Kriminalität:"Gemeinsam viel gekokst"

S-Bahn Grub, Poing

So sah der gesprengte Fahrkartenautomat am S-Bahnhof Poing aus. Der Schaden war teuer, die Beute mäßig.

(Foto: LKA)
  • Ein 25 Jahre alter Mann ist wegen Beihilfe verurteilt worden, weil er gemeinsam mit einem Komplizen in Poing einen Fahrkartenautomaten in die Luft gesprengt hat.
  • Noel S. konsumiert seit langem Drogen in erheblichem Ausmaß. Offenbar ging es bei der Tat auch darum, den Konsum von Kokain finanzieren zu können.
  • Anstatt einer Freiheitsstrafe soll der 25-Jährige sich in Therapie begeben.

Susi Wimmer

Wir sind gute Freunde, immer noch", sagt Noel S. Selbst als sein Spezl vor dem Amtsgericht gegen ihn aussagt, grinsen sie sich an, und im Anschluss verabschieden sie sich mit der Ghetto-Faust. Gute Freude kann offenbar nichts und niemand trennen: Gemeinsam haben sich Noel S. und Michael M. mit Drogen vollgepumpt, gemeinsam haben sie in Poing einen Fahrkartenautomaten in die Luft gesprengt; beide wurden geschnappt, und beide versuchen nun, mit Hilfe einer Therapie von ihrer Drogensucht loszukommen. Amtsrichter Stefan Vollath jedenfalls sprach das Urteil gegen Noel S. wegen Beihilfe zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, Diebstahls und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung. Die Freiheitsstrafe von einem Jahr wird zurückgestellt, wenn S. sich einer Therapie unterzieht.

Noel S. ist ein sportlicher Typ, gerade einmal 25 Jahre alt, blickt aber auf eine beachtliche Drogenkarriere zurück. Mit 14 konsumierte er Gras, dann Ecstasy und Speed, ab 18 Cristal Meth, Kräuter, Spice, Kokain - so zählt er vor dem Amtsgericht auf. Seinen Spezl Michael M. kennt er aus der Schule in Niederbayern. Später traf man sich am selben Arbeitsplatz, den beide auch wieder verloren. "Wir haben dann gemeinsam viel gekokst", so Noel S. Sein Freund habe immer mehr Geld gehabt als er und die Drogen finanziert, und an einem Abend im Februar 2018 habe Michael M. vorgeschlagen, dass er seine Schulden mit einem Gefallen ausgleichen könne.

Es war die Nacht auf den 25. Februar, als die Zwei im Leihwagen von Michael M. zum S-Bahnhof nach Poing fuhren. Zuvor habe M. "über Google-Earth nach entlegenen Bahnhöfen" gesucht, erzählt Noel S. "Ich sollte schauen, dass keiner kommt." Er habe gar nicht richtig geglaubt, dass sein Freund einen Fahrkartenautomaten in die Luft sprengen wollte, "aber als er die Maske aufsetzte, hab ich realisiert, dass das kein Spaß ist".

"I hob Goid braucht aufgrund meiner Sucht", erzählt schließlich Michael M. als Zeuge in tiefstem Niederbayerisch, deshalb "samma auf Minga g'fahr'n". Als Richter Vollath ihn nach dem Drogenkonsum an diesem Abend befragt, kommt es lapidar: "Da war' ma richtig beinander." Zuvor hätten sie "in der Stunde so zehn Nas'n zong". Am Bahnhof angekommen, habe er verkündet, "i hoi Goid am Automaten". Dann habe er mit einer selbstgebastelten Bombe das Gerät in die Luft gesprengt. Er zog die Geldkassetten aus dem Automaten, "aber die Scheine waren voller Tinte" - offenbar eine Sicherheitsmaßnahme der Deutschen Bahn. Und die Münzkassette sei undicht gewesen, sodass er auf dem Weg über die Gleise zum Auto etliches verlor. Noel S. habe noch beim Aufsammeln geholfen, dann seien sie geflüchtet.

Es war nicht der einzige Fahrkartenautomat, der um diese Zeit im Raum München in die Luft gejagt wurde. Und so formierte sich beim Landeskriminalamt, zuständig unter anderem für Sprengstoffexplosionen, eine Ermittlungsgruppe. Sechs Automaten wurden im Frühjahr 2018 komplett zerstört, in Poing etwa lag der Sachschaden bei 23 500 Euro, die Beute bei rund 600 Euro, insgesamt entstand 165 000 Euro Schaden bei einer Beute von gut 11 000 Euro. Die Bomben, so erzählt der Ermittler, habe M. selbst gebastelt: Pappröhren, die unten mit Gips ausgegossen waren, gefüllt mit einem Blitz-Knall-Satz, hergestellt aus ausländischen Feuerwerkskörpern, und obendrauf eine Lunte. "Der Täter schlug das Pin-Pad am Automaten ein und steckte den Sprengsatz in das Loch."

Wie Michael M. letztlich überführt wurde, verrät der Kriminaler nicht. In der Gerichtsverhandlung, in der M. zu zwei Jahren und neun Monaten Haft sowie Therapie verurteilt wurde, nannte er allerdings den Namen seines Freundes Noel S. Vermutlich aber war da das LKA dem zweiten Mann längst auf den Fersen. Denn Handy-Auswertungen führten zu Chats zwischen den beiden Freunden. "Wir müssen aufpassen, die haben uns am Schirm", schrieb der eine. Und Noel S. textete: "Ich brauch Geld, wir müssen was machen." Sätze, die mutmaßen lassen, dass die Beiden nicht nur eine Tat gemeinsam verübt hatten und die Sprengung in Poing vielleicht doch nicht so zufällig war wie ausgeführt. Mehr Beweise fanden sich dafür allerdings nicht.

Verteidiger Uwe Grabner regte an, seinen Mandanten nicht wegen Mittäterschaft sondern lediglich wegen Beihilfe zu verurteilen. Dem folgte das Gericht.

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