Suchthilfe:Vor verschlossener Tür

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Die deutsche Aidshilfe hatte zur offiziellen Nicht-Eröffnung des Drogenkonsumraums an der Fraunhoferstraße eingeladen. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein breiter Zusammenschluss aus Sozialverbänden und Organisationen fordert einen Drogenkonsumraum in München. Eine Eröffnung wäre in Bayern illegal – deshalb gibt es die sauberen Spritzen nur in einem nicht zugänglichen Kunstraum.

Von Ekaterina Kel

Spritzen, Nadeln, Tupfer, Verbandsmaterial, Metalllöffel – diese und andere Dinge zum Drogengebrauch liegen steril abgepackt auf dem Fensterbrett eines Galerieraums an der Fraunhoferstraße. An der Tür steht „Todesfall wegen geschlossen“. Nur so darf es einen Drogenkonsumraum in München aktuell geben – als einen Raum, der verschlossen bleibt.

Diese Tatsache als Missstand zu kritisieren und einen echten Drogenkonsumraum für München zu fordern, dazu haben sich an diesem Freitag vor der kleinen Galerie in der Isarvorstadt gut dreißig Menschen versammelt. Diese „Nicht-Eröffnung“, wie die Deutsche Aidshilfe die Aktion nennt, wird von einem breiten Bündnis aus Vereinen, die Hilfe für Suchtkranke anbieten, sowie Politikerinnen und Politikern verschiedener Parteien unterstützt. Sie sind sich einig: München braucht einen Drogenkonsumraum.

„Ganz schön viel Aufregung“ habe es im Vorfeld gegeben, sagt Holger Wicht, Sprecher der Deutschen Aidshilfe. Vergangenen Freitag sorgte seine Einladung zur Eröffnung eines Drogenkonsumraums in München für Irritationen. Denn diese wäre illegal. Seit dem Jahr 2000 ermöglicht das Betäubungsmittelgesetz solche Orte zwar grundsätzlich. Allerdings muss jedes Bundesland eine eigene Rechtsverordnung erlassen, um die Einrichtung legal möglich zu machen. Gegen diese sperrt sich die bayerische Staatsregierung bis heute, mit dem Argument, dass man dadurch einen „rechtsfreien Raum“ schaffen würde, der „die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit“ gefährde.

Man habe die zuständige Stadt München darauf hingewiesen, dass die Eröffnung eines Drogenkonsumraums strafbar wäre, so ein Ministeriumssprecher. Die Aidshilfe ließ allerdings auch von Anfang an wissen: „Wir werden nichts Illegales tun.“ Anfang dieser Woche stellten die Organisatoren klar, dass es sich bei der Veranstaltung um eine politische Performance handelt.

Performance also: Der Raum an der Fraunhoferstraße soll für die Dauer der internationalen Aids-Konferenz in München ein „Memorial“ sein, „das an eine Versorgungslücke erinnert“, sagt Stefan Miller vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe. Die verschlossene Tür sei ein Symbol für die verpasste Möglichkeit der bayerischen Staatsregierung, Todesfälle und Infektionen, beispielsweise mit HIV oder Hepatitis, zu verhindern. „Drogenkonsumräume sind machbar, erprobt und notwendig“, so Miller. Auch der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, der zur Unterstützung angereist ist, bestätigt: „Drogenkonsumräume helfen, Leben zu retten.“

In anderen Bundesländern gibt es insgesamt 31 Drogenkonsumräume. Etwa eine Million saubere Spritzen und Nadeln seien dort im vergangenen Jahr an Abhängige abgegeben worden, sagt Dirk Schäffer von der Aidshilfe. Jede einzelne verhindere eine Neuinfektion. Dies sei besonders wichtig, da die aktuellen Infektionszahlen durch Drogenkonsum wieder gestiegen seien. In einem Konsumraum sei stets eine geschulte Person anwesend, die Überdosierungen verhindern könne. Im vergangenen Jahr sei in den Räumen insgesamt 638 Mal Notfallhilfe geleistet worden. Viele Menschen wären ohne diese Hilfe verstorben, so Schäffer.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erneuerte nach Angaben der dpa in einem Brief an Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) seinen Appell zur Einrichtung von Drogenkonsumräumen: „Die Stadt München sieht sich zunehmend mit den Herausforderungen des illegalen Drogenkonsums und dessen negativen Begleiterscheinungen konfrontiert“, so Reiter. Anwohner und Gewerbetreibende forderten, dem Drogenkonsum in Hausgängen, Höfen, Tiefgaragen und auf offener Straße Einhalt zu gebieten.

Auch die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) argumentierte, Konsumräume machten den öffentlichen Raum sicherer; etwa, weil dann weniger benutzte Spritzen in Parks herumlägen. Sie betonte auch den sozialen Aspekt: „Wir wollen die Menschen nicht im Stich lassen. Es macht mich richtig betroffen, zu wissen, wie viele Tote wir hätten verhindern können.“ Laut Thekla Andresen vom Netzwerk JES, das für Drogenkonsumenten und Substituierte spricht, sind in den vergangenen zwölf Monaten 72 Menschen in München an den Folgen des Konsums gestorben.

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