München:Der Wasser-Mann

Weltweit wird das Synchronschwimmen von Frauen dominiert. Bei den Münchner Isarnixen jedoch zeigt Noé Lausch, dass auch das starke Geschlecht in diesem Sport eine gute Figur machen kann

Von Jakob Pontius

Ein Sechskantschlüssel schlägt rhythmisch auf den Beckenrand im Schulbad des Schwabinger Maxgymnasiums. Die nass-schwere Luft riecht nach Chlor, es ist tropisch warm. Acht Beine ragen kerzengerade aus dem Schwimmbecken und versinken mit jedem Schlag ein Stückchen weiter im Wasser. Als das metallische Klirren zum sechsten Mal erklingt, verschwinden die Beine ganz - und zwei Sekunden später tauchen vier bunte Badekappen auf. Nach kurzem Feedback gehen die Mädchen, zu denen Beine und Badekappen gehören, wieder auf Tauchstation, und das ganze Spiel geht von vorne los. Wieder und wieder, an die 20 Mal. Die vier gehören zu den Münchner "Isarnixen", einem der ältesten deutschen Synchronschwimmvereine. Ihr Training ist hart und diszipliniert, alle hier sind Wettkampfschwimmerinnen. Nein, nicht alle - ein Wettkampfschwimmer ist auch dabei. Der 13-jährige Noé Lausch ist der einzige "Isar-Wassermann", er ist einer von zwei männlichen Aktiven in der deutschen Synchronschwimmszene.

Das frühere Wasserballett ist nach wie vor eine Randsportart, die meisten Deutschen kennen es nur aus Fernsehübertragungen der Olympischen Sommerspiele. Schön anzuschauen, aber im Grunde ähnlich skurril wie das Curling im Winter. Wie kommt man dazu, im Wasser nicht einfach zu schwimmen, sondern komplizierte Verrenkungen einzustudieren? Noé erklärt sein Erweckungserlebnis so: Ein heißer Tag im Italienurlaub 2013, Noé und seiner kleinen Schwester Jazz ist langweilig. Sie entschließen sich zu einer Abkühlung im Kneippbecken und studieren aus Spaß eine kleine Choreografie ein. Ihre Mutter filmt das Ganze und erklärt den beiden, was sie da im Grunde gerade entdeckt haben: das Synchronschwimmen. Zurück in München findet sie die Isarnixen im Internet und meldet zunächst Jazz an - aber Noé kommt mit. Nun trainieren die beiden schon fast zwei Jahre, anfangs ein bis zwei Mal pro Woche, inzwischen vier Mal.

München: Beim Synchronschwimmen geht's manchmal drunter und drüber.

Beim Synchronschwimmen geht's manchmal drunter und drüber.

(Foto: Robert Haas)

Das Training ist auf ganz München verteilt und folgt einer klar strukturierten Routine, auch an diesem Abend im Schwabinger Schulbad. Der Wassermann und die Nixen sammeln sich zunächst am Beckenrand - bevor sie ins Wasser dürfen, stehen Dehnen, Aufwärmen und Kräftigung auf dem Programm. Die Jüngsten sind erst sechs Jahre alt, sie wuseln zwischen den Größeren herum und suchen sich einen freien Fleck auf den Fliesen. Erst geht es in den Frauenspagat, da hat Noé noch Potenzial nach unten. Bei der Männervariante macht ihm aber keine seiner Mitstreiterinnen etwas vor. Als alle Glieder gestreckt und die Muskeln warm sind, springt die versammelte Mannschaft ins Becken.

Es klingt wie ein Schaufelraddampfer in voller Fahrt, wenn Noé und die Mädchen ihre Bahnen ziehen. Eine halbe Stunde lang kraulen und tauchen sie durch den Pool, abwechselnd jeweils 25 Meter, und zwar auf Zeit. Dazwischen müssen sie immer wieder Liegestützen machen. Trainerin Claudia Koller fordert viel von ihren Schützlingen, sie betreut Noés Altersgruppe. Koller ist überzeugt, dass die Synchronschwimmerinnen deutlich mehr leisten müssen als andere Wassersportler, denn neben Kraft und Ausdauer sei bei den Isarnixen Geschicklichkeit und präzise Körperbeherrschung ein Muss. Das Einschwimmen darf daher nicht übertrieben werden, erklärt sie, weil sonst Laktat das Muskelgewebe übersäuere und schließlich lähme - dann zittern die Glieder und die alles entscheidende Sauberkeit und Präzision bei der Figurenkoordination wird unmöglich.

München: Umringt von Mädchen und Frauen: Trainerin Barbara Liegl (rechts) zeigt Noé Lausch und den Isarnixen worauf es ankommt.

Umringt von Mädchen und Frauen: Trainerin Barbara Liegl (rechts) zeigt Noé Lausch und den Isarnixen worauf es ankommt.

(Foto: Robert Haas)

Genau dort liege auch noch die größte Baustelle für Noé, sagt seine Trainerin. Weil er erst seit zwei Jahren dabei ist, die meisten gleichaltrigen Mädchen aber schon seit fünf, habe er einiges nachzuholen. Wenn er bei Koordination und Technik aufschließt, kann sein anatomischer Kraftvorteil aber zum Nutzen aller eingesetzt werden. Schließlich hat nicht jeder Synchronschwimmverein einen Jungen im Team.

Der feminine Ruf seiner Disziplin lässt Noé kalt. Spott muss er sich keinen anhören, er glaubt, der selbstbewusste Umgang mit seiner Leidenschaft erspare ihm blöde Kommentare. Überhaupt findet er seine Position höchstens beneidenswert: "Ich bin ja immer von schönen Mädchen umgeben." Ob ihn das denn manchmal auch ablenke? Aber nein: "Gefühle haben hier nichts verloren." Noé klingt professionell und wirkt auf eine entspannte Art zielstrebig. Er will die Ansprüche seiner Trainerin erfüllen und dazulernen.

Der Aschheimer Realschüler bringt gute Voraussetzungen mit: Schon im Alter von drei Jahren sei er ohne Hilfe geschwommen, sagt sein Vater. Er selbst ist überzeugt, seine Sportart gefunden zu haben: "Wasser ist mein Element". Das war nicht immer so, früher spielte Noé American Football im Verein. Jetzt übt er lieber den "Barracuda", eine von acht Pflichtübungen, die alle Synchronschwimmer beherrschen sollten. Dafür muss er kopfüber im Wasser stehen, dann einknicken und sich mit Schwung aus dem Wasser schieben - Beine voraus - möglichst bis zum Brustkorb. Es folgt eine ganze Schraube, im Lehrbuch ragen danach nur noch die Füße aus den Wellen, bis zum Knöchel. Kurz halten, wegziehen.

Am letzten Juni-Wochenende sind die Deutschen Meisterschaften im Synchronschwimmen - im Münchner Nordbad. Die Isarnixen werden dabei sein, für Noé ist es bis dahin aber noch ein weiter Weg. Das macht nichts, Noé ist geduldig. Seine Motivation: "90 Prozent Spaß, zehn Prozent Ehrgeiz". Mit dieser Einstellung ist der Barracuda wohl erst der Anfang.

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