Pullach auch eine Party aufgemischt; auf den sichergestellten Videos erkannten die Ermittler sie wieder. Die Erkenntnisse aus beiden Fällen haben die Ermittler schon mal zusammengelegt und der Staatsanwaltschaft übermittelt. In diesem Fall sind bereits Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Raubes im Gange. Immerhin.

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