Münchner Alternative-Rockband:"Wo andere Bands aufgegeben haben, kämpften wir weiter"

Münchner Alternative-Rockband: Teenager ein Leben lang: Die Emil Bulls sehen sich als Rock'n'Roller. Von links: James Richardson, Stephan Karl, Fabian Füss, Andy Bock und Christoph von Freydorf.

Teenager ein Leben lang: Die Emil Bulls sehen sich als Rock'n'Roller. Von links: James Richardson, Stephan Karl, Fabian Füss, Andy Bock und Christoph von Freydorf.

(Foto: Holger Fichtner)

Eigentlich wollten die "Emil Bulls" ihr 25-jähriges Bestehen mit neuem Album auf großer Tour feiern, stattdessen arbeiten sie ihren Werdegang von der Schüler- zur Top-Ten-Band in einem schon 46-teiligen Podcast auf.

Von Michael Zirnstein

Christoph Karl Eugen Speiche von Freydorf, Kampfname "Christ", ist nicht nur ein veritabler Rockstar, er ist auch ein vorbildlicher Fan. So zog der Frontmann der Münchner Band Emil Bulls gerade los, um Tickets für das Konzert der Kollegen My Chemical Romance im Juni 2022 zu kaufen. "Habe ich noch nie gesehen, da freue ich mich drauf", erklärt der 44-Jährige. Nun spielen die amerikanischen Kollegen in einer anderen Liga, nämlich in der Olympiahalle, aber auch sie brauchen in der Pandemie solch Zuspruch und Unterstützung. Und wer mag, kann Gemeinsamkeiten beider Alternative-Rock-Gruppen finden, zum Beispiel in der Experimentierlust. Während die US-Romantiker zuletzt die Original Liza Minelli auf ihr Album holten, spielten die Emil Bulls auf ihrem jüngsten - "Mixtape" - aus 300 Lieblingsliedern ausgewählte Songs von Billy Eilish, Ed Sheeran, Bruno Mars und Destiny's Child nach, also von Vorbildern, die man nicht als solche bei den Metal-Haudraufs vermuten würde. Wobei Bulls-Fans freilich deren brachiales Cover von "Take On Me" der norwegischen Popper Aha kennen, lange ein Live-Hammer, dann vor 20 Jahren ein Hit auf "Angel Delivery Service", ihrem Major-Label-Debüt bei Universal Music.

Auch mal die Pop-Instinkte der raubeinigen Anhängerschaft bedienen, das ist sicher eine der Zutaten ihres Erfolgsrezepts, mit dem sie sich nun seit gut 25 Jahren im Rock-Geschäft halten. Was sie dieser Tage auf dem großen Finale ihrer Jubiläums-Tour feiern würden, hätten sie diese nicht abgesagt, und das schon vor den offiziellen Beschlüssen, weil sie "dem Sparifankal Corona keine Spielwiese bieten" wollten, wie Freydorf sagt. Oder: "Sitz- oder Abstandkonzerte und die Emil Bulls, das passt einfach nicht zusammen."

"Auf-die-Schnauze-Nummern" und Balladen - diese Brüche waren immer ihre Handschrift

Ansonsten lebt die Band gut von Brüchen: jene zwischen metalligen, punkigen, grungigen Doppel-Gitarrenattacken nebst Freydorfs Geschrei und dann eben balladesken Melodien mit emotionalem Gesang. "Auf-die-Schnauze-Nummern" und Balladen, das war immer ihre Handschrift. Auch als sie sich zwischendurch, nach zwei Alben von ihrer Plattenfirma fallengelassen, hinsetzten und fragten, ob's nicht vielleicht doch "an der falschen Mucke" lag? "Nein", sagt Freydorf, sie hielten an ihrem Stil fest. Den ordneten andere anfangs schon mal Grunge und Punk zu, dann nannte man das - als sie auch rappten, einen DJ auf der Bühne hatten und fesche Frisuren hatten - Nu Metal oder je nach gerade gefragtem Trend-Sound Crossover, Alternative Metal, Groove-, Skate-, Funk- und Emo-Core, Stoner Rock und beim jüngsten normalen Album "Kill Your Demons" von 2017 gar der härtesten Gangart Thrash Metal.

Sie selbst sagen, sie seien Rock'n'Roller. Das ist mehr eine Lebenseinstellung, die damals in der großen Krise auf dem Prüfstand stand: Ob man nun nicht lieber "was Vernünftiges" machen solle? Einer hörte auf, studierte Elektrotechnik. Die anderen wollten, konnten nicht anders, setzten voll aufs Risiko, "scheißegal, wir ziehen unseren utopistischen Traum durch", standen die schwierige Zeit mit dem Stigma "von einer Plattenfirma gedroppte Band" durch. Motto: "We'll never stopp, we'll never give up, hungry at heart" (aus "Nothing in this world"). Von 2009 an ging es bergauf bis in die Album-Top-Ten, vor allem zu den großen Open-Airs und auf ausverkauften Tourneen in die Rockhallen. "Wo andere Bands aufgegeben haben, kämpften wir weiter", sagt der Sänger. Sie hatten es jetzt selbst in der Hand, wussten auch mit der Band-Kasse hauszuhalten und nicht wie die Plattenfirma etwa mit teuren Fernsehwerbespots vor Teeny-TV-Sendungen wie "Buffy im Bann der Dämonen" Geld zu verbrennen.

Münchner Alternative-Rockband: "Sitz- und Abstandskonzerte und die Emil Bulls passen nicht zusammen." Hier spielt die Band beim Free & Easy Festival in ihrem "Wohnzimmer", dem Münchner Backstage.

"Sitz- und Abstandskonzerte und die Emil Bulls passen nicht zusammen." Hier spielt die Band beim Free & Easy Festival in ihrem "Wohnzimmer", dem Münchner Backstage.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ihr Finanzpolster ist nun nach zwei Jahren quasi ohne Einnahmen abgeschmolzen. Freydorf appelliert an die Politik, mehr zu tun für die Rock-Künste, "denn viele Bands und Clubs wird es bald nicht mehr geben". Bis zu den inzwischen dritten Terminen der Jubiläumstour im Herbst 2022 halten sie durch. Dann sind sie eigentlich schon 27, aber die Band sagt: "Bis der ganze Bumms rum ist, bleiben wir 25." Forever young, der alte Rock'n'Roll-Traum - tatsächlich sehen die fünf, zumindest von den mittleren Reihen aus - noch wie Teenager aus. Aufgedreht, bisweilen lümmelhaft wie einst im Probenraum am Klostergymnasium Hohenschäftlarn, wirken sie auch in ihren einzigen Auftritten momentan: ihrer "Emil Bulls Radioshow" auf Radio Bob und dem zugehörigen Podcast, der es auf 10 000 Zuhörer pro Folge bringt.

In "Mud, Blood & Beer", autobiografisch benannt nach einem eigenen Song und einem Zitat von Johnny Cash, erzählen sie - meist der Sänger im Dialog-Pingpong mit dem Ur-Gitarristen Stephan Karl "Moik", aber auch mal mit den anderen dreien James "Citnoh" Richardson (Bass), Andy "Bocko" Bock (Gitarre) und Fabian "Fab" Füß (Schlagzeug) - in nun bereits seit 46 Teilen das Werden von der Schülerband zur Profitruppe. Wie Freydorf nach einem Konzert der Szene-Pioniere Freaking Fukin Weardoz auf Tollwood selbst so eine Alternative-Truppe gründen wollte, wie sie als Revoluzzer mit Platten wie "Red Dick's Potato Garden" "den Satan in die Klosterhallen" einziehen ließen, wie sie um München herum überall spielten, "wo eine Steckdose ist", wie sie im Emergenza-Bandwettbewerb bis auf Platz 3 im Londoner Europa-Finale schafften, wie die Branchen-Primusse Linkin Park sie lobpreisten und persönlich als Vorband einluden, wie sie es später dank ihres international konkurrenzfähigen Sounds fast in Nordamerika schafften, was aber nicht so nachhaltig war wie ihre Abenteuer bei den "irren Fans" in Russland. "Eigentlich wollten wir im Frühjahr wieder rüber, mal sehen, was wegen Corona und der Ukraine-Krise geht", sagt Freydorf.

Münchner Alternative-Rockband: Gitarrenattacken und zum Teil emotionaler Gesang sind die Handschrift der Emil Bulls.

Gitarrenattacken und zum Teil emotionaler Gesang sind die Handschrift der Emil Bulls.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Eigentlich" ist das Unwort der Corona-Jahre: Eigentlich wollten sie zum 20-Jährigen ihres Major-Debüts in Ur-Besetzung samt DJ Zamzoe auf eine spezielle kleine Clubtour gehen, eigentlich wollten sie auf den großen Open-Airs spielen, eigentlich wollten sie längst das neue Album herausbringen, aber ohne Tour fühle sich das nur halb an: "Das hat uns gelähmt, du brauchst ein Ziel, auf das du hinarbeitest." Die Demos sind aber da, sie handeln nicht von Corona, "das hat kein Song verdient", verspricht der Texter Freydorf. Dann also 2022 zu den Festivals und zur großen "25 to Life"-Tour mit dem großen Finale nicht im Zenith, sondern - sicher ist sicher - aufgeteilt auf zwei Shows im Backstage. Dass die Fans mitziehen, dessen ist sich der Sänger sicher: Kaum einer hat Tickets der abgesagten Shows zurückgegeben. Vorbildlich.

Emil Bulls, "25 To Life"-Jubiläumstour, 16. September 2022 Nürnberg, 9./10. Dezember München, Backstage

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