München:Der Klang der Delfine

Wer am Beckenrand des Dantebades aufmerksam zuhört, kann Schwimmstile am Geräusch des Wassers erkennen

Von Ulrike Steinbacher

Ein Sperrriegel aus Glas und Beton trennt den Alltag von der Auszeit. Flipflops schlurfen über die Fliesen der Eingangshalle - einmal rechts rum, einmal links. In der Garderobe klappert hinter den Klamotten die Spindtür zu, die Dusche rauscht, auf bloßen Füßen geht es auf der anderen Gebäudeseite wieder ins Freie. An manchen Tagen zwitschern dort die Vögel, Laub raschelt sanft, auf der Liegewiese ertönt Gelächter; dann wieder pfeift eisiger Nordwind über kahle Äste, Rabenkrächzen durchbohrt die Stille.

Das Dantebad ist das einzige Münchner Freibad, in dem die Schwimmer sommers wie winters ihre Bahnen ziehen können - im Winter im 30 Grad warmen 50-Meter-Becken vor der Stadion-Tribüne oder im noch wärmeren Erlebnispool. Von Mai an sind beide Becken ein paar Grad kühler, dafür stehen im Sommerbad vier weitere Angebote zur Auswahl: Baby- und Kinderbecken, ein zweites 50-Meter-Bassin und - hinter Hecken und Holzzäunen - Münchens einziger FKK-Swimmingpool.

An stillen Tagen - in einem Freibad sind das naturgemäß die Schlechtwettertage - ist Schwimmen im Dantebad wie Meditation. Im großen Stadion-Becken schwappt das Wasser dann träge gegen die Ränder der Edelstahl-Auskleidung, verschwindet schmatzend in der Überlaufrinne. Hin und wieder landet eine Ente auf diesem großen blauen Teich - schlitternd bremsen die Schwimmfüße. Im Sommer ist der Regen zu hören, der aufs Wasser platscht, im Winter das feine Sirren der Eisnadeln, die die Schwimmer noch im Gesicht treffen, ehe sie im Wasserdampf schmelzen. Und zu jeder Jahreszeit, zu jeder Tageszeit plätschern Gesprächsfetzen vorbei, kleine Hörspiel-Bruchstücke über fremde Sorgen: ". . . kommt praktisch immer zu spät, aber bei der sagt ja nie einer . . .", - ". . . einvernehmlich hat er gesagt, und dann schreibt seine Anwältin plötzlich . . ." - . . . von meiner Nachbarin der Schwager, der hat jetz aa an Herzinfarkt g'habt, aber der Doktor . . ."

Bei Hochbetrieb dagegen verklebt zäher Geräuschbrei die Ohren. Nur helle Kinderstimmen schrillen dann heraus: "Los, Mama, eiiiins, zweiiii . . ." An Spitzentagen im Sommer sind bis zu 10 000 Besucher im Dantebad. Die Pfeifen der Aufsichtsleute trillern dann oft: Vom Beckenrand springen ist verboten, schließlich könnte man einen anderen Schwimmer treffen und verletzen, aber das müssen die Bademeister so manchem Besucher erst im durchaus ernst gemeinten Einzelgespräch erklären. Auch die Lautsprecheranlage, die gewöhnlicherweise gegen 22.45 Uhr das nahe Ende des Badetages verkündet, hat an solchen Tagen Sonderschicht: Schnarrend vermeldet sie verloren gegangene Kinder, streng ruft sie bei Gewitter alle Besucher ins Gebäude. Denn Blitzschlag gefährdet nicht nur die Schwimmer, sondern wegen der vielen Bäume auch die Gäste auf der knapp 54 000 Quadratmeter großen Grünfläche.

So großer Andrang bringt die knapp zwei Millionen Liter im Stadion-Becken ziemlich in Aufruhr. Die Wellen spülen dann hastig über den Rand, verschwinden glucksend in der Überlaufrinne. Je mehr Menschen sich bewegen, desto stärker wirbelt das Wasser. Murmelnd weicht es den langsamen Zügen bedächtiger Brustschwimmer aus, perlend spritzt es unter dem Stakkato der schnellen Krauler davon. Experten wie Sabrina Bayer können am Rauschen noch ganz andere Einzelheiten erkennen: "Jeder Schwimmstil hat eine eigene Bewegungsabfolge", sagt die geprüfte Meisterin für Bäderbetriebe, die seit elf Jahren bei den Stadtwerken München (SWM) arbeitet und zu den 20 Stammkräften des Dantebades gehört. Und jede Abfolge erzeuge ihre eigenen Geräusche. Die wellenförmige Bewegung des Delfinschwimmers unterscheide sich hörbar vom Beinschlag des Kraulers: "Da klingt das Klatschen anders."

Früher war das Dantebad ein Bad für Sportler - ursprünglich eines ausschließlich für Männer. Die "städtische Sommerbadeanstalt" wurde 1913 eröffnet, erst 1920 kam ein Frauen- und Mädchenbad dazu. Die heutigen Stadion-Becken wurden 1928 fertig; seit 1961 sind sie auch im Winter in Betrieb, damals eröffnete das Winter-Warmfreibad. Während der Olympischen Spiele 1972 feuerten die Zuschauer auf der Tribüne die Wasserballer an, die im Stadion-Becken ihre Wettbewerbe austrugen. Die Sowjetunion siegte damals vor Ungarn.

Seinerzeit war der Erlebnispool von heute noch ein - deutlich tieferes - Sprungbecken samt Zehn-Meter-Turm. Alte Fotos im Glasgang zum Umkleidetrakt zeigen Männer, die sich in konzentrierter Stille auf ihren Sprung vorbereiten. Mit der Modernisierung im Jahr 2000 bekam das Becken eine flachere Edelstahlwanne. Denn inzwischen hat sich die Vorstellung von städtischen Schwimmbädern gewandelt. Heute sind sie mehr Freizeitoase als Sportstätte. Attraktionsbecken nennen Sabrina Bayer und ihre Kollegen den neuen Pool. Der Name ist Programm, denn gerade an den Spitzentagen fühlen sich viele Besucher angezogen: Jauchzende Kinder treiben durch den Strömungskanal im Kreis, Erwachsene führen auf den Sprudelliegen intensive Gespräche, andere lassen sich von dem Sturzbach, der mit gleichmäßigem Rauschen vom Wasserpilz prasselt, den Nacken massieren. "Und die Kinder singen gern unterm Wasserpilz", ergänzt Sabrina Bayer "weil es da so schön hallt". Allein die Technik selbst sei aber schon so laut, dass die Aufsichtsleute sich regelmäßig abwechseln müssten: "Das hält keiner stundenlang aus." Zu hören sind die Pumpen des Attraktionspools sogar nebenan im Schwimmbecken, zumindest wenn der Kopf unter Wasser ist. Dort klingt das Geräusch aber gedämpft und angenehm: Ein beharrliches Lispeln streichelt sanft die Ohren, verschafft ihnen Erholung von der Kakofonie an der Oberfläche.

Doch die Stunde Auszeit neigt sich schon dem Ende zu. Die Kirchenglocken von Herz Jesu in Neuhausen mahnen zur Eile. Schnell raus aus dem Becken, zurück zur Umkleide, vorbei an der Putzmaschine, die jede Stunde durchs Gebäude brummt und die nassen Fußspuren trocknet. Wieder rauscht die Dusche, wieder klappert der Spind, der Fön jault auf, und mit einem satten Knacken öffnet sich das Drehkreuz - zurück in den Alltag.

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