Süddeutsche Zeitung

München:Einschaltquote ist nicht alles

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Der Livestream aus der Sitzung des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann hat trotz technischer Tücken gut geklappt. In anderen Gremien wurde die Premiere äußerst interessiert verfolgt - mit Nachahmern ist zu rechnen

Von Lea Kramer, Stefan Mühleisen undSonja Niesmann, München

Womöglich waren manche etwas ermattet von der Debatte um das architektonische Konzept zum U-Bahnhof Giselastraße, oder es war einfach Zeit für eine Pinkelpause. Jedenfalls war die Zahl der Zuschauer um 21.30 Uhr auf fünf Personen geschrumpft. "Jetzt muss es der Ekke rausreißen", scherzte Patric Wolf (CSU), Vorsitzender des Bezirksausschusses (BA) Schwabing-Freimann - und bat Unterausschusssprecher Ekkehard Pascoe (Grüne) um seinen Bericht. Es war ein heiterer Moment und nur ein kurzes Einschaltquotentief in einer Premiere, die Strahlkraft haben dürfte für alle Münchner Lokalgremien.

Am Dienstagabend kam der Livestream der BA-Sitzung im Oskar-von-Miller-Gymnasium auf der Videoplattform Youtube in Summe auf 273 Aufrufe; in der Spitze waren 35 eingeloggt. Prompt gab's Glückwünsche aus Neuhausen-Nymphenburg. "Gratulation, dass ihr das hinbekommen habt", applaudierte die BA-Vorsitzende und Grünen-Stadträtin Anna Hanusch per E-Mail, wie Wolf berichtet. Er hat die Vorbereitung in Eigenregie gestemmt, dazu die Technik gesteuert - und zeigt sich hocherfreut über das geglückte erste Mal. "Es war anstrengend, hat aber großen Spaß gemacht. Und wir haben die Zahl der Besucher, die auch nur kommen, wenn es Ärger im Viertel gibt, verdreifacht."

Dabei ist es nicht überraschend, dass diesem ersten BA-Stream so viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Seit Monaten wünschen sich die Stadtviertelgremien, ihre Vollversammlungen online zu zeigen - so wie es im Stadtratsplenum längst üblich ist. Im BA Berg am Laim, der gleichzeitig tagte, hatte Stefan Hofmeir (Freie Wähler/ÖDP), Internetbeauftragter des Gremiums, eigens zwei Laptops dabei, um zu schauen, wie sich Patric Wolf so schlägt.

Das Direktorium, zuständig für BA-Angelegenheiten, hat Datenschutz-Bedenken inzwischen ausgeräumt; all jene, die in der Liveschalte zu sehen sind, müssen eine Einwilligungserklärung abgeben. Dennoch: Die Behörde gibt zu bedenken, dass die Gremien den personellen und finanziellen Aufwand, etwa für einen externen Dienstleister, selbst tragen müssen. Etwa 1500 Euro pro Sitzung wären das, rechnete Martin Züchner vor, der Digitalbeauftragte im Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg, der am Dienstagabend das Thema Livestream ebenfalls auf der Tagesordnung hatte. Und, so Züchner, falls man gleich mehrere Sitzungen in Auftrag gebe und über die 5000 Euro komme, sei ein Vergabeverfahren, eventuell sogar europaweit, nötig. Etwas erschrocken über diese Summen und den Aufwand mochte sich das Gremium nicht zu einem Alleingang durchringen, sondern beschloss zu eruieren, ob man sich mit anderen Bezirksausschüssen zusammenschließen könnte.

Der BA Schwabing-Freimann kam fast ohne fremde Hilfe aus und damit ziemlich billig weg, sprich: Patric Wolf zog das, mit Tipps von der städtischen IT, im Alleingang durch. Der Rechtsanwalt ist kein IT-Experte, beschreibt sich als technikaffinen Autodidakten. Er fand heraus: Nötig sind zwei Notebooks (ein privates und eines, das BA-Vorsitzende gestellt bekommen) sowie zwei Webcams, wovon Wolf eine kaufte (110 Euro), dazu noch eine Audio-Box (90 Euro). Die brauchte es, um gleich einen Stream mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad durchzuziehen. In der Sitzung waren nämlich drei Mitarbeiter der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) aus dem Home-Office zugeschaltet, die das Konzept für den U-Bahnhof Giselastraße erklärten. Sie mussten auf der Leinwand im Saal und zu Hause an den Bildschirmen zu sehen sein, ebenso die dort gezeigten Simulationen, unterdessen die MVG-Leute hören mussten, was im Saal gesprochen wird. "Noch drei Stunden vor der Sitzung hat ein Rechner die Webcam nicht erkannt, bis ich den USB-Port gewechselt habe", erzählt Wolf.

Das sind Probleme, denen sich Stefan Hofmeir wohl bald ausgesetzt sieht. Er bot an, den Stream für den BA Berg am Laim über die Server seiner Firma zu organisieren; das Equipment steht offenbar bereit, derweil der BA Trudering, wie verlautete, beantragt hat, den Sitzungssaal, das Kulturzentrum Trudering, mit Kameras auszustatten. Allerdings kann so ein Livestream ungeahnte Tücken haben.

Die Sendung aus dem Oskar-von-Miller-Gymnasium brach nach zweienhalb Stunden ab, Zwangspause für 28 Zuschauer. Youtube, so zeigte sich, schaltet nach drei Stunden von sich aus ab. Wolf stellte eilig einen neuen Link online. Doch nach 14 Minuten war auch diese Übertragung zu Ende. Das Datenvolumen des Internet-Hotspots, von der Stadt gestellt, war aufgebraucht, 2,3 Gigabyte weggestreamt. "In der Märzsitzung sind wir besser vorbereitet", kündigt Wolf an. Vielleicht wächst auch die Fangemeinde. Immerhin vier Teilnehmer haben mit einem Klick auf das "Mag ich"-Icon einen "Like" hinterlassen.

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SZ vom 25.02.2021
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