München:"Die Erfolgsquote bei Salafisten ist höher, dafür sind aber auch die Gefahren größer"

München: Thomas Mücke ist einer der Geschäftsführer des Vereins "Violence Prevention Network": Er treibt bundesweit zahlreiche Projekte gegen Islamismus und Rechtsextremismus voran.

Thomas Mücke ist einer der Geschäftsführer des Vereins "Violence Prevention Network": Er treibt bundesweit zahlreiche Projekte gegen Islamismus und Rechtsextremismus voran.

(Foto: Robert Haas)
  • Der Verein "Violence Prevention Network" hat nun auch eine Beratungsstelle in München eröffnet.
  • Im Auftrag des bayerischen Landeskriminalamts suchen die Mitarbeiter Kontakt zu Jugendlichen, die sich religiös radikalisieren, und versuchen, sie von den Extremisten zu lösen.
  • Die Erfolgsaussichten bei Salafisten seien insgesamt gut, sagt der Initiator, besser als bei Rechtsextremen.

Von Jakob Wetzel

Meist sind es Freunde oder Angehörige, die sich melden, manchmal auch ein Lehrer, sagt Korhan Erdön. Ein Freund, ein Schüler habe sich verändert, heißt es dann, er arbeite nicht mehr für die Schule und tue sehr religiös, sie wüssten nicht, was sie tun sollen. So fängt es an. Erdön versucht dann gegenzusteuern. Er berät die Anrufer und klärt auf über die Tricks der Salafisten. Er widerlegt Hetzbotschaften, liefert Gegenargumente. "Im besten Fall wird dann der Jugendliche, um den es geht, neugierig, und wir können uns treffen", sagt er. Dann sei der erste Schritt auf dem Weg zurück getan.

Erdön ist einer von vier Mitarbeitern in der "Beratungsstelle Bayern" des Vereins "Violence Prevention Network" (VPN). Der Verein ist bundesweit tätig, die Zentrale sitzt in Berlin. An diesem Dienstag hat er ein Büro an der Münchner Schillerstraße eröffnet, zwischen einer Tabledance-Bar und einem Mobilfunkgeschäft. Im Auftrag des bayerischen Landeskriminalamts (LKA) suchen die Mitarbeiter von hier aus Kontakt zu Jugendlichen, die sich religiös radikalisieren, und versuchen, sie von den Extremisten zu lösen. Sie begleiten auch Rückkehrer aus Syrien, manche im Gefängnis, manche in Freiheit, auf dem Weg zurück in die Gesellschaft.

Mehr als 60 Fälle betreuen sie derzeit, ungefähr jeder Vierte von ihnen komme aus der Region München, sagt Erdön. Seit zwei Jahren ist er für das VPN in Bayern tätig, seit einem Jahr kooperiert der Verein offiziell mit dem LKA. Und bis jetzt waren er und die anderen stets nur mobil erreichbar, sie waren unterwegs, trafen sich mit ihren Klienten in Moscheen, vor Schulen, in Cafés. Jetzt haben sie endlich ein eigenes Büro.

Man habe den Münchner Mietmarkt unterschätzt, sagt Thomas Mücke, einer der Gründer und Geschäftsführer des VPN. Am Ende habe er drei Mitarbeiter darauf angesetzt, Räume zu finden. Die Büros seien nun etwas groß, "aber es ist ein Ort, und es ist nahe am Hauptbahnhof", das sei wichtig. Hier könne man jetzt auch vertrauliche Gespräche führen.

Mückes Verein ist seit 2001 in zahlreichen Projekten gegen Rechtsextremismus und Islamismus aktiv; in München kümmert er sich um Salafisten. Der Verein habe bessere Möglichkeiten als die Polizei, sagt Manfred Gigl vom LKA. Für Jugendliche sei die Scheu hoch, mit einem Behördenvertreter zu sprechen. Deshalb habe man nach einem zivilgesellschaftlichen Partner gesucht, europaweit ausgeschrieben und das VPN gefunden.

Deren Berater begegnen den Jugendlichen auf Augenhöhe: Sie sind oft selbst Muslime und sprechen die Sprache der Szene. "Wir knüpfen einen engen Kontakt und helfen bei vielen Problemen", sagt Korhan Erdön: in der Familie, in der Schule, im Job. Für die Jugendlichen werde man oft so etwas wie eine Bruder- oder Vaterfigur. Im LKA hält ein "Kompetenzzentrum für Deradikalisierung" den Kontakt zu den Beratern und greift ein, wenn Erdön und seine Kollegen fürchten, ein Jugendlicher begehe eine Gewalttat oder reise aus, etwa nach Syrien.

Die Erfolgsaussichten seien insgesamt gut, besser als zum Beispiel bei der Arbeit mit Rechtsextremen, sagt Thomas Mücke. Deren Ideologie sei oft zum Kern der Identität der Jugendlichen geworden. Religiösen Extremisten bleibe die Religion dagegen erhalten, auch wenn sie sich von Extremisten lösen. "Die Erfolgsquote bei Salafisten ist höher, dafür sind aber auch die Gefahren größer", sagt Mücke. Denn der Weg zur Gewalt sei bei religiösen Fanatikern kurz. Erfolge genau zu beziffern sei dagegen schwierig, sagt Mücke.

Jemanden von der salafistischen Szene zu lösen, dauere lange. In etwa der Hälfte der Fälle seien die Jugendlichen auf einem guten Weg. VPN arbeitet mit vielen Institutionen zusammen, mit Behörden und Schulen, Ministerien, Vereinen und Moscheegemeinden, damit die Jugendlichen Fuß fassen können. Erst wenn alle Beteiligten den Eindruck haben, es sei geglückt, schließe man einen Fall ab. Und immerhin: Man habe in München bislang zehn Mal mit Ausreisewilligen zu tun gehabt, sagt Mücke. Und in allen Fällen habe man die Jugendlichen überzeugen können, zu bleiben.

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