Zivilurteil der Woche:Pflege geht vor Alter

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Eine Großnichte, die sich um ihre Angehörigen im selben Haus kümmern will, klagt zu Recht wegen Eigenbedarfs - auch wenn ein betagtes Ehepaar dafür ausziehen muss.

Von Andreas Salch

Es gibt Post, auf die man gerne verzichtet. Ein Kündigungsschreiben wegen Eigenbedarfs gehört sicherlich dazu. Zwar haben Mieter ein Widerspruchsrecht. Etwa dann, wenn der Auszug eine besondere Härte bedeuten würde. Im Fall eines älteren Ehepaars hat das Amtsgericht München nun aber zugunsten des Vermieters entschieden. Die Senioren müssen ihre knapp 80 Quadratmeter große Drei-Zimmer-Wohnung in München-Ramersdorf bis zum 31. Dezember dieses Jahres räumen. Das Urteil in dem Zivilverfahren ist inzwischen rechtskräftig (Az. 453 C 3432/21).

Bei dem Vermieter der Wohnung handelte es sich ursprünglich um ein älteres Paar, das im selben Haus lebt wie die Senioren, die jetzt ausziehen müssen. Im Sommer vergangenen Jahres hatten die Eheleute ihre Wohnung an ihre Großnichte gegen eine monatliche Leibrente in Höhe von 800 Euro übertragen. Grund hierfür war, dass sich die Großnichte, die als Klägerin in dem Verfahren auftrat, dazu verpflichtet hatte, ihre beiden über 80-jährigen Verwandten bei Einkäufen, Besorgungen sowie Arztbesuchen zu unterstützen. Die Kündigung wegen Eigenbedarfs begründete die Münchnerin damit, dass sie derzeit für ihre rund 2,7 Kilometer entfernte und 50 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnung 1300 Euro bezahlen müsse. Außerdem arbeite sie nicht erst seit Corona im Homeoffice und benötige deshalb ein Arbeitszimmer. Nicht zuletzt könne sie ihrem Großonkel und ihrer Großtante im Notfall rasch Hilfe leisten, wenn sie im selben Haus wohne.

Der Richter sieht im Bluthochdruck der Seniorin kein Indiz für eine besondere Härte

Das beklagte Ehepaar verwies darauf, dass ihm wegen seiner "engen finanziellen Verhältnisse" die Suche nach einer neuen Wohnung auf dem Münchner Wohnungsmarkt nicht zumutbar sei. Darüber hinaus, so der Ehemann, würde ein Umzug den Zustand seiner gesundheitlich angeschlagenen Frau verschlechtern. Für den Fall des Auszugs aus der Wohnung forderte das beklagte Ehepaar für die zwischenzeitliche Unterbringung seiner beiden Katzen in einer Katzenpension 10 220 Euro und als Ausgleich für eine zu erwartende höhere Miete noch einmal knapp 26 500 Euro. Die Klägerin hatte lediglich 6250 Euro angeboten. Ein Vergleich war nicht zustande gekommen.

Der zuständige Richter gab schließlich der Großnichte recht. Er hatte keinerlei Zweifel an ihren "detaillierten und vollumfänglich nachvollziehbaren" Argumenten und fügte unter anderem hinzu: "Der attestierte Bluthochdruck der gerade über 70-jährigen Beklagten mit Gefahr von Herzinfarkt und Schlaganfall begründet noch nicht die Annahme einer der Kündigung entgegenstehenden besonderen Härte im Sinne des Gesetzes." Was das Urteil für das beklagte Ehepaar bedeutet, dessen war sich der Richter bewusst. Am Ende seines Urteils heißt es: "Angesichts der glaubhaft geschilderten gesundheitlichen Einschränkungen und des ebenfalls fortgeschrittenen Alters der Beklagten bei gleichzeitig beengten finanziellen Verhältnissen sind diese auf dem Mietmarkt im Großraum München zweifellos unterprivilegiert."

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