Deutsches Theatermuseum:Absolut bühnentauglich

Deutsches Theatermuseum: Der fotografische Blick aufs Schauspiel: Dorothea Wieck als Filmdiva Julia Bresproswannaja in "Komödie der Verjüngung" von Tolstoi, 1929, Schauspielhaus Frankfurt am Main, aufgenommen von Nini und Carry Hess.

Der fotografische Blick aufs Schauspiel: Dorothea Wieck als Filmdiva Julia Bresproswannaja in "Komödie der Verjüngung" von Tolstoi, 1929, Schauspielhaus Frankfurt am Main, aufgenommen von Nini und Carry Hess.

(Foto: Nini & Carry Hess, Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln)

Das Theatermuseum rückt drei großartige Künstlerinnen in den Fokus, deren Arbeit durch die Nazis fast zunichte gemacht wurde: "Nini & Carry Hess. Gertrude Fuld. Theaterfotografie der Weimarer Republik".

Von Yvonne Poppek

Im ersten Moment sieht die Aufnahme aus wie eine düstere, stark durchkomponierte Druckgrafik. Mittig dominiert ein Lichtkegel, darin zeichnen sich zwei Gestalten ab, eine sitzend, die andere sich linkisch nähernd. Im Hintergrund ragen Kreuze auf, Schatten in der Dunkelheit kippen bedrohlich nach vorne, die Stimmung ist morbide. Verstärkende Details kommen hinzu, weit aufgerissenen Augen, starre Blicke. Nicht zwingend ist der Gedanke, dass das Foto eine Bühnensituation wiedergibt, die Komposition nicht allein für das Bild entstand. "Kongenial", so nennt Kurator Eckhardt Köhn Arbeiten wie diese. Sie stammt von den Schwestern Nini und Carry Hess und zeigt "Nach Damaskus" von August Strindberg, aufgeführt 1922 am Schauspielhaus Frankfurt. Es ist nur eine der großartigen Aufnahmen, die derzeit in der neuen Ausstellung im Deutschen Theatermuseum zu sehen sind.

"Nini & Carry Hess. Gertrude Fuld. Theaterfotografie der Weimarer Republik" heißt diese. Sie ist die erste Ausstellung der neuen Leiterin Dorothea Volz und zugleich eine Teilübernahme aus dem Museum Giersch aus Frankfurt am Main. Dort hatte Kurator Köhn im Frühjahr dieses Jahres bereits die Ausstellung zu den Hess-Schwestern zeigen können. Diese ist - auch mit der Münchner Ergänzung um Gertrude Fuld - lohnenswert in mehrfacher Hinsicht: zum einen aus theaterhistorischer Sicht als Auseinandersetzung mit den Bühnenästhetiken dieser Zeit. Zum zweiten als Würdigung einer künstlerischen Arbeit, die damals - wie es in einem Nachruf auf Carry Hess heißt - "Weltruf" besaß. Zum dritten als Mittel gegen das einst mutwillig erzwungene Vergessen: Sowohl die Schwestern Hess als auch Gertrude Fuld waren jüdischer Herkunft, von 1933 an machten die Nazis ihre Arbeit unmöglich, große Teile zerstörten sie. Während sich Carry Hess und Gertrude Fuld ins Exil retteten, wurde Nini Hess vermutlich im KZ Auschwitz ermordet.

Diesem Teil der Biografien widmet das Theatermuseum einen eigenen Raum. Dokumente sind hier zu sehen, beispielsweise wie Carry Hess nach dem Krieg ihre Situation darlegt, um Entschädigung zu erhalten. Nur mühsam hielt sie sich in Frankreich über Wasser, erkrankte, erblindete auf einem Auge, bestritt ihre Einkünfte als Putzfrau oder als Fahrradkurier für einen Apotheker. Kaum sprach ihr die BRD eine kleine Rente zu, verstarb Carry Hess auf einer Reise in der Schweiz, zugrunde gerichtet von der Nazi-Diktatur.

Deutsches Theatermuseum: Sie stand natürlich vor Gertrude Fulds Kamera: Therese Giehse als Irma Pistora, hier zusammen mit Josef Eichheim in "Die Bekehrung des Ferdys Pistora".

Sie stand natürlich vor Gertrude Fulds Kamera: Therese Giehse als Irma Pistora, hier zusammen mit Josef Eichheim in "Die Bekehrung des Ferdys Pistora".

(Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Diesem genauso notwendigen wie erschütterten Komplex vorgeschaltet sind die Arbeiten der drei Fotografinnen. Gertrude Fuld, geboren 1895 in Mainz, machte ihre Ausbildung zur Fotografin in München und eröffnete 1924 ein Atelier an der Franz-Josef-Straße. 1928 wurde sie als Theaterfotografin an die Kammerspiele geholt, nach und nach weitete sich das Engagement auf die anderen Münchner Theater aus, ihre Art der Fotografie dominierte die Münchner Szene. Im Theatermuseum sind nun Aufnahmen aus den Kammerspielen zu sehen - natürlich von Therese Giehse, aber auch von Heinz Rühmann. Dazu kommen weitere Szenen aus Münchner Produktionen wie aus Christa Winsloes "Gestern und heute", das eine lesbische Liebe zum Thema hat, und dem Stück "Friedrich Friesen", das der mit Hitler eng verbundene Josef Stolzing-Cerny schrieb.

Mit dem erstarkenden Nationalismus, verändert sich die Ästhetik auf der Bühne, das ist selbst in dem nur kleinem Ausschnitt aus Fulds Werk zu erkennen. Dem gegenüber ist es umso spannender zu sehen, mit welcher Kraft und Ambition die Bühnen vor 1933 arbeiteten. Insbesondere das Frankfurter Schauspielhaus nahm mit seinem "Frankfurter Expressionismus", später der "Neuen Sachlichkeit" eine exzeptionelle Position ein. Eben genau dort arbeiteten die Schwestern Hess.

Deutsches Theatermuseum: Ausdrucksstark in Szene gesetzt: Erika von Thellmann als Puck im "Sommernachtstraum" auf den Heidelberger Schlossfestspielen von 1927, fotografiert von Nini und Carry Hess.

Ausdrucksstark in Szene gesetzt: Erika von Thellmann als Puck im "Sommernachtstraum" auf den Heidelberger Schlossfestspielen von 1927, fotografiert von Nini und Carry Hess.

(Foto: Nini & Carry Hess, Archiv Deutsches Theatermuseum München)

Die beiden wurden 1884 beziehungsweise 1889 in Frankfurt geboren, 1913 eröffneten sie ein Fotostudio in bester Innenstadtlage, das rasch prosperierte. Wer etwas auf sich hielt, ließ sich von den Schwestern ablichten, die Theaterszene versammelte sich um die beiden. Neu entwickelte Kameras und Techniken ließen es bald zu, dass nicht mehr nur im Studio fotografiert werden konnte, sondern direkt auf der Bühne. Das war die Geburt dieser besonderen, fast malerischen Ästhetik zum "Frankfurter Expressionismus", der die Hess-Bilder prägte.

Doch das Theater - und auch der Tanz - war nicht alles. Weiterhin entstanden Porträtaufnahmen in ihrem Atelier. Und für Nini und Carry Hess kamen die Printmedien hinzu, die sie mit Fotos belieferten - von Sportler- über Modeaufnahmen bis hin zur Illustration von Ereignissen. Auch diese Arbeiten sind im Theatermuseum zu sehen, das auf eine möglichst umfassende Einordnung dieser Künstlerinnen setzt - und das ist spannend, faszinierend und erschütternd.

Nini & Carry Hess. Gertrude Fuld. Theaterfotografie der Weimarer Republik, bis 8. März, Deutsches Theatermuseum, Galeriestr. 4a, Di. bis So. 11-17 Uhr

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