An einem "Marsch fürs Leben" haben sich am Samstag in der Münchner Innenstadt rund 3000 Menschen beteiligt. Das waren nicht nur weniger Menschen als 2023, sondern auch weit von den 8000 Abtreibungsgegnern entfernt, mit denen die Veranstalter gerechnet hatten. Nach Polizeiangaben demonstrierten etwa 1000 Münchnerinnen und Münchner gegen den Aufmarsch, zu dem sogenannte Lebensschützer und katholische Bischöfe, aber auch christliche Fundamentalisten und rechte Gruppierungen aufgerufen hatten.
Die Abtreibungsgegner versammelten sich auf dem Königsplatz, ihre Kritiker gleich daneben in der Katharina-von-Bora-Straße. Die Polizei hatte mehrere Hundert Beamtinnen und Beamte aufgeboten, um die beiden Gruppen getrennt zu halten. Nach Angaben der Beamten noch während des Umzugs durch die Maxvorstadt gelang das.
Besondere Brisanz hatten die Münchner Kundgebungen vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte in Deutschland. Zum einen soll ein Gesetz die Belästigung von Frauen vor Beratungsstellen und Arztpraxen durch militante Abtreibungsgegner als Ordnungswidrigkeit verbieten. Außerdem gibt es den Vorschlag einer Expertenkommission, frühe Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren.
Abtreibungen könne man nicht verbieten, hieß es bei der vom Bündnis "Pro Choice" und anderen Gruppen organisierten Gegendemonstration - Verbote verhinderten nur sichere Abtreibungen und gefährdeten Gesundheit und Leben von Frauen. Rednerinnen kritisierten die Abtreibungsgegner scharf. Wer nicht deren traditionellem Familienbild entspreche, werde ausgegrenzt. Und: "Sie wollen, dass nicht die Frau über ihren Körper bestimmt, sondern die Gesellschaft."
Vor einem Plakat, das eben diese traditionelle Familie mit Vater, Mutter, Sohn und Tochter zeigt, wandte sich auf dem Königsplatz die Publizistin Birgit Kelle nicht allein gegen Abtreibungen, sondern auch gegen Leihmutterschaft - das Thema ihres aktuellen Buches. Die Kundgebung sei ein Signal an Frauen, so Kelle: "Wir lassen euch nicht allein. Wir freuen uns, dass ihr Mütter werdet."
"Mutter werden - mehr Frau sein geht nicht", war auf zahlreichen Plakaten zu lesen. Auf anderen stand: "Väter werden durch Liebe zu Helden". Die Frau als Mutter, der Mann in seiner "von Gott gegebenen Rolle als Beschützer und Verteidiger des Lebens": Dieses Bild zog sich durch die auf Englisch gehaltenen Rede der britischen Anti-Abtreibungs-Aktivistin Isabel Vaughan-Spruce. Sie berief sich auf den in Auschwitz ermordeten Pater Maximilian Kolbe und zog einen die NS-Verbrechen indirekt relativierenden Vergleich: "Geschichte wiederholt sich."
Der katholische Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer, war - wie im Vorfeld auf seiner Internetseite angekündigt - unter den Teilnehmern. Der Passauer Bischof Stefan Oster dankte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in einem vorab veröffentlichten Grußwort für deren "kompromisslosen Einsatz". Ähnlich äußerte sich sein Eichstätter Amtsbruder Gregor Maria Hanke, der aber zugleich mahnte, dass "unser grundgesetzlich gefordertes und christlich motiviertes Anliegen nicht von Gruppen gekapert wird, die den Einsatz für den Lebensschutz für andere politische Zwecke instrumentalisieren, die wir weder als freiheitlich-demokratische Staatsbürger und schon gar nicht als gläubige Christen gutheißen können".
Eine Warnung aus konkretem Anlass. Im vergangenen Jahr hatten Rechtsextremisten das Umfeld des Münchner "Marsches fürs Leben" für eigene Aktionen genutzt. Das von den bayerischen Bischöfen 2018 eingerichtete Kompetenzzentrum für Demokratie und Menschenwürde (KDM) hatte vergangene Woche empfohlen, dem "Marsch fürs Leben" fernzubleiben. Das berichtet die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA). Es fehle den Veranstaltern am Bemühen, sich von Rechtsextremisten klar zu distanzieren, teilte das KDM auf KNA-Anfrage mit.
Aus der in Teilen rechtsextremen AfD gab es dieses Jahr Aufrufe, sich am Münchner "Marsch fürs Leben" zu beteiligen. Wie in den vergangenen Jahren wurde die Kundgebung zudem von einem Mann moderiert, den die städtisch geförderte Fachinformationsstelle Rechtsextremismus (Firm) als "AfD-nahen Funktionär" einordnet. Die Firm hat sich dieses Jahr mit einer eigenen Broschüre mit den Akteurinnen und Akteuren beim "Marsch fürs Leben" auseinandergesetzt. Die Fachinformationsstelle bezeichnet die Kundgebung der Abtreibungsgegner als "eine der größten extrem rechten und antifeministischen Mobilisierungen der letzten Zeit".
Silja Fichtner vom Münchner Verein "Stimme der Stillen" ficht die Kritik nicht an. In einem Text, den sie im Vorfeld im Internet veröffentlicht hat, warf sie den Gegnern des Marsches eine "Kultur des Todes und der Lüge" vor. Deren Taktik habe "vor allem damit zu tun hat, dass man sich mit der Position des Lebensschutzes gar nicht auseinandersetzen möchte".
Man gelte "heutzutage bereits als rechtsextrem (...), wenn man sich zu der biologischen Tatsache bekennt, dass es nur zwei Geschlechter gibt und wenn man daran festhält, dass eine Ehe genau aus Mann und Frau besteht", schreibt Fichtner. Daher sei es "fraglich, wem dieses Label tatsächlich noch Furcht einjagen soll". Eine Distanzierung von der rechten Szene fehlt in Fichtners Text. Es sei schlicht "irrelevant", schreibt sie über die Teilnehmer am "Marsch fürs Leben", "was ihr Lieblingsessen ist, wohin sie in den Urlaub fahren, ob sie gerne den Müll trennen und welche Parteien sie wählen".