München:"Querdenker"-Demonstration vorzeitig abgebrochen

München: Der Anwalt Markus Haintz hat die Kundgebung auf dem Max-Joseph-Platz unweit der Feldherrnhalle angemeldet.

Der Anwalt Markus Haintz hat die Kundgebung auf dem Max-Joseph-Platz unweit der Feldherrnhalle angemeldet.

(Foto: Robert Haas)

Ausgerechnet am Jahrestag des 9. November 1938 veranstalteten etwa 350 Verschwörungsgläubige und Impfgegner eine Kundgebung für "politische Gefangene". Dann kommt die überraschende Wende.

Von Martin Bernstein, René Hofmann und Joachim Mölter

Nach einer Stunde war alles vorbei. Der Ulmer Anwalt Markus Haintz hat am Mittwochabend die von ihm initiierte Kundgebung für inhaftierte Pandemieleugner und Verschwörungsideologen (Haintz: "politische Gefangene") vorzeitig abgebrochen. Er habe gerade mit einem "Herrn jüdischer Herkunft" gesprochen, sagte Haintz vor 350 teils applaudierenden, teils aber auch erkennbar konsternierten Anhängern und rund 250 ebenso verblüfften Gegendemonstranten. Sein Gesprächspartner habe ihm gesagt, dass sich die Versammlung "für ihn heute nicht richtig anfühlt". Er, Haintz, werde deshalb die Demo beenden.

Die Kundgebung hatte bereits mit Verspätung begonnen. Zuvor hatte Haintz nach eigenen Angaben einen Rechtsextremisten von der Versammlung ausgeschlossen. Zudem war Oberstaatsanwalt Andreas Franck, der Antisemitismus-Beauftragte der bayerischen Justiz, auf ein möglicherweise volksverhetzendes Plakat aufmerksam gemacht worden. Angriffsziel der Foto-Collage: Juden. Haintz hatte zu Beginn der Versammlung noch dazu aufgerufen, Teilnehmer mit verbotenen Symbolen oder Flaggen bei ihm und der Polizei zu melden. Es könnte sich dabei um staatlich bezahlte Provokateure handeln, behauptete er.

Dass sich die verschwörungsideologisch intonierte Kundgebung für jüdische Münchnerinnen und Münchner "nicht richtig anfühlt", hätten die Organisatoren bereits im Vorfeld wissen können.

München: Etwa 250 Menschen versammelten sich zu einer Gegendemo auf dem Platz.

Etwa 250 Menschen versammelten sich zu einer Gegendemo auf dem Platz.

(Foto: Robert Haas)

Der von Haintz initiierte Demonstrationszug war unter anderem dem auf den Philippinen festgesetzten Münchner Propagandisten des antisemitischen Verschwörungskults "QAnon" Oliver Janich gewidmet, der öffentlich dazu aufgerufen hat, deutsche Politiker und einen jüdischen Milliardär umzubringen. Ein verurteilter Volksverhetzer hatte außerdem angekündigt, die Demo als Solidaritätskundgebung für eine inhaftierte Shoah-Leugnerin zu nutzen, kam dann jedoch nicht nach München.

Bei der Gedenkstunde im Alten Rathaus für die Opfer der Reichspogromnacht von 1938 ging Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, am Abend auf die nahe Demonstration der "Querdenker"-Szene ein: "Die politischen Kräfte, die den Hass unserer Geschichte wieder entfesseln wollen, werden dieses Land erneut in den Abgrund stürzen, wenn wir sie lassen. Alles, was mein Vater sich erhofft hat und das nach 1949 Wirklichkeit wurde - wollen sie zerstören." Parteien wie die AfD und Gruppierungen wie die, die zur selben Zeit durch die Münchner Innenstadt zögen, seien eine Gefahr für die Demokratie. Sie dankte allen, "die gegen den Hass auf der Straße sind und ihre Stimme erheben".

Der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle, hatte die geplante Kundgebung ebenfalls scharf kritisiert. "Die Querdenker-Szene und viele ihrer Sympathisanten" müssten wissen: "Wer sich auf den 9. November als deutschen Schicksalstag beruft und an diesem Datum in München zu einer Kundgebung aufruft, um zugunsten vermeintlich 'politischer Gefangener' zu demonstrieren, folgt einer unseligen Tradition, die vor 99 Jahren in München blutig gescheitert ist."

Spaenle wies damit auf den ebenfalls an einem 9. November an der Feldherrnhalle niedergeschlagenen Hitlerputsch hin. Nicht weit entfernt - auf dem Platz vor der Oper - begann am Mittwochabend der Aufmarsch der verschwörungsideologischen Szene. In den vergangenen Jahren hatten Münchner Neonazis immer wieder versucht, am 9. November zur Feldherrnhalle zu marschieren. "Die Zivilgesellschaft und die Behörden seien aufgefordert", so Spaenle, einen Missbrauch dieses Datums zu verhindern.

Der Veranstalter der Kundgebung, Markus Haintz, hatte in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme bestritten, "dass er durch die Demonstration Opfer der Nazidiktatur provozieren möchte". Der ursprünglich gewählte Ort unmittelbar neben der offiziellen Gedenkfeier, der Termin: alles mehr oder weniger Zufall, behauptete der Anwalt aus der Querdenker-Szene - obwohl seine Demo-Aufrufe mit dem Hashtag #muc911 von Anfang an auf den "deutschen Schicksalstag" abzielten.

In den Szene-Kanälen auf Telegram und Twitter herrschte nach Haintz' Entscheidung helle Aufregung. "Wann versteht ihr, das Herr Haintz höchstens seine eigene Show abzieht...", schrieb eine Anhängerin der Gruppierung "München steht auf". Andere mutmaßten, der Organisator habe den vorzeitigen Abbruch der Demo schon länger geplant und gar nicht vorgehabt, zu den Münchner Gerichten zu ziehen. Auch der Mann, mit dem Haintz vor dem Abbruch der Kundgebung sprach, bezweifelt, dass dieses Gespräch der Grund für den Abbruch der Demo war. Er hält Haintz' Aussagen für einen Vorwand.

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