Als stolzem Besitzer eines Neun-Euro-Tickets tut es einem in der Seele weh, wie schlecht, ja geradezu gehässig in München über die Deutsche Bahn geredet wird - und das nur, weil der Bau der zweiten Stammstrecke um lumpige neun Jahre länger dauern wird als geplant und die Kosten sich verdoppeln. Meine Güte, Rom ist auch nicht an einem Tag errichtet worden. Und wenn man bedenkt, dass der Kölner Dom erst nach gut 600 Jahren fertig wurde, sind neun Jahre ein Wimpernschlag.
Aber nein, alle Münchner meckern über die Bahn, obwohl sie wissen müssten, dass es sich um ein tadelloses, topseriöses Unternehmen handelt, das seine Aufgabe, Menschen mit ordentlicher Verspätung von da nach dort zu bringen, mit Bravour erfüllt. Und wer schwärmte nicht von der Bordküche der Bahn, die jährlich mit Guide-Michelin-Sternen und Gault-Millau-Kochmützen ausgezeichnet wird? Um in den Genuss des mit Wurst verfeinerten Linseneintopfs zu kommen, buchen Feinschmecker gern mal eine Zugfahrt von Garmisch nach Flensburg.
Vom Vorstandsvorsitzenden bis zur Küchenhilfe ist die Bahn erstklassig aufgestellt, da kann nichts schiefgehen. Wenn trotzdem ein Zug oder ein Bauvorhaben Verspätung hat, müssen andere Mächte im Spiel sein, etwa das Schicksal, das Wetter, der Pumuckl oder der traditionell unfähige Verkehrsminister. Bei der zweiten Stammstrecke war es anfangs auch wie verhext. Es könnte sogar sein, dass die Bahningenieure, die ja auch noch Stuttgart 21 an der Backe haben, die Münchner Trasse zunächst in den Stuttgarter Stadtplan einfügten.
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Irrtümlich natürlich, so was kann schon mal passieren. Zugegeben, die Geschichte muss nicht stimmen. Aber wenn doch, wäre der Fehler spätestens bei der Begutachtung durch Bahnchef Lutz aufgefallen. So ein Top-Manager weiß natürlich, dass der Neckar nicht durch München fließt, sondern der Inn - oder irgendein anderer Fluss mit "I".
Im Herbst, so hat Lutz versprochen, wird die Bahn neue Zahlen vorlegen. Dann werden die Münchner ganz genau wissen, wann die zweite Stammstrecke fertig ist. Eine Prognose ist bereits durchgesickert: Die Röhre wird pünktlich vollendet. So pünktlich, wie man es von der Bahn gewohnt ist. Genaueres vorherzusagen ist natürlich unmöglich, denn niemand weiß, ob die Tunnelbohrmaschine dort herauskommt, wo sie soll, und nicht etwa in Milbertshofen oder Grünwald. So eine Bohrung ist immer Glücksache und mindestens so schwierig wie die Mondlandung oder die Sanierung des Gasteigs.
Aber es gibt Optimisten, die zuversichtlich sind, dass die neue Röhre bereits zur 900-Jahr-Feier Münchens im Juni 2058 zur Verfügung steht - zunächst allerdings nur als Fahrradweg. Die Schienen wird man später einbauen. Kleiner Planungsfehler, kommt in den besten Betrieben vor. Dafür aber gibt es bei den Kosten jetzt Sicherheit.
Sie werden kaum höher ausfallen als das 100-Milliarden-Paket zur Aufrüstung der Bundeswehr, vorausgesetzt, Andi Scheuer wird nicht wieder Verkehrsminister. Alles in allem ist die Gesamtplanung so überzeugend, dass Ministerpräsident Söder erwägt, die Bahn auch mit dem Bau des Münchner Konzerthauses zu beauftragen. Damit wäre sichergestellt, dass nichts daraus wird.