Auf den ersten Blick scheint der Fall klar: Ein Pkw-Fahrer zwingt mit seiner rüden Fahrweise den Fahrer eines Busgespanns dazu, eine Vollbremsung zu machen. Ein 76-Jähriger, der im Anhänger des Busses steht, verliert das Gleichgewicht, stürzt und zieht sich erhebliche Verletzungen zu. Wer haftet? Der Pkw-Fahrer. Könnte man meinen. Schließlich hatte er mit seiner Fahrweise den Busfahrer dazu veranlasst, eine Vollbremsung zu machen. Der Unfall passierte tatsächlich im April vergangenen Jahres auf der Donnersbergerbrücke. Ein Bus der Linie 53 fuhr auf der Rechtsabbiegerspur auf eine rote Ampel zu. Plötzlich scherte vor dem Bus noch ein Pkw auf dieselbe Spur.
Der Senior erlitt Prellungen im Bereich der Brustwirbelsäule und des Beckens. Außerdem wurde eines seiner Fingergelenke überdehnt. Da er von der Schuld des Pkw-Fahrers überzeugt war, erhob er Klage vor einem Zivilgericht am Amtsgericht München und forderte von der Versicherung des vermeintlichen Unfallverursachers unter anderem Schmerzensgeld in Höhe von 2000 Euro. Doch das Gericht wies die Klage ab.
Zwar ging es ebenfalls davon aus, dass die Fahrweise des Pkw-Fahrers der Grund dafür war, dass der 76-Jährige stürzte. Allerdings könne der Pkw-Fahrer nicht haftbar gemacht werden aufgrund des „vollständigen Mitverschuldens“ des Klägers, heißt es im Urteil des Amtsgerichts mit Verweis auf die BOKraft. Die eigentümliche Abkürzung steht für „Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr“. Sie dient dem Schutz der Fahrgäste und will davor bewahren, dass diese bei Gefahrenbremsungen zu Fall kommen und sich verletzen.
Die vom Kläger in dem Bus-Anhänger „eingenommene stehende Position“ sei jedenfalls nicht geeignet gewesen, um bei einer plötzlichen Bremsung sicher zu sein, so das Gericht. Zur Beurteilung des Unfallgeschehens standen ihm auch die Bilder der Überwachungskamera des Busses zur Verfügung. Auf ihnen ist zu sehen, dass sich der 76-Jährige lediglich mit seiner linken Hand an einem Handlauf festhielt. Seine rechte Hand hatte er auf einem Trolley liegen. Das Festhalten nur mit einer Hand genüge nicht, um ruckartige Bremsungen auszugleichen, stellt das Gericht in seinem Urteil fest. Und der Trolley des Klägers habe auch keinen Halt geboten, sondern habe eher eine Behinderung dargestellt, da ihn der 76-Jährige, als er stürzte, nicht losgelassen habe.
Kein weiterer Fahrgast kam zu Fall
Außer dem Senior stürzte oder verletzte sich bei der abrupten Bremsung übrigens sonst kein anderer Fahrgast. Einer älteren Dame etwa, die auf einem Sitzplatz direkt hinter dem 76-Jährigen Platz genommen und sich zudem an einer Stange festhielt, passierte nichts. Somit sei dem Kläger „auch aufgrund seines Alters und des Mitführens des Trolleys vorzuwerfen, dass er sich nicht hingesetzt hat“, zeigt sich das Gericht überzeugt. Wie auf dem Video ist zu sehen ist, waren nämlich genügend Plätze frei – was der Senior übrigens bestritt.
Außerdem, so stellt das Gericht fest, sei die, „wenn auch heftige Vollbremsung“ des Busfahrers im vorliegenden Fall keine „völlig überraschende“. Im Stadtverkehr müsse mit abrupten und starken Bremsmanövern „regelmäßig“ gerechnet werden. Nicht zuletzt, habe der Bus bereits 50 Meter vor dem Unfall leicht gebremst. Der Kläger hätte somit feststellen können, dass er, stehend im Bus, „ungenügend Halt“ habe.
Das Urteil des Amtsgerichts (Az. 338 C 15281/24) ist nicht rechtskräftig.