Süddeutsche Zeitung

München:Die Akte Gaddafi

Ein Sohn des libyschen Diktators beschäftige in München über Jahre Polizei und Justiz - elf teils gravierende Fälle macht das Justizministerium nun auf Druck der Landtags-Grünen öffentlich.

Christian Rost

Die Akte von Saif al-Arab Gaddafi was bislang unter Verschluss. Die Staatsanwaltschaft München I weigerte sich stets, Details zu den Ermittlungen gegen den Sohn des libyschen Staatschefs zu nennen. Der 28-Jährige lebte von 2006 bis Anfang dieses Jahres in München, nach Beginn des Aufstands in Libyen ging er zurück in seine Heimat. Auf Anfrage der Grünen im Bayerischen Landtag zu Gaddafis Umtrieben in München musste nun Justizministerin Beate Merk (CSU) Stellung nehmen. Demnach haben sich Polizei und Staatsanwaltschaft in nur vier Jahren elf Mal mit Gaddafi junior beschäftigt. Die Ermittlungen hatten in den meisten Fällen keine Folgen für den libyschen Gast.

1. Vorsätzliche Körperverletzung

Bei einer Schlägerei in der Münchner Diskothek 4004 im November 2006 gerieten Saif al-Arab Gaddafi und ein damals 19-jähriger Türsteher aneinander. Der Türsteher wollte die Gäste hinauskomplimentieren, weil sich eine Begleiterin Gaddafis auf der Tanzfläche ausgezogen hatte. Die Staatsanwaltschaft bewertete die Prügelei anschließend als "wechselseitige tätliche Auseinandersetzung". Gaddafi soll dazu gesagt haben, er habe sich lediglich verteidigt. "Mit Blick darauf, dass der Beschuldigte bei der Auseinandersetzung selbst verletzt wurde, verneinte die Staatsanwaltschaft München I das besondere öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung", so das Justizministerium. "Das Verfahren wurde mit Verfügung vom 3. Januar 2007 auf den Privatklageweg verwiesen."

2. Gefährdung des Straßenverkehrs

Gaddafi verursachte am 15. November 2006 in München mit einem Diplomatenfahrzeug der libyschen Botschaft einen Verkehrsunfall. Den hinzugerufenen Polizeibeamten gegenüber wies er sich als Diplomat aus und gab an, er sei "zu seinem Dienstposten" unterwegs. Eine Blutentnahme wurde nicht angeordnet, weil "beim Beschuldigten keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen feststellbar" gewesen seien. Eine Anfrage der Polizei über die Staatskanzlei beim Auswärtigen Amt in Berlin ergab dann, dass Gaddafi nicht als Diplomat akkreditiert war. Und mangels Alkotest konnte auch "eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht nachgewiesen werden". Das Verfahren wurde am 27. Februar 2007 eingestellt.

3. Anstiftung zu einem Verbrechen und Verstoß gegen das Waffengesetz

Ein ehemaliger Mitarbeiter Gaddafis gab in einer Zeugenvernehmung am 28.Februar 2007 an, der Diktatoren-Sohn habe ihn beauftragt, den Türsteher der Disco 4004 "zusammenzuschlagen beziehungsweise diesem das Gesicht zu verätzen". Den Angaben zufolge besaß Gaddafi zudem illegal einen Revolver und verfügte über drei Diplomatenpässe. Die Ermittlungen, so Merk in ihrer Stellungnahme, hätten ergeben, dass der Zeuge "wegen angeblich unregelmäßiger Abrechnungen von Gaddafi entlassen worden war, mehrere Droh-SMS an dessen Sekretärin geschickt hatte". Und ein weiterer Zeuge habe zu den Vorwürfen nicht befragt werden können, weil dieser sich zuerst "in stationärer psychiatrischer Behandlung" befunden und später "auf sein Auskunftsverweigerungsrecht" berufen habe.

Unabhängig davon habe das Polizeipräsidium im März 2007 Kontakt mit der libyschen Botschaft aufgenommen. Die Staatskanzlei und das Auswärtige Amt seien darüber informiert worden. Das Amtsgericht München habe schließlich am 16. Juli 2007 einen Durchsuchungsbeschluss für Gaddafis Wohnsitze erlassen. Elf Tage später reiste ein Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft München I nach Berlin, um in der libyschen Botschaft in Berlin abzuklären, "inwieweit einer Durchsuchung eine völkerrechtliche Immunität entgegensteht". Das war laut Merk notwendig, weil die Villa Gaddafis als "Gästehaus der Botschaft" ausgegeben worden sein soll.

Der Botschafter habe zudem behauptet, Gaddafi junior genieße Diplomatenstatus in Deutschland. Das Auswärtige Amt widersprach dem am 30. Juli 2007. Zehn Tage später wurden Gaddafis Villa und seine regelmäßig angemieteten Zimmer im Hotel Bayerischer Hof in München durchsucht - fünf Monate nach der Aussage des ehemaligen Mitarbeiters. Aber am selben Tag der Durchsuchung, am 9. August 2007, stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Gaddafi ein, "da keine erlaubnispflichtigen Waffen gefunden wurden".

4. Bedrohung

Der Ex-Mitarbeiter zeigte Gaddafi an, weil der Libyer gedroht habe, ihn umzubringen. Folgen hatte das nicht. "Der Anzeigeerstatter wurde mit Verfügung vom 26. Juni 2007 auf den Privatklageweg verwiesen, da der Rechtsfrieden über den Kreis der unmittelbar Beteiligten hinaus nicht beeinträchtigt war und der ehemalige Mitarbeiter seinerseits Droh-SMS verschickt hatte", so Beate Merk.

5. Fahren ohne Fahrerlaubnis

Gaddafi wurde in den Jahren 2007 und 2008 bei Polizeikontrollen "mehrfach als Führer eines Kraftfahrzeugs angetroffen, obgleich er seit 19. Juli 2007 über keine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis verfügte". Die Angelegenheit wurde rasch mit einem Strafbefehl des Amtsgerichts am 3. Juli 2008 erledigt: Die Geldstrafe belief sich auf 45 Tagessätze.

6.Verstoß gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz

Der Subunternehmer einer Sicherheitsfirma, die von der libyschen Botschaft mit Schutzmaßnahmen für Gaddafi junior beauftragt worden war, erstattete am 15. April 2008 Selbstanzeige: Er habe auf Weisung einer Mitarbeiterin Gaddafis im November 2007 mit einem Diplomatenfahrzeug unter anderem ein Sturmgewehr und einen Revolver von München nach Paris gebracht. Die Waffen habe er dort an einen Dritten übergeben. Gegen diesen Dritten lief bereits ein Ermittlungsverfahren - dabei ist laut Justizministerium auch eine Telefonüberwachung geschaltet worden. Am 8. Mai 2008 vernahm die Polizei den Inhaber der Sicherheitsfirma, der die Angaben seines Subunternehmers bestätigte.

Ein ehemaliger Hausmeister soll unterdessen ausgesagt haben, dass er in Gaddafis Villa "lediglich drei Gotcha-Waffen, aber keine echten Waffen" gesehen habe. Justizministerin Merk erläutert: "Um verdeckte anderweitige Ermittlungen gegen den angeblichen Empfänger der Waffen nicht zu gefährden, wurde durch die Staatsanwaltschaft München I entschieden, zunächst keine offenen Ermittlungsmaßnahmen gegen Gaddafi durchzuführen." Die mit dem Fall befassten Polizeibeamten seien von der Staatsanwaltschaft "entsprechend unterrichtet " worden.

Nachdem sich bis Januar 2009 aus der Telefonüberwachung keine Anhaltspunkte für die Vorwürfe gegen Gaddafi ergeben hätten, "wurde das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 16. November 2009 eingestellt". Bei dieser Beweislage sei auch davon abgesehen worden, den Beschuldigten Gaddafi zu den Vorwürfen gesondert zu vernehmen. Auch seine Telefone wurden nie überwacht.

Die Ermittlungen wurden auch nicht mehr aufgenommen, als ein Zeuge am 16.Dezember 2009 ankündigte, er könne "sogar Angaben zum Transport von 40 bis 50 Sturmgewehren machen". Der Zeuge sei später nicht mehr zu Aussagen bereit gewesen, so Beate Merk.

7. Steuerhinterziehung

Polizisten suchten Gaddafis Villa am 13.Januar 2008 wegen Ruhestörung auf. Dabei bemerkten die Polizeibeamten drei Rottweiler, die nicht ordnungsgemäß angemeldet waren. Die Stadt München leitete daraufhin ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren wegen eines Verstoßes gegen die Hundesteuersatzung ein. Das Verfahren wurde dann gegen eine Geldauflage an eine gemeinnützige Organisation eingestellt, entschied die Staatsanwaltschaft München I am 10. November 2008.

8. Trunkenheitsfahrt

Gaddafi wurde am 22.Juni 2008 am Steuer eines Diplomatenfahrzeugs von der Polizei gestoppt - "wegen auffälligen Fahrverhaltens". Die Blutentnahme ergab 2,37 Promille. Das Polizeipräsidium informierte die libysche Botschaft über den Vorfall. Die Folgen waren für Gaddafi überschaubar: Er erhielt am 23. Dezember 2008 einen Strafbefehl des Amtsgerichts München über 50 Tagessätze und sechs Monate Führerscheinsperre.

9. Körperverletzung, Bedrohung und Verstoß gegen das Waffengesetz

Die Bundespolizei in Weil am Rhein nahm im Februar 2010 eine äthiopische Staatsbürgerin fest. Die Frau stellte Asylantrag und gab an, dass sie bereits in Libyen für Gaddafi im Haushalt tätig gewesen sei. 2009 sei sie nach München in die Villa Gaddafis gekommen. In der Nacht zum 1. Januar 2010 habe sie der Hausherr mit der flachen Hand geschlagen, ihr ein Getränk über den Kopf geschüttet und ihr eine Pistole an den Kopf gehalten.

Ob diese Waffe echt gewesen sei, könne sie nicht sagen. Das Amtsgericht München erließ am 6. Mai 2010 für die Wohnsitze Gaddafis Durchsuchungsbeschlüsse. Waffen seien nicht gefunden worden, so das Justizministerium. Das Auswärtige Amt war über die Durchsuchungen informiert worden - "im Hinblick auf zu befürchtende diplomatische Reaktionen Libyens". Die Ermittlungen gegen Gaddafi wurden eingestellt.

10. Beleidigung

Bei einer Verkehrskontrolle am 4. März 2010 beleidigte Gaddafi Polizisten. Auch das blieb ohne Konsequenzen: "Da keine Strafanträge vorlagen und damit nach Ablauf der Strafantragsfrist ein Verfahrenshindernis bestand, wurde das Ermittlungsverfahren am 27. Juli 2010 eingestellt", so Beate Merk.

11. Verstoß gegen das Waffengesetz

Ein Mann aus dem Umfeld Gaddafis, der wegen eines Verkehrsdelikts in Untersuchungshaft saß, ließ über seinen Verteidiger am 16. Dezember 2009 erklären, er wolle Angaben zu den Straftaten Gaddafis zu machen. Der Zeuge verlangte im Gegenzug, dass der gegen ihn bestehende Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wird. Der Mann sagte, dass ihm Gaddafi Geld dafür geboten habe, den Disco-Türsteher (aus Fall 1) umzubringen oder ihm wenigstens ein Bein abzuschneiden. Ebenso sei Gaddafi vor den Durchsuchungsmaßnahmen im August 2007 gewarnt worden und habe daher Waffen beseitigt.

Auch zu dem Waffentransport nach Paris bot der Zeuge Informationen an. Zu einer umfassenden Aussage kam es dann nicht, "weil die Staatsanwaltschaft die als Gegenleistung geforderte Bewährungsstrafe als nicht tat- und schuldangemessen erachtete", so Merk in ihrer Stellungnahme. Man habe aber "eine Mitarbeiterin Gaddafis sowie eine weitere Person vernommen", die die Angaben des Zeugen nicht bestätigt hätten. Die Staatsanwaltschaft München I entschied am 4. Juni 2010: Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wird abgesehen.

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SZ vom 02.04.2011
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