Süddeutsche Zeitung

Earth Night:"Die Dualität von Tag und Nacht ist sehr wichtig"

In der Earth Night sollen die Menschen weltweit versuchen, möglichst ohne Kunstlicht auszukommen. Der Geschäftsführer von Green City in München erklärt, warum es sinnvoll und entschleunigend ist, öfter mal das Licht auszuschalten.

Interview von Thomas Becker

Donnerstag ab 22 Uhr ist Earth Night: Für eine Nacht soll weltweit das menschengemachte Kunstlicht so weit wie möglich reduziert werden. Ein Gespräch mit Martin Glöckner, Geschäftsführer von Green City, über Nachtfalter und Entschleunigung.

SZ: Herr Glöckner, welchen Schalter werden Sie um 22 Uhr ausknipsen?

Martin Glöckner: Bei uns ist schon vorher alles dunkel, weil wir die Kinder ins Bett gebracht haben. So gegen zehn wird man vielleicht im Wohnzimmer ein kleines Licht anmachen, um sich zu besprechen. Oder auf der Terrasse den Sternenhimmel begutachten, der ja deutlich heller sein dürfte.

Wenn denn viele mitmachen beim Lichtsparen. Was halten Sie von einer Initiative wie der Earth Night?

Grundsätzlich ist das erst mal sehr gut. Es gibt ja schon die Earth Hour im Frühjahr, wo für eine Stunde abgeschaltet wird. Dabei wird eher auf Stromverbrauch hingewiesen, weniger auf Lichtverschmutzung. Diese neue Initiative macht nun darauf aufmerksam, wie großartig es ist, mal eine dunkle Nacht zu erleben. Die gehört zum Menschenleben ja dazu.

Wie gravierend ist der zunehmende Lichtmüll für das Ökosystem?

Ich bin Ökologe, habe mich viel mit Schmetterlingen und Nachtfaltern befasst und weiß daher, wie riesig der Artenschwund in diesem Bereich ist - und das hat viel mit Lichtverschmutzung zu tun. Es gibt in Deutschland zehn Mal so viele Nacht- wie Tagfalter: rund 3000. Es gibt ganz spezialisierte Arten, die nur zu bestimmten Nachtzeiten fliegen - die sieht man dann morgens unter den Straßenlaternen.

Hinzu kommt die Energieverschwendung. Schätzungen zufolge werden in Europa pro Jahr 20 Milliarden Euro ins Nichts geleuchtet.

Die Beleuchtung von historischen Gebäuden ist ja wunderschön - aber das kann man zu bestimmten Stunden auch wieder sein lassen. Man könnte zudem andere Lichtquellen verwenden, die weniger blaues Licht enthalten, das Insekten anlockt.

Die Zahl der Menschen, die unter Schlafstörungen leiden, wächst kontinuierlich. Vorm Zubettgehen noch einmal Mails checken, tut dem Körper nicht gut.

Als moderne Menschen sind wir gewöhnt, uns alles so zurechtzulegen, wie wir es brauchen: eine kulturelle Verwöhnung. Aber das macht natürlich etwas mit uns. Es würde nicht schaden, wieder ein Bewusstsein dafür zu schaffen und zu versuchen, mal eine Woche mit weniger Licht auszukommen: schlafen gehen, wenn es draußen dunkel ist, und mit dem Sonnenaufgang aufwachen.

Klingt machbar. Was kann man sonst tun?

Darauf achten, dass das Licht nach unten strahlt statt nach oben. Und natürlich nur in dem Zeitraum nutzen, in dem man es benötigt. Beleuchtungen im Garten sehen toll aus, aber das kann man zeitlich begrenzen. Viele Leute schalten bewusst eine Stunde vor dem Schlafen alle Medien aus - damit der Körper zur Ruhe kommt.

Wie sieht es mit der Leuchtreklame aus?

Die nimmt man wirklich wahr! Das ist es ja: Jeder möchte wahrgenommen werden. Ich erinnere mich an eine Tankstelle, die kilometerweit hellblau in die Nacht leuchtete - so was darf es einfach nicht mehr geben. Was mich auch stört: Die Lichtquellen im Straßenverkehr werden deutlich stärker, insbesondere die Xenon-Scheinwerfer und Ampeln, die auf LED umgestellt werden. Die sind nachts so hell, dass sie blenden. Tagsüber ist das sinnvoll, nachts wäre ein Drittel ausreichend.

Ich fasse zusammen: Wir ziehen um 22 Uhr die Vorhänge zu, lassen die Handys und Laptops aus und warten, bis die Müdigkeit kommt, korrekt?

Die Dualität von Tag und Nacht ist sehr wichtig. Wir sollten nicht stets versuchen, sie aufzulösen, indem wir immer Tageslicht schaffen. Das hat auch mit Entschleunigung zu tun - und die ist ja sinnvoll.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2020/vewo
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