München:"Das Geheimnis des Glaubens sichtbar machen"

Pünktlich zu Karfreitag werden in katholischen Kirchen "Heilige Gräber" aufgebaut. Sie inszenieren den Tod Jesu und machen Hoffnung, dass aus dem Leiden neues Leben entsteht. Gläubige finden dort einen Ort für Andacht und Meditation

Von Renate Winkler-Schlang

Der liebe Gott hat es so gewollt. Da ist Maria Nilgesz sicher. Als sie mit ihrem Mann Johann im Jahr 2000 die Mesnerstelle in der Alt-Schwabinger Pfarrei St. Sylvester antrat, startete sie ein Großreinemachen, auch auf dem Speicher. Dabei entdeckten die beiden vergoldete Bögen, Engelsfiguren, Holzelemente, mit buntem Wasser gefüllte und mit Wachs und Korken verstöpselte Kugeln unter verstaubten Decken. Schnell war klar, dass es sich um Teile für ein "Heiliges Grab" handelte, aus der Zeit des Jugendstils.

Seit der Spätantike gestalten Christen solche Kenotaphe oder Scheingräber, in denen für Karfreitag mit lebensnahen Figuren der Tod Christi anschaulich dargestellt wird. In St. Sylvester hatte der Brauch 55 Jahre lang geruht. Doch ein alter Herr brachte eine verblasste Fotografie, sodass Johann Nilgesz wusste, wie die Teile dieser Kulisse zusammengehören. "Da, die Schrauben: alles original", sagt Nilgesz. Es ist eine schwere Arbeit. Sein Rücken schmerzt, als er sich hinkniet, um auch die Elektrokabel für die Beleuchtung, die er angebracht hat, zu entwirren: "Das Kreuz", sagt er. "Aber ich mache das sehr gerne." "Ich danke Dir Herr Jesu Christ, dass du für mich gestorben bist", steht auf den Säulen. Die Engel, die Nilgesz noch aufstellt, stammen laut Pastoralreferent Michael Steinbacher wohl schon aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Sie tragen die "Waffen Christi": Dornenkrone, Lanze, Nägel.

Das Grab, sagt Steinbacher, werde sehr gut angenommen. Als es während der Renovierung fehlte, seien Beschwerden gekommen. Bei der Gründonnerstagsliturgie, die offen endet, weil Jesus und die Jünger sich nach dem Abendmahl zum Beten auf den Ölberg zurückgezogen haben, wird die Jesusfigur noch von einem von Nilgesz eingepassten Brett verborgen, doch die Schale mit den Hostien, Ziborium genannt, wird hierhergebracht. Am Karfreitag und Karsamstag beten und meditieren viele am dann offenen Grab in aller Stille, Eltern kommen mit ihren Kindern. Man brauche eben Trost angesichts dieser "zutiefst grausamen Geschichte" von Folter, Unrechts-Urteil, politischem Mord. Mancher frage ihn, warum der Allmächtige seinen Sohn opferte. "Ich habe keine Antwort", sagt Steinbacher. "Aber es ist geschehen. Und es geschieht noch. In Syrien, in Carcassonne." Mancher Theologe finde, dass die schöne Atmosphäre dieser Inszenierung dem Tod Jesu nicht gerecht werde. "Aber es hilft zu verstehen. Und es ist ein Ausdruck der Liebe. Wie die Grabpflege für unsere Angehörigen", meint Steinbacher.

Ihm selbst sagt der von einer Kerze halb verkohlte Jesus in der hinteren Seitenkapelle für seine Kontemplation mehr zu: "Aber das Heilige Grab hat seine Berechtigung." Und es ist schön, wenn am Ostersonntag der tote Jesus wieder verborgen ist und die Figur des strahlend Auferstandenen unterm goldenen Bogen steht.

In der modernen Ramersdorfer Kirche St. Bernhard baut Mesner Josef Heilmann ein modernes Grab auf, das er vor 23 Jahren bei seinem Amtsantritt selbst liebevoll konstruiert hat. Seine Komposition steckt voller Symbolik: Die Zahl der Kerzen entspricht den 25 Perlen des Rosenkranzes, die der fünf Mini-Zypressen den fünf blutenden Wunden Jesu. Das Gras in kleinen grünen Töpfen im Hintergrund steht für das beginnende neue Leben. Das moderne Bild von Bernhard Prinz, das Jesus mit dem Kreuz zeigt, ist umrahmt mit gelbem Stoff. Das aufgeschlagene Totenbuch der Gemeinde gehört für den Mesner ebenso dazu wie leise Meditationsmusik und Blumen. In der Sakristei ruht der liegende Jesus unter einem frisch gebügelten weißen Tuch, die Dornenkrone liegt auf einem Kissen bereit. Messdiener mit weißen Handschuhen werden beides am Karfreitag feierlich durch die Kirche tragen und dann zum Grab bringen.

Auf der Homepage des Erzbischöflichen Ordinariats unter www.heilige-graeber.de finden sich alle Pfarreien Münchens, in denen Heilige Gräber aufgestellt werden. St. Andreas im Schlachthofviertel etwa hat für eine moderne Darstellung einen Sarg anfertigen lassen, in St. Anton wird seit dem 17. Jahrhundert ein Grab aufgebaut, St. Bonifaz hat sich eine neue Figur schnitzen lassen. Die Krypta der Asamkirche, in der eigentlich die Schöpfer Egid Quirin und Cosmas Asam hatten beerdigt werden wollen, ist nur an Ostern zugänglich, wenn dort ein Heiliges Grab von barocker Frömmigkeit zeugt. In St. Michael hingegen liegt die Figur des toten Jesus zeitgemäß auf einer Art Campingpritsche. In der Frauenkirche bleibt das von Ostersonntag an leere Grab bis zum Weißen Sonntag zugänglich. In Heilig Kreuz in Giesing wurde schon 1810 ein Heiliges Grab vom damaligen Pfarrer Silberhorn erwähnt. Auch kleine Kapellen wie die Michaelskapelle an der Corinthstraße öffnen für die Andacht.

"Es konnten ja nicht alle nach Jerusalem zum wahren Grab Christi pilgern" sagt Christoph Kürzeder, Leiter des Freisinger Diözesanmuseums, auf die Frage, warum diese Tradition aufkam. Er stellt sie in eine Reihe mit gemalten Szenen, Mysterien- oder Passionsspielen und Prozessionen. Als Messen noch auf Latein gelesen wurden, brauchten die Menschen Darstellungen. In der Fastenzeit sei der Kirchenraum karger, da wirke eine Inszenierung um so mehr. "Das nicht Darstellbare darstellen", so erklärt Norbert Jocher, Leiter des Kunstreferats des Ordinariats, die Aufbauten: "Das Geheimnis des Glaubens sichtbar machen." Mancher Katholik erlebe hier "ein kurzes Aufblitzen der Botschaft, dass durch Tod und Leiden Leben kommt." Das, so Jocher, bewege wirklich jeden Menschen: "Jeder denkt an das, was nach dem Tod kommt, auch der größte Atheist. Spätestens, wenn ein geliebter Mensch stirbt."

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