Süddeutsche Zeitung

Vandalismus in München:Hunderte E-Scooter aus dem Wasser gefischt

Elektrische Roller gelten als ein Verkehrsmittel der Zukunft, doch in München landen sie immer wieder in Flüssen und Teichen. Das verursacht Kosten - und hat Folgen für die Umwelt.

Von Benjamin Stolz

Seit Jahren gehören E-Scooter zum Münchner Stadtbild - leider aber nicht nur auf Straßen, Radwegen und Bürgersteigen, sondern auch in städtischen Gewässern. Das Mobilitätsreferat hat seit Juni 2019 bereits 224 aus dem Wasser geborgene Roller gezählt. Selbst in den Flussarmen und Teichen des Englischen Gartens, wo die E-Scooter gar nicht fahren dürften, findet die Parkverwaltung durchschnittlich einen Roller pro Woche. Diese spezielle Form des Vandalismus ist nicht neu: Regelmäßige kostspielige Bergungen aus Flüssen gibt es in Großstädten in ganz Europa. Erst vor wenigen Tagen zogen Taucher in Köln mehr als hundert Scooter aus dem Rhein.

Wessen Personal die Fahrzeuge aus der Isar zu ziehen hat, ist in der Praxis aber oft unklar. Und auch über das Gefahrenpotenzial der Roller für die Ökosysteme der Gewässer gibt es unterschiedliche Meinungen. Im Wasserwirtschaftsamt, bei dem die ins Wasser geworfenen Fahrzeuge häufig gemeldet werden, ärgert man sich vorrangig über die schwierige Suche nach einem Ansprechpartner bei den Verleihern. "Die Betreiber sitzen meist nicht in München, sondern im Ausland", sagt Stefan Kirner, der den Fachbereich Wasserbau und Gewässerentwicklung leitet. "Oft dauert es Wochen, bis eine Reaktion erfolgt." Obwohl das Wasserwirtschaftsamt nicht gezielt nach E-Scootern sucht, müssen die Mitarbeiter fünf bis zehn Stück pro Jahr aus dem Wasser ziehen. Eine einfache Bergung mit Wathose und Haken kostet das Amt ungefähr 170 Euro. Kompliziertere Rettungsaktionen mit Booten und mehr Personal belaufen sich teurer. Aus dem Mobilitätsreferat heißt es, dass die meisten Bergungen "durch die Anbieter selbst durchgeführt werden". Für Feuerwehr- und andere Einsätze müssen die Verleiher zahlen. Vereine wie die Isarfischer oder die Isarrettung führen immer wieder selbst organisierte Bergungsaktionen durch.

Insgesamt gibt es in München sechs Firmen, die Leih-Scooter anbieten. Eine davon ist der schwedische Anbieter "Voi", der mit dem Mobilitätsreferat in Kontakt steht. Man würde die Randalierer gerne finden und ihnen "unsere Bergungskosten in Rechnung stellen", sagt Pressesprecher Caspar Spinnen. Immerhin betreffe der Vandalismus geschätzt ein Prozent der Flotte. Das Konkurrenzunternehmen "Tier" nennt den gleichen Prozentsatz. Die Täter könne man aber "meist nicht ermitteln". In der Isar ist laut Tier bisher jedoch nur eine Handvoll Scooter gelandet.

Für die Firma Voi sind seit Kurzem zwei "Ranger" im Einsatz, die verschollene Scooter wiederfinden sollen. Seit dem Start der Flotte vor zwei Jahren gingen deutschlandweit 250 Roller baden. Spinnen schätzt den durch die Bergungskosten entstandenen Verlust auf circa 50 000 Euro. "Wir wollen verhindern, dass E-Scooter am Flussufer stehen", erklärt er. Durch markierte Zonen im Navigationssystem soll es den Nutzern nicht möglich sein, Roller in Ufernähe oder auf Brücken zu parken, doch im GPS-Netz gibt es immer wieder Lücken. Für die Gewässer sieht Spinnen keine große Belastung: "Wir haben bis jetzt keine Anhaltspunkte dafür, dass ein großes Umweltproblem davon ausgeht." Das Unternehmen Tier räumt ein, dass bei länger im Wasser liegenden Geräten "Korrosion auftreten und das Metall der Akkuhülle anfressen" kann.

Andreas Jossen ist Professor für elektronische Energiespeichertechnik an der Technischen Universität München und Fachmann für die Lithium-Ionen-Batterien, mit denen die Scooter betrieben werden. "E-Scooter haben in Flüssen nichts zu suchen, weil wir die Langzeiteffekte nicht kennen", sagt er. Jossen hält die Batteriezellen der Scooter für "so gut konstruiert, dass da kein Wasser eintritt". Die Batterien selbst bestehen nicht nur aus Schwermetallen wie Nickel und Kobalt, sondern auch aus einem fluorhaltigen, flüssigen Elektrolyten, aus dem sich bei Kontakt mit Wasser Fluorwasserstoffsäure, oder "Flusssäure", bilden kann. Die ätzende, durchsichtige Flüssigkeit greift die Haut, Schleimhäute und die Bindehaut der Augen stark an. "Die Materialien in einer E-Scooter-Batterie bergen ein Risikopotenzial. Es gibt momentan noch keine genauen Untersuchungen, wie lange diese unter Wasser unbeschädigt bleiben", fasst Jossen den Forschungsstand zusammen.

Die Kommunalpolitik nimmt die aktuelle E-Scooter-Problematik ernst. "Wir wollen den Anstoß geben, dass sich die Stadt das genauer anschaut", kommentiert Barbara Epple (Grüne) einen Antrag ihrer Fraktion im Bezirksausschuss Schwabing-Freimann. Die Grünen verlangen von den E-Scooter-Betreibern künftig mehr Verantwortung für die eigenen Fahrzeuge sowie eine klar definierte Ansprechperson für verlorene Geräte. Einen ähnlichen Tenor schlägt die kürzlich im Stadtrat eingegangene Anfrage von CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl an. "In München werden immer häufiger E-Scooter in den Gewässern entsorgt", heißt es im Antrag. E-Scooter könnten, so Pretzl, "eine große Gefahr für die Gewässer und den umliegenden Tier- und Pflanzenbestand darstellen".

Vom Bundesumweltministerium sind E-Scooter in einem kürzlich erschienenen Bericht als "zurzeit kein Gewinn für die Umwelt" bezeichnet worden. In urbanen Zentren würden sie die Infrastruktur sogar zusätzlich belasten. E-Scooter seien generell nur dann umweltfreundlich, "wenn sie Auto- oder Motorradfahrten ersetzen". Im Münchner Stadtgebiet sind aktuell mehr als 10 000 elektrische Tretroller unterwegs.

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