Süddeutsche Zeitung

Betrunken auf dem Roller: 300 sehr teure Meter auf dem E-Scooter

Dass es keine gute Idee ist, sich betrunken auf einen Elektroroller zu stellen, ist nicht neu. Aber nun haben Richter ein wegweisendes Urteil zu Alkohol am Lenker gesprochen.

Von Susi Wimmer

Als Carl Ferdinand Langhans vor mehr als 200 Jahren einen Tretroller mit zwei Hinterrädern erfand, hatte er sicher nicht daran gedacht, dass sich das Fortbewegungsmittel einmal zum hippen Stadtcruiser mausern könnte. Allerorts warten heute Roller mit Elektromotoren auf fun- und fahrbereite Kundschaft. Dass das einstige Spielzeug aber beileibe kein Kinderkram ist, musste ein E-Scooter-Fan aus Nordrhein-Westfalen nun schmerzhaft erfahren: Das Bayerische Oberste Landesgericht beschied in letzter Instanz, dass ihm wegen Trunkenheit am Rollerlenker unter anderem der Führerschein entzogen wird. Damit setzte der Strafsenat den E-Roller mit einem Kraftfahrzeug gleich, für das eine absolute Fahruntauglichkeitsgrenze von 1,1 Promille gilt.

Der Mann war vergangenen Oktober zu Gast in München und besuchte - wie kann es anders sein - das Oktoberfest. Um die letzten 300 Meter von der S-Bahnstation zum Hotel zurückzulegen, schaltete der 31-Jährige mit seiner Handy-App einen E-Scooter frei und geriet in eine Polizeikontrolle. 1,35 Promille Alkohol fand man in seinem Blut, und seinen Einwand, "der Roller ist ja wie ein Fahrrad, und für das gilt eine Obergrenze von 1,6 Promille", ließ das Amtsgericht München nicht gelten. Fazit: 2200 Euro Geldstrafe, drei Monate Fahrverbot für Kraftfahrzeuge aller Art (also auch E-Scooter) und Einziehung seines Führerscheins für sieben Monate.

Das wollte der Mann nicht einsehen. Doch das Bayerische Oberste hielt das Urteil. Gemäß der seit Juni 2019 geltenden Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen im Straßenverkehr werde auch der Roller mit elektrischem Antrieb als Kraftfahrzeug eingestuft. Übrigens: Strafbar macht sich in diesem Sinne auch, wer mit mehr als 1,1 Promille auf einem Segway steht.

Florian Gliwitzky, Pressesprecher am Bayerischen Obersten, stuft das aktuelle Urteil als "wegweisende Entscheidung" ein. Es ist zwar nicht so, dass sich Gerichte bis dato noch nie mit dem Thema beschäftigt hätten. In Dresden etwa wurde der Schein eines Studenten eingezogen, weil er mit 1,12 Promille durch die Stadt rollerte, spätnachts und auf dem Radweg in falscher Richtung. Oder ein Rollerfahrer in Dortmund: Er wollte Silvester mit Freunden in die Disco und hatte Bier "und einige Kurze" intus. Als ihn die Polizei anhielt, düste er durch die Fußgängerzone, hatte einen Sozius hinter sich stehen und mit 1,4 Promille einen sitzen. Das Amtsgericht zeigte sich in diesem Fall mit einem viermonatigen Fahrverbot gnädig.

Der Mann aus NRW jedoch ist bislang der Erste, der durch alle Instanzen geklagt hat. Somit liege nun eine "höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Promillegrenzen für E-Scooter" vor, sagt Gliwitzky. Zwar können Gerichte in Deutschland nach wie vor nach eigenem Ermessen urteilen, doch die Staatsanwaltschaften können sich nun bei Berufungen oder Revisionen auf das bayerische Urteil stützen. Apropos Stütze: Die hätte ein junger Mann aus Dortmund bei seiner Rollerfahrt dringend nötig gehabt. Er fuhr mit einem zweiten Mann auf dem Trittbrett, völlig betrunken und bekifft, und fiel beim Versuch zu bremsen den kontrollierenden Polizeibeamten direkt vor die Füße. Carl Ferdinand Langhans, er würde sich im Grabe umdrehen.

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SZ vom 26.08.2020/infu
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