Süddeutsche Zeitung

Demonstration auf dem Marienplatz:"Wir brauchen noch mehr Krawall"

Seit zwölf Jahren gilt die UN-Behindertenrechtskonvention, doch noch immer müssen Betroffene um ihre Rechte kämpfen - vor allem bei Behörden.

Von Ekaterina Kel

Ihre Forderungen sind einleuchtend: Sie wollen Akzeptanz, Inklusion, Gleichberechtigung. Und doch stehen die Aktivistinnen und Aktivisten für Behindertenrechte an diesem Donnerstagnachmittag in einer Gruppe von nur etwa 50 Menschen auf dem Marienplatz und appellieren an eine vorbeiziehende Menge aus Touristen und Einkaufsbummlern, die sich höchstens für den Auftritt der Trommlerinnen von Drumadama interessiert dazustellen. Fangen dann die Redner und Rednerinnen an, von der Tribüne über die Dringlichkeit ihrer Anliegen zu sprechen, lichtet sich die Menge wieder merklich.

Dabei ist vielen entgangen, wie Patricia Koller, die Initiatorin der Kundgebung "für ein selbstbestimmtes (!) Leben, Teilhabe und Barrierefreiheit", ins Mikrofon ruft: "Wir fordern, dass die Behörden sich an deutsches Recht halten." Denn eines der größten Probleme für Menschen mit Behinderung, so erzählt sie es auf Nachfrage, sei die Bevormundung durch die Behörden. "Die Rolle als Bittsteller", die man bei vielen Anträgen ständig annehmen müsse, der Kampf darum, sie genehmigt zu bekommen, obwohl man ein Recht darauf hätte, sei nicht hinnehmbar, so Koller.

Auch andere Teilnehmer berichten davon, wie schwer die Kommunikation mit den Behörden sei. Egal, ob man einen Assistenten beantragen möchte, einen Gebärdensprachdolmetscher oder ob es um das persönliche Budget geht, die bürokratischen Barrieren gehörten abgebaut, findet auch Udo Biesewski, der nach eigenen Angaben wegen mehrerer Jahre beim Bergbau in der DDR schwerbehindert ist und nun in München Straßenzeitungen verkauft und sich für Obdachlose engagiert.

Als sie noch nicht im Rollstuhl saß, sei ihr nicht klar gewesen "wie schäbig und mies Menschen mit Behinderung behandelt" würden, sagt Koller. Aber seit einigen Jahren ist sie gehbehindert und wisse nun, dass es bloß "sehr wenig hilfreiche Unterstützung" für Menschen mit Behinderung und auch für psychisch kranke Menschen gäbe. "Wir brauchen noch mehr Krawall", findet sie und hat deshalb im Mai die Initiative Randgruppenkrawall ins Leben gerufen und diese Kundgebung organisiert.

Der Verwaltungsaufwand sei tatsächlich zu groß, findet auch Petra Tuttas, sie sitzt für die Grünen im Bezirksrat Oberbayern und ist auch zur Unterstützung gekommen. Aber sie weist darauf hin, dass die Mitarbeiter in den Behörden sich "bemühen, einen guten Job zu machen". Es fehle einfach an Personal, um die vielen Anträge zu bearbeiten, so Tutters.

Frustriert stellt sich Anna Krott, Gebärdensprachdolmetscherin aus Gilching und Unterstützerin der Kundgebung etwas abseits in den Schatten. Die UN-Behindertenrechtskonvention sei vor zwölf Jahren in Kraft getreten, sagt sie. "Und wir sind noch keinen Meter weiter."

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SZ vom 21.08.2020/infu
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