Urteil am Landgericht:4,6 Millionen Euro fehlen - und keinen interessiert es

Urteil am Landgericht: Wie im Film: Die Schließfächer in der Bank sollen aufgehebelt und wieder zugeklebt worden sein.

Wie im Film: Die Schließfächer in der Bank sollen aufgehebelt und wieder zugeklebt worden sein.

(Foto: imago)

Im Prozess um den schweren Bandendiebstahl aus Schließfächern bei der Commerzbank werden alle Angeklagten freigesprochen. Das Landgericht kritisiert "desaströse Zustände" beim Geldinstitut.

Von Susi Wimmer

Die Kundin, die in der Commerzbank am Promenadeplatz auf den Einlass zu den Schließfächern wartete, glaubte an einen Filmdreh, oder die Sendung "Verstehen Sie Spaß?": Ihr kamen dunkel gekleidete und vermummte Männer entgegen, die Trolleys hinter sich her zogen. Wie bei einem Bankraub. Doch die Mitarbeiter in der Bank hätten allesamt nicht reagiert. 4,6 Millionen sollen Ende 2017, Anfang 2018 aus den dortigen Schließfächern verschwunden sein, oder auch zehn Millionen. Man weiß es nicht so genau. Weil die geschädigte Russin nicht zum Prozess erschien, der jetzt vor dem Landgericht München I zu Ende ging.

Drei Angeklagte hatten sich wegen schweren Bandendiebstahls zu verantworten, darunter eine Bankangestellte. Der Vorsitzende Richter Gilbert Wolf sprach alle frei, kündigte Wiedergutmachungen für die Haft an - und schimpfte über die "desaströsen Zustände" und den mangelnden Aufklärungswillen der Commerzbank.

Es ist ein Stoff, aus dem Filme sind, wobei die Realität in diesem Fall die Filmwelt bei Weitem übertrifft. Vor Dezember 2017, so sah es die Staatsanwaltschaft, sollen mindestens sieben Personen geplant haben, Schließfächer in der Commerzbank zu plündern.

Als "Insiderin" soll die heute 60-jährige SilviaF., die 30 Jahre in der Bank gearbeitet und reiche Kunden mit Schließfächern betreut hatte, ihren Komplizen Wissen über die Abläufe in der Bank verraten haben. Ihr Sohn soll den Coup geplant und ein weiterer Angeklagter bei drei "Besuchen" zwischen Dezember 2017 und März 2018 in der Bank die Schließfächer aufgehebelt und wieder zugeklebt haben.

Die reiche Besitzerin schien es nicht weiter zu stören, dass das Geld weg sein könnte

So wie es die achte Strafkammer sah, müssen vermummte Männer "an fünf bis sechs Bankdirektoren vorbei gegangen sein", ohne dass es eine Reaktion seitens der Angestellten gegeben habe. Überhaupt die Alarme in der Einbruchszeit: 3089 wurden gezählt. Die Vielzahl kann auch daran gelegen haben, dass nebenan beim Edelitaliener "H'ugo's" so heftig gefeiert und getanzt wurde, dass es so genannte "Streualarme" gegeben habe. In der Bank habe man die Alarme offenbar nicht ernst genommen. Die technische Ausstattung des Geldinstituts bezeichnete Wolf zudem als mangelhaft. "Man kann sich nur wundern über diese Bank", sagte er.

Das Gericht tat sich zudem schwer, überhaupt eine Schadenssumme zu ermitteln. Die russische Millionärin, deren Schwester eine Drogeriemarkt-Kette in der Heimat betreibt, sagte nur einmal bei der Polizei aus und erschien nicht vor Gericht. Mal erklärte ihr Sohn, es fehle ja gar kein Geld, dann sprach er von mehr als vier Millionen. Dass das Geld weg sein könnte, schien die Dame nicht weiter zu stören. Sie soll noch weitere 72 Millionen am Promenadeplatz geparkt haben, die nun eingefroren wurden.

Sieben Freisprüche in einem Verfahren

Die Verteidiger der drei Angeklagten - weitere vier mutmaßliche Bandenmitglieder wurden bereits freigesprochen - kritisierten die lückenhafte Ermittlungsarbeit der Polizei. Vor zwei Jahren war der Prozess bereits terminiert gewesen. Verteidiger Adam Ahmed stellte damals den Antrag, dass aufgrund von Ermittlungsdefiziten die Verhandlung ausgesetzt werden solle.

Eineinhalb Jahre später begann man erneut, doch die Beweislage erwies sich als immer noch dünn. Zudem habe es den Anschein erweckt, so Ahmed, dass weder die Russin noch die Bank ein Interesse an der Aufklärung hätten. Ahmed verwies auf ein Urteil, demzufolge sich eine Bank haftbar mache, wenn notwendige Sicherheitsvorkehrungen fehlten. Am Ende beantragte sogar die Staatsanwaltschaft Freisprüche für alle.

Renate Christ, Pressesprecherin bei der Commerzbank, sagte der SZ, die Safe-Anlage habe jederzeit den Sicherheitsbestimmungen und dem Stand der Technik entsprochen. "Die Anlage wird mehrmals im Jahr geprüft und gewartet." Die vielen Alarmmeldungen kämen zustande, da bei jedem technischen Ereignis, etwa bei Bedienungsfehlern beim Aufschließen des Faches, eine Meldung ausgelöst werde. "Die Reaktion der Bank auf jede einzelne Meldungsursache ist dezidiert festgelegt."

Silvia F. sagte nach dem Urteil, sie sei in den letzten vier Jahren jeden Morgen mit Gedanken an den Prozess aufgewacht. "Die Jahre haben mein Leben komplett verändert." Sie habe ihre Arbeit geliebt, habe sich aber jetzt abfinden lassen.

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