Als Thomas Bönig, 60, am 1. März 2018 seinen Job als Chef der städtischen Computertechnik angetreten hat, tat er dies als Krisenmanager. Mehrere Gutachten hatten der Stadt und auch ihren Schulen ein miserables Zeugnis ausgestellt. Alte Rechner, ein Wirrwarr an Programmen und Zuständigkeiten, viel Unmut über den Open-Source-Weg Münchens. Als Open Source wird Software bezeichnet, deren Quelltext eingesehen, geändert und meist kostenlos genutzt werden kann. Um die städtische IT zukunftstauglich zu machen, wurde ein eigenes Referat gegründet. Am 30. Juni nun verlässt Bönig dieses Haus und zieht weiter nach Stuttgart, zwei Jahre vor Ende seiner Amtszeit.
SZ: Sie hätten noch einen Vertrag in München. Hat Sie das Heimweh nach Baden-Württemberg überkommen?
Thomas Bönig: Ich hatte schon mehrfach Angebote aus der Industrie. Die Möglichkeiten in Stuttgart sind sehr attraktiv, die Aufgabe weniger politisch. Dort sehe ich deutlich mehr Perspektiven, Digitalisierung und IT nach vorne zu bringen als es in München im Moment der Fall ist. Und ich habe in den Gesprächen eine sehr starke Unterstützung auch in der Politik wahrgenommen.
Das klingt so, als ob Sie diese in München vermissen würden.
Die SPD und die CSU haben immer verstanden, um was es bei Digitalisierung geht. Sie unterstützen jederzeit konstruktiv IT-Themen, die für München und die Stadtgesellschaft wichtig sind. Da wird auch mal kontrovers diskutiert, aber immer rein sachlich. Auch die kleineren Fraktionen habe ich jederzeit konsens- und lösungsorientiert erlebt.
Fehlt die größte Fraktion derzeit im Stadtrat, die Grünen/Rosa Liste.
Wie die Grünen sich bei dem Thema IT und Digitalisierung aufstellen, kann ich nicht mehr nachvollziehen, oft sehr einseitig, wenig pragmatisch und stark ideologisch. Eine notwendige IT-Kompetenz und selbst ein rudimentäres Verständnis für IT scheint zu fehlen und auch eine erforderliche Offenheit, dass man IT als effektives Werkzeug in der Verwaltung einsetzt. Der einzige politische Schwerpunkt sind scheinbar Open-Source-Themen. Oft zählt nur: Können wir den Code als Open Source aus München veröffentlichen? Das ist keine Basis, um langfristig einen hohen Nutzen für die Verwaltung und die Stadtgesellschaft zu bringen.
Im Koalitionsvertrag heißt es: "Wo immer technisch und finanziell möglich setzt die Stadt auf offene Standards und freie Open Source-lizenzierte Software und vermeidet damit absehbare Herstellerabhängigkeiten."
Ich bin nach München gekommen, um die IT neu auszurichten, habe bei meinem Amtsantritt auch die Digitalisierung zusätzlich übernommen. Während Corona musste vieles schnell und neu gemacht werden, was eine extreme zusätzliche Belastung für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war. Auch die Bildungs-IT liegt seit einigen Monaten in unserer Verantwortung. Es hat Konflikte gegeben, wie wir unsere Ressourcen einsetzen. Man musste Prioritäten auf die Themen setzen, welche die Stadt bei der Bewältigung der großen Herausforderungen unterstützt haben.
Sprich: Sie halten andere Projekte für wichtiger als die Abkehr von kommerziellen Betriebssystemen oder Programmen.
Mir ist Open-Source auch wichtig, man kann damit Mehrwerte schaffen, wenn man es richtig macht. Den Versuch hat München gemacht, aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass es einfach nicht funktioniert hat. Wenn man alles einrechnet, hat die Stadt einen dreistelligen Millionenbetrag in ein Projekt investiert, das gescheitert ist. Im Ergebnis war es teurer, hat deutlich schlechter funktioniert als andere Lösungen und die Risiken mussten ausschließlich von der Stadt getragen werden. München ist damals mit Partnern gestartet und stand am Ende alleine da, was sehr viel darüber aussagt, wie unprofessionell das Thema insgesamt angegangen wurde. Man scheint daraus jedoch wenig gelernt zu haben.
Die Koalition will aber grundsätzlich zurück zu dieser Idee, die SPD und CSU in der letzten Amtsperiode aufgegeben haben.
Zum Thema Open Source herrscht ein Denken und Wahrnehmen bei der Fraktion der Grünen, das mehr als schwierig ist. Da muss man sich fragen, ob damit nicht nur rein politische oder persönliche Ambitionen verfolgt werden sollen.
Nennen Sie doch mal ein praktisches Beispiel.
Der Stadtrat hat kürzlich das IT-Referat aufgefordert, für Videokonferenzen auf Open Source beziehungsweise die freie Plattform Jitsi zurückzugreifen. Es ist aber jetzt schon absehbar, dass Jitsi in der Stadt rein technisch nicht so funktionieren wird, wie man das bisher mit den eingeführten und bekannten Systemen gewohnt ist.
Aber ein Videosystem, das allen Kommunen gratis zugänglich ist und unabhängig macht von den großen IT-Unternehmen, das klingt doch verlockend.
Man ist in dem Kontext nicht abhängig von einem großen IT-Unternehmen, es gibt viele kommerzielle und Open Source Videokonferenzsysteme, zu welchen man jederzeit wechseln kann. Eine Lösung, bei der die Stadt einen hohen Integrationsaufwand hat oder Eigenentwicklung betreiben muss, bindet wertvolle Ressourcen, wird zu langsameren und schlechteren Umsetzungen führen und hohe Kosten verursachen, ohne einen relevanten Mehrwert zu leisten.
Am Ende noch ein kurzer Blick zurück und nach vorne. Wie weit sind Sie bei den großen Themen IT-Technik, Digitalisierung und Schulcomputern gekommen? Und wo sehen Sie die größten Baustellen für Ihren Nachfolger?
Die Münchner IT ist inzwischen modern und leistungsfähig aufgestellt, was nicht nur während der Corona-Pandemie unter Beweis gestellt wurde. Hier muss man den Kurs konsequent fortsetzen und nicht versuchen, ausschließlich auf Open Source zu setzen. In der Digitalisierung zählt München inzwischen zu den am weitesten fortgeschrittenen Kommunen, hier muss noch deutlich mehr investiert werden, anstatt die knappen Ressourcen in wenig relevante oder unbedeutende politisch motivierte Projekte umzuleiten. Die größte Baustelle für meinen Nachfolger ist sicherlich die Bildungs-IT, in der man sehr viel schneller und konsequenter Lösungen bereitstellen muss, welche auf den jeweiligen Bedarf der Bildungseinrichtungen passen.