Süddeutsche Zeitung

Mitten in Schwabing:Konzert-Leben im Englischen Garten

Der Englische Garten lockt mit viel Grün - und mit vielen sonstigen Überraschungen

Kolumne von Nicole Graner

Es tut gut, in diesen Zeiten einfach nur lange spazieren zu gehen. Gedanklich auszusteigen aus unzähligen Pixeln, in die man im Home-Office Stunde um Stunde starrt. Plötzlich sieht man wieder farbig, weil das Auge endlich in die Weite blicken kann. Und wieder wird einem bewusst, wie gut es die Münchner haben. So viele grüne Schlupfwinkel: die Isar, der Englische Garten. Und auch wenn man regelmäßig als Hundebesitzer durch das Grün streift, entdeckt man gerade im Nordteil des Parks immer wieder neue Wege, kleine Trampelpfade, die findige Spaziergänger geschlagen haben. Und weil man sie nicht kennt, geht man sie einfach auch einmal - um plötzlich am kleinen Libellenteich aufzuschlagen oder Biberspuren an der Isar zu entdecken.

Besonders im hinteren, östlichen Teil des Parks ist es ruhig. Kein Wunder also, dass sich an schönen Tagen die Menschen, die Einsamkeit suchen, an stillen Plätzchen - zum Beispiel in zwischen zwei Bäumen gespannten Hängematten - erholen, Bücher lesen, dösen. Oder gar, hinter einem Gebüsch versteckt, Trompete üben. Die Tonleitern rauf, die Tonleitern runter. Ein paar Triller, ein paar Schlenker. Und ein paar Melodien. Schön ist das. Und offenbar ist der Englische Garten zu einem kleinen Proberaum für alle geworden. Denn nur ein paar Wiesen weiter, singt eine Frau im warmen Alt ein paar Lieder. Sie sind dem Spaziergänger unbekannt. Auf die Frage, was sie da singt, will sie nicht antworten, winkt nur und lächelt. Singt weiter und wiegt sich ein bisschen hin und her.

Und auf dem Rückweg in Richtung Osterwaldstraße noch einmal Musik: Sie scheint vom Amphitheater zu kommen. Das leise Schlagen der Trommel, warme Basstöne und Gitarrensound. Sogar eine Geige ist dabei. Und magisch angezogen vom Guten-Laune-Swing, entdeckt man sie, die Musiker, die einfach spielen. Mit Abstand, mit Hut, mit glücklichen Lächeln auf den Gesichtern. Schnell haben sich die Menschen um die Musiker geschart. Picknick-Decken ausgepackt. Kinder sausen zwischen den Spielenden hindurch, Hunde blinzeln auf der Wiese schläfrig in die Sonne. "Ach, ist das schön", sagt eine ältere Dame, die gerade mit dem Fahrrad gekommen ist. Sie packt ihre Jacke aus dem Rucksack, legt sie auf den Boden und taucht ab in die Welt der Töne. Summt vor sich hin. Dann packt sie einen kleinen Piccolo-Sekt aus, ein kleines Gläschen. Und genießt.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2020
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