SZ im Dialog München:Aufregende Aussichten

SZ im Dialog München: Das Konzerthaus sollte im Werksviertel am Ostbahnhof entstehen. Doch nun hat Ministerpräsident Markus Söder dem Projekt eine "Denkpause" verpasst.

Das Konzerthaus sollte im Werksviertel am Ostbahnhof entstehen. Doch nun hat Ministerpräsident Markus Söder dem Projekt eine "Denkpause" verpasst.

(Foto: Bloomimages für Cukrowicz Nachbaur Architekten)

"Denkpause" oder Abgesang? Bei der SZ-Diskussion über die Zukunft des Münchner Konzerthauses muss Minister Markus Blume sich gegen Vorwürfe von Künstlern wehren. Star-Dirigent Simon Rattle sieht in den Plänen die Chance auf ein "anderes München".

Von Anna Hoben

Kurz vor Schluss wird es noch etwas hitzig. Opernsänger Christian Gerhaher wirft dem bayerischen Kunstminister Markus Blume (CSU) vor, dass die Staatsregierung das Projekt eines neuen Konzerthauses im Werksviertel aus parteitaktischen Überlegungen im Jahr vor der Landtagswahl verschleppe. "Wir canceln die Hochkultur und sparen Geld, das kommt bei ganz vielen an", so fasst er seine Sicht der politischen Motive für das Infragestellen des Projekts zusammen. Woraufhin ihm Blume "Denkverweigerung" vorwirft, was den ein oder anderen Buhruf aus dem Publikum nach sich zieht. Man könne in einer neuen Zeit nicht "stur und stupide" an alten Planungen festhalten, so Blume. Dass das Haus so wie bisher geplant nicht kommen wird, darauf will er sich aber auch nicht festlegen.

Anderthalb Stunden haben die Gäste am Montagabend zuvor über die Frage diskutiert, ob München ein neues Konzerthaus braucht - und wenn ja, was für eines. Neben Blume und Gerhaher auf dem Podium im SZ-Hochhaus: Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne), der Intendant des Residenztheaters, Andreas Beck, und Ulrich Wilhelm, früherer Intendant des Bayerischen Rundfunks und Vorstandsmitglied der Stiftung Neues Konzerthaus München. Die Podiumsdiskussion in der Reihe "SZ im Dialog München" im Gebäude des Süddeutschen Verlags wurde moderiert von Ulrike Heidenreich und René Hofmann, den Leitern des Ressorts München, Region und Bayern.

Ein Motiv zog sich wie ein roter Faden durch den Abend: die Frage, was die von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eingeforderte "Denkpause" eigentlich bedeutet. Ist sie wörtlich zu nehmen, also mit offenem Ausgang des Denkprozesses, oder handelt es sich vielmehr um eine in andere Worte verkleidete Absage?

Wenn sich dahinter die Beerdigung des Projekts verberge, dann müsse die Staatsregierung Klartext sprechen, forderte Wilhelm - und nicht mit denen "spielen", die sich seit Langem damit beschäftigten. Zu einer klaren Ansage wollte Minister Blume sich allerdings nicht hinreißen lassen. Stattdessen verwies er auf eine lange Liste von anderen nötigen Investitionen. Die Politik befinde sich angesichts von geschätzten Kosten von bis zu einer Milliarde Euro in "schwierigsten Abwägungsprozessen".

SZ im Dialog München: Unter der Moderation von SZ-Ressortleiterin Ulrike Heidenreich (li.) und SZ-Ressortleiter René Hofmann (von hinten) diskutieren (v. li.) Andreas Beck, Markus Blume, Katrin Habenschaden, Ulrich Wilhelm und Christian Gerhaher.

Unter der Moderation von SZ-Ressortleiterin Ulrike Heidenreich (li.) und SZ-Ressortleiter René Hofmann (von hinten) diskutieren (v. li.) Andreas Beck, Markus Blume, Katrin Habenschaden, Ulrich Wilhelm und Christian Gerhaher.

(Foto: Robert Haas)

Seit bald zwei Jahrzehnten wird über einen neuen Konzertsaal für München debattiert. Der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) schrieb sich das Projekt 2009 auf die Fahnen. Ende 2015 entschied sich die Staatsregierung unter seiner Führung für das Werksviertel hinter dem Ostbahnhof als Standort. Vor einigen Wochen hat Ministerpräsident Söder das Projekt in einem SZ-Interview grundsätzlich in Frage gestellt.

Dieser Vorstoß sei für ihn sehr überraschend gekommen, sagte Wilhelm, vor allem der plötzliche Sinneswandel, "obwohl es keine neue Situation gibt". Blume verteidigte den Anstoß, das Projekt zu überdenken. Er verwies auf die "zwei Weltkrisen", erst die Corona-Pandemie, jetzt der Angriffskrieg in der Ukraine, mit "Folgen, die keiner wirklich beziffern kann". Ein "Innehalten" sei deshalb dringend geboten, es sei "notwendig zu prüfen, ob wir die finanzielle Kraft haben, das zu schultern". Außerdem sei mit der neuen Isarphilharmonie eine neue Situation entstanden. Die Stadt habe mit den Planungen für diesen Interimskonzertsaal und für die Sanierung des Gasteig ihre Hausaufgaben gemacht, sagte Bürgermeisterin Habenschaden. Die Situation sei nun tatsächlich eine andere, räumte auch sie ein. Die Debatte, ob es ein neues Konzerthaus brauche, könne aus ihrer Sicht aber "sehr offen geführt werden". Erste Gesprächsfäden mit der Staatsregierung seien geknüpft.

Sir Simon Rattle, der beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zur Saison 2023/24 das Amt des Chefdirigenten antritt, hatte vorab ein Videostatement geschickt, das auf der Bühne eingespielt wurde. Man möge ihm verzeihen, dass er so "irritierend und typisch britisch positiv" sei. Aber für einen Außenseiter sei es vielleicht einfacher zu sehen, wie aufregend die Aussichten seien: Das Werksviertel sei "im Kommen, pulsierend und lebendig", schon jetzt gebe es dort alle möglichen Arten künstlerischer Aktivität.

Die Isarphilharmonie zeige, dass ein guter Konzertsaal deutlich günstiger gebaut werden könne

"Es ist ein sehr anderes München als das, das die Außenwelt kennt", so Rattle. Ein Konzertsaal sei nicht nur ein Auditorium, sondern eine Philosophie. Es gehe im Wesentlichen um Kulturvermittlung: "Wir haben einen Traum, dass unsere Musik alle Kinder in Bayern erreichen und ihr Leben verändern kann." Das Orchester des Bayerischen Rundfunks beherberge lauter kreative Musikerinnen und Musiker, die vor Ideen nur so sprudelten, wie man das Musikleben in München verändern und bereichern könne. "Und die Ironie ist, dass es das einzige großartige Orchester ist, das keine Heimatbasis hat, um dies zu verwirklichen."

Für Intendant Andreas Beck stellte sich vor allem die Frage, wie das Konzerthaus aussehen könnte - die Isarphilharmonie zeige, dass es auch anders gehe, sprich: dass ein guter Konzertsaal auch deutlich günstiger gebaut werden könne. Er forderte eine generelle, tiefgreifende Diskussion darüber, wie der Kulturstandort München sich in den kommenden Jahren entwickeln soll. Die Stadt müsse attraktiver werden für jüngere Menschen, und nicht zu vergessen: Künstler müssten sich die Stadt auch leisten können.

Christian Gerhaher zog eine Analogie zu Münchens Museumslandschaft. Wenige Orte auf der Welt seien damit vergleichbar und man hätte einst auch fragen können, ob es die Pinakothek der Moderne oder das Museum Brandhorst noch brauche. Jetzt gibt es sie und man sei stolz darauf. "Genauso wird man es mit dem Konzertsaal auch sehen", prophezeite er. Man könne die Künste nicht nach Bedarfen organisieren. "Die Künste haben immer davon gelebt, dass sie produktiv werden, ohne dass jemand danach gefragt hat."

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