Süddeutsche Zeitung

München:Die Schickeria ist tot, es lebe die Schickeria

Aufgespritzte Lippen, dicke Karren, Champagnerkübel: Wie schicki-micki ist das junge München? Eine Spurensuche, die schließlich bei Instagram endet.

Von Valerie Präkelt

Letztens in der Mittagspause: Meine Kolleginnen und ich testen ein neues Restaurant. Das Herzog in der Maxburg wurde Ende letzten Jahres eröffnet und vor einigen Wochen von einem großen Online-Design-Magazin für Interieur und Drinks gelobt. Für Drinks ist es noch zu früh - und mittlerweile auch zu spät, um sich das mit den 15 Euro für ein Mittagsmenü noch einmal zu überlegen.

Wir sitzen draußen, ich inspiziere das Publikum: Dicke Sonnenbrillen, dicke Taschen, dicke Lippen. Ist das etwa diese Münchner Schickeria, von der ich immer erzähle, dass es sie unter jungen Leuten längst nicht mehr gibt? Die Schickeria, die sogar Promi-Wirt und P1-Besitzer Michael Käfer 2012 für tot erklärte. Weil die Tische im Herzog viel zu eng stehen, komme ich nicht umhin, unseren Tischnachbarinnen zu lauschen. Ich schätze sie auf Anfang 20, beide sind gut gebräunt, tragen hellen Lippenstift auf gemachten Lippen. Fragt die eine die andere: "Spatzl, reservierst du uns noch einen Tisch für das Terrassen-Opening im Heart?"

"Spatzl" erinnert mich augenblicklich an Helmut Dietls Monaco Franze und irgendwie auch an den Inbegriff der Münchner Schickeria. Und an ein Date, das ich vor einigen Jahren hatte. Damals, ich war neu in München, begeisterte sich mein norddeutsches Herz auf dem Oktoberfest für einen Dialekt sprechenden Münchner. Es folgte ein Date im Vorstadt-Café in der Türkenstraße. Er trug rote Chinos, La-Martina-Hemd und Wildlederschlappen. Er sprach über sein VWL-Studium und seinen Lieblings-Beachclub in Starnberg. Und: Er nannte mich zweieinhalb quälende Stunden lang Spatzl. Sein Spatzl aber wurde ich nicht. Wildlederschlappen-Mann und ich haben uns nie wiedergesehen. Damals steckte ich ihn - vielleicht zu voreilig - in die Schublade "Münchner Schickeria".

Heute bin ich die, die München verteidigt. Ich habe einen Beschützer-Instinkt entwickelt für diese Stadt, die viele ausschließlich spießig finden. Ja, hier ist es ein bisschen verschlafen und die Dichte an teuren Restaurants ist groß. Worauf ich aber immer bestehe: München hat eine feine Kreativszene. Und Schnösel um die 20? Gibt es hier doch auch nicht mehr als in Hamburg oder Düsseldorf.

Oder doch? An diesem sonnigen Mittwoch haben mich die aufgespritzten Lippen meiner Tisch-Nachbarinnen im "Herzog" neugierig gemacht. Die Schickeria-Schublade öffnet sich wieder, und dieses Mal bin ich bereit, einen Blick hinein zu werfen. Vor genau 30 Jahren lief Helmut Dietls Kir Royal zum ersten Mal im deutschen Fernsehen. In sechs Folgen entschied Klatschreporter Baby Schimmerlos, wer in München zur Schickeria gehört - und wer nicht. Sein Motto: "Wer rein kommt, bestimm' ich und sonst niemand!"

Einmal steckt seine Sekretärin Edda Pfaff einem selbst erklärten Star-Zahnarzt und Schickeria-Anwärter, welche Lokalitäten der Reporter für eine Promi-Reportage besuchen wird. Darunter etwa das Schumann's und Kays Bistro. Edda flüstert ins Telefon - mit Bitte um absolute Geheimhaltung.

Als der Schickeria-Club schlechthin galt jahrelang das P1, früher waren die Promis da, dann die Bayern-Stars. Im Mai dieses Jahres konnte man beim Event-Veranstalter Jochen Schweizer für 199 Euro einen Gutschein kaufen, der es erlaubte, im P1 als DJ aufzutreten. Legendenstatus geht anders - Exklusivität auch.

Eine Woche nach meinem Besuch im Herzog sitze ich mit Freunden Dustin und Clara im Cotidiano am Gärtnerplatz. Meine Suche nach der jungen Schickeria hat begonnen und verlässliche Quellen prophezeiten mir, sie hier zu finden. Aber die Schicki-Micki-Bilanz ist schlichtweg enttäuschend. Dabei habe ich in meinem Kopf längst eine eigene Baby-Schimmerlos-Liste. Darauf: Tambosi, Heart, Lenbachs & Söhne, H'ugo's, das Filmcasino. Und natürlich der Tempel der Schickis, das Schumann's.

Clara konfrontiert mich: "Was suchst du? Gestylte Menschen, die dir reich erscheinen? Wirst du an diesen Orten finden. Aber das will über München doch niemand mehr lesen." Und weiter: "Ist das nicht auch überheblich? Menschen, die einen anderen Lebensstil leben als du, in eine Schublade zu stecken?"

Ich denke an meine Schublade, die ich eben erst vorsichtig geöffnet habe. Und während ich noch nach einer Antwort suche, sagt Dustin: "Von alleine würde doch nie jemand aufstehen und sagen: 'Guck mal, ich bin Schickeria!'" Klar, denke ich, aber Hipster will ja auch nie jemand sein.

Ich verlasse den Gärtnerplatz, fahre erst ins Tambosi, dann ins Schumann's. An einem sonnigen Mittwochabend sind beide Lokale gut besucht. Das Publikum ist elegant - und alt. Ich radle weiter ins Heart. Mittwochs ist scheinbar tote Hose. Immerhin ist das Publikum erheblich jünger als im Schumann's. So richtig schick sieht niemand aus. Ich fahre in Richtung Westend, lasse in der Schwanthalerstraße Dönerbuden und 24-Stunden-Kneipen, Design-Geschäfte und Edel-Restaurants hinter mir. Und denke an Michael Käfer. Vielleicht sollte ich ihm eine E-Mail schreiben: "Lieber Herr Käfer, vier Jahre nach ihrer Behauptung habe ich noch einmal nachgeschaut, die Schickeria ist wirklich tot."

Und dann finde ich sie doch, die junge Schickeria. Nicht im Schumann's, nicht im Heart und auch nicht im H'ugo's - sondern auf Instagram. Der Account "@richkidsmunich" versammelt Jungs im Abituralter. Sie haben dicke Karren, Champagnerkübel, Yachten, Gucci-Schuhe und Rolex-Uhren, in Szene gesetzt mit Hashtags wie #richkidsmunich, #viplife oder #richasfuck. Ich kontaktiere die Rich Kids. Ein Treffen sei so spontan leider nicht möglich, man weile im Ausland.

Kurzerhand telefoniere ich mit einem der drei Account-Betreiber, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er sagt, dass der Account mit einem Augenzwinkern betrieben würde. So etwas könne er auf seinem privaten Account nicht zeigen, er gehe ja noch zur Uni, sagt der BWL-Student. Er und seine Freunde sind zwischen 18 und 22 Jahre alt. Die Schnappschüsse offenbaren einen teuren Lifestyle; Eiskübel mit Belvedere, Moët oder Dom Perignon. Schickeria? Das "Rich Kid" ist sich selbst nicht sicher. "Na gut, uns wird man auch öfters in Chino und Polohemd sehen, als den normalen Menschen. Aber keiner von uns würde sich selbst als Schickeria bezeichnen", sagt der BWLer.

Na dann denke ich: Die Schickeria ist tot, es lebe die Schickeria.

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SZ vom 14.07.2016/sim/ebri
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