München:Eine lange Brief-Affäre

München: Eine Art Magnetismus war es, der die britischen Autorinnen Vita Sackville-West (Theresa Hanich, links) und Virginia Woolf (Julia Loibl) verband.

Eine Art Magnetismus war es, der die britischen Autorinnen Vita Sackville-West (Theresa Hanich, links) und Virginia Woolf (Julia Loibl) verband.

(Foto: Robert Haas)

In ihrem winzigen Theater "Mathilde Westend" bringen Theresa Hanich und Julia Loibl die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Vita Sackville-West und Virginia Woolf auf die Bühne

Von Stefanie Schwetz

Zwei Frauen, Schriftstellerinnen. Die eine Vita Sackville-West, Diplomatengattin und in den besseren Kreisen der Welt zu Hause. Die andere Virginia Woolf, Intellektuelle, Feministin und Mitglied der aus Literaten, Malern und Wissenschaftlern bestehenden Londoner Bloomsbury Group. Sie sind die Protagonistinnen des Stücks "Vita & Virginia" der britischen Schauspielerin und Drehbuchautorin Eileen Atkins, das am 12. Januar im kleinen Theater "Mathilde Westend" Premiere hat. Theresa Hanich und Julia Loibl spielen die beiden Frauen, modellieren 90 Minuten lang in szenischen Dialogen deren Charaktere, loten persönliche und gesellschaftliche Stimmungen aus und entwerfen damit nicht nur das Bild einer Frauenfreundschaft, sondern auch das einer Epoche zwischen Zwang und Befreiung.

Im Jahr 1921 lernen sich Vita und Virginia in London kennen und pflegen bis zu Woolfs Freitod 1941 eine ganz spezielle Beziehung, die sich aus Gemeinsamkeiten und Gegensätzen speist. Auf der einen Seite die junge, lebenshungrige Vita, eine burschikose Erscheinung, offen, charmant und schlagfertig: "Ich bin nicht die geborene Diplomatengattin. Ich habe das Gefühl, der nächste, der mir die Hand küsst, bekommt eine Ohrfeige."

Auf der anderen Seite die feingliedrige Gestalt der zehn Jahre älteren Virginia, geistreich, depressiv und hin und hergerissen zwischen Intellekt und Intuition. Und obwohl sie sich in ihren Texten mit den realen Lebensverhältnissen von Frauen beschäftigt, wirkt sie selbst zuweilen nicht ganz von dieser Welt. "Für jeden, der schreibt, ist es fatal, an sein Geschlecht zu denken. Es ist fatal, einfach ein Mann oder eine Frau zu sein. Es wäre besser, Frau-männlich oder Mann-weiblich zu sein." Gemeinsam ist den beiden Frauen die Schriftstellerei. Unabhängig von gesellschaftlichen Konventionen beflügeln sie sich auf geistig-erotische Weise, während ihre Ehemänner familiäre Verlässlichkeit und die notwendigen Freiräume garantieren.

Von ihrer Freundschaft zeugen mehr als 700 Briefe, die sich Vita und Virginia über Jahre schrieben - Sätze zwischen Nähe und Distanz, Offenbarung und Reserviertheit, Begierde und Zurückweisung, die Eileen Atkins in ihrem Drehbuch verarbeitet hat. Theresa Hanich und Julia Loibl haben sich dieser Geschichte angenommen und beweisen damit erneut ihre Affinität zu Schriftstellerinnen. Vor gut einem Jahr hatten sie sich in der Produktion "Tage des Schreckens, der Verzweiflung und der Weltverbesserung" der amerikanischen Autorin Dorothy Parker gewidmet. Nun also Vita Sackville-West und Virginia Woolf. "Unsere Ideen zum Bühnenbild, zu den Kostümen, zur Umsetzung stimmen so erstaunlich überein, dass innerhalb von ein paar Tagen die Welt der beiden Frauen in unserem Theater erschaffen war", begeistern sich Theresa Hanich und Julia Loibl, deren Theater nur 17 Plätze hat.

Wie aber lässt sich das Verhältnis von Vita und Virginia definieren? Und wie wird diese Beziehung auf der Bühne lebendig? Da ist einmal die opulente Welt der extrovertierten Vita, roter Samt und prächtig blühende Pflanzen. Und da ist gleichzeitig der lichte, mit selbst auferlegter Strenge gestaltete Lebensraum von Virginia, viel Weiß und filigrane Pflanzenbilder in sorgfältig angeordneten Rahmen. Für den Zuschauer indes scheinen diese beiden sehr unterschiedlichen Kulissen mit dem Zusammentreffen der beiden Freundinnen auf der Bühne zu einem einzigen Kosmos zu verschmelzen. Mit kühner Selbstverständlichkeit begeben sich Theresa Hanich in der Rolle der Vita Sackville-West und Julia Loibl als Virginia Woolf in die emotionalen, intellektuellen und künstlerischen Aggregatzustände dieser Frauenfreundschaft, durchstreifen deren Turbulenzen und offenbaren dabei das gegenseitige Ringen um wahre Zuneigung.

"In sexueller Hinsicht war ich immer ein Feigling", gesteht Virginia. Und doch hat sie angesichts ihrer Freundschaft zu Vita "die Illusion, dass man die Welt zum Tanzen bringen kann". Allein der Wechsel der Anrede vom Sie zum Du entpuppt sich als von Höflichkeitsfloskeln verschleierte Anmache. Blicke, suchend, ausweichend und am Ende doch ineinander versinkend. Zarte Berührungen am Ärmel, dann wieder ein unverhofftes Innehalten, ein Rückzug womöglich, der einer Ablehnung gleichkommt? "Ich liebe Virginia, und wer täte das nicht?", beschreibt Vita ihre Gefühle für die Freundin. "Ich fühle mich ihr gegenüber als Beschützerin. Außerdem habe ich eine Todesangst davor, körperliche Gefühle in ihr zu wecken, wegen dem Wahnsinn. Ich weiß nicht, welche Wirkung es haben würde, und das ist ein Feuer, mit dem ich nicht spielen möchte." Was in all diesen Szenen voller Sehnsucht nach Nähe und innigem Glück allerdings deutlich zu Tage tritt, ist die Erkenntnis, dass Gefühle auch immer ein Risiko bergen. Denn zuweilen kommt diese Beziehung an die Grenzen der Zumutbarkeit, wenn die Balance zwischen Freundschaft, Liebe und Erotik aus dem Gleichgewicht zu geraten droht.

Mit ihrem Romanprojekt "Orlando" setzt Virginia Woolf der Freundin gegenüber auf die verbindende Kraft ihrer literarischen Kunst. "Ich will über die Stränge schlagen, und zwar gewaltig." So beschreibt sie das Motiv für jenes Buch, in dem sie Vita verewigt: In Gestalt eines jungen Edelmanns, der sich über die Jahrhunderte in eine im Jahr 1928 lebende Autorin verwandelt. "Ich fühle mich wie eine von diesen Figuren in einem Schaufenster, der du eine mit Juwelen bestickte Robe umgehängt hast", schreibt Vita gerührt an Virginia. Und wie der Roman "Orlando" ist auch Eileen Atkins Stück "Vita & Virginia" Zeugnis einer ungewöhnlichen Freundschaft, die sich zwischen Literatur, Alltag und der Macht der Gefühle bewegte.

Premiere von "Vita & Virginia" am Donnerstag, 12. Januar, 20 Uhr, im "Mathilde Westend" an der Gollierstraße 81. Weitere Termine: 14., 17., 19., 27., 28. und 31. Januar, Karten zum Preis von 22 Euro (15 Euro für Schüler und Studenten) unter mathilde.westend@gmx.de. Einlass: 19.30 Uhr.

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