München:Das Gefühl, zu leben

Freiheit und Wehmut: Marwayit Hapiz erzählt mit ihrer Malerei von der Kultur der Uiguren

Von Elena Butz

Ein Porträt von ihr, der jungen, talentierten Künstlerin, lief mal im chinesischen Fernsehen. Ihre Bilder hingen in der Nationalgalerie in Peking und der Sunsky Fine Art Gallery in Hongkong. Heute hat sie ein Atelier in einem Schwabinger Wohnhochhaus, mit Aussicht über die Stadt und Blechdosen voller Pinsel auf der Fensterbank. Und sie fühlt sich frei, mit ihrer Kunst auszudrücken, was sie will.

Marwayit Hapiz ist ein wenig erschöpft. Zwei Ausstellungen innerhalb weniger Tage hat die 56-Jährige gerade hinter sich, eine in Schloss Blutenburg, eine in Nymphenburg. Ihre Bilder - sie bevorzugt Ölfarben - hat sie alle selbst dort aufgehängt und nachher in ihre Wohnung gebracht. Ihr Atelier, in dem sie jetzt gegen das Licht der Nachmittagssonne blinzelt, hat sie zwei Wochen lang nicht betreten. Aber es waren viele Besucher da, die ihre Bilder, Farben und Motive bewundert haben. "Aah, Sie sind interessant", ahmt Marwayit Hapiz leise die Stimmen der Ausstellungsbesucher nach, "so eine tolle Künstlerin, so interessant". Sie schaut dabei in die Ferne, ohne zu lächeln, und man ist sich nicht ganz sicher, wie sehr sie sich über diese Komplimente freut. "In Europa ist meine Kunst interessant, einzigartig, geheimnisvoll", sagt sie. "Mein Volk denkt anders. Es ist stolz und freut sich, dass ich Uiguren gemalt, ausgedrückt, ausgestellt habe."

Ihr Volk, die Uiguren, ist eine muslimische Minderheit in China. Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge werden eine Million Uiguren in Umerziehungslagern festgehalten. Sie haben eine eigene Sprache, Uigurisch, und eine eigene Kultur. "Hier", sagt Marwayit Hapiz und zeigt ein Zitat in uigurischer Schrift. Die geschwungenen Lettern und Punkte haben viel mit der arabischen Schrift gemeinsam. "So wie Engel tanzen", sagt sie lächelnd. Wenn Hapiz von der Kultur der Uiguren spricht, nimmt sie plötzlich Fahrt auf, spricht schnell, selbst in der für sie noch immer etwas fremden Sprache Deutsch. "Wir Uiguren sind ein kulturelles Volk, haben eine lange Geschichte." Davon, dass dem Volk in Lagern seine Kultur und seine Sprache verboten wird, spricht sie nicht. Nur umso leidenschaftlicher vom Ziel, das sie mit ihrer Kunst verfolgt: der Welt die Kultur der Uiguren zu zeigen. Damit die Menschen verstehen, dass die Uiguren mehr sind als ein leidendes Volk. Und damit die Kultur nicht von der Erde verschwindet.

München: Die gebürtige Uigurin Marwayit Hapiz ist angekommen in Deutschland: Davon zeugen die Regenschirmbilder (im Hintergrund), die zu einem zentralen Motiv ihrer Arbeit wurden.

Die gebürtige Uigurin Marwayit Hapiz ist angekommen in Deutschland: Davon zeugen die Regenschirmbilder (im Hintergrund), die zu einem zentralen Motiv ihrer Arbeit wurden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Marwayit Hapiz hat schon lange in Deutschland gelebt, bis sie zum ersten Mal etwas anderes malte als ihre Heimat. Einmal in München angekommen, ergriff sie eine tiefe Sehnsucht nach der Region, die sie einst hinter sich gelassen hatte. Sie stammt aus dem Nordwesten Chinas. Mit ihrer Sehnsucht im Herzen malte sie Bilder in warmen Rot- und Orangetönen, die Ausstellungsbesucher, wie sie sagt, an Länder wie Marokko oder Tunesien erinnerten. "Da habe ich gedacht: Wieso sehen meine Bilder aus wie Marokko? Wieso wie Tunesien?"

Sie runzelt die Stirn, wenn sie sich daran erinnert, wie die Kommentare der Besucher sie irritierten. "Aber dann wurde mir klar, dass wir Uiguren viele Ähnlichkeiten mit einem Wüstenvolk haben. Die Frauen verschleiern sich, auch um sich vor dem Wind zu schützen. Es ist sehr, sehr trocken, nicht so wie in Europa: überall grün, überall Wiese", erzählt sie. "Darum habe ich in meinen Bildern richtig eingefangen, wie es dort wirkt. Jetzt höre ich solche Kommentare gerne." Manchmal haben Leute sie gefragt: "Warum malen Sie nicht Europa?" Dann habe sie geantwortet: "Irgendwann, wenn das Land, die Kultur und Umgebung in mein Herz einschlagen, dann kommt das automatisch."

München: Sehnsucht im Herzen: Bilder in warmen Rot- und Orange-Tönen sind Erinnerung an die Heimat.

Sehnsucht im Herzen: Bilder in warmen Rot- und Orange-Tönen sind Erinnerung an die Heimat.

(Foto: Stephan Rumpf)

Und es kam automatisch. Nach einem Besuch im Regen auf dem Oktoberfest - ihr dröhnte noch der Kopf vom Lärm und von der Musik - sah sie am Viktualienmarkt eine Gruppe Leute mit Regenschirm. "Da dachte ich: Oh, das ist aber schön, wie ein Blumenfeld. Jetzt wird es Zeit, dass ich von Europa male." Sie ging ein zweites Mal auf die Wiesn und fotografierte vom Riesenrad aus die vielen Regenschirme, die aussahen wie Seerosen auf einem Teich. Schirme sind seither ein zentrales Motiv, wenn Marwayit Hapiz Europa in Bildern festhält.

Bevor sie 1996 nach Deutschland kam, hatte sie eine der begehrten Stellen als Dozentin an der Akademie für Bildende Kunst in Ürümchi. Sie interessierte sich besonders für den europäischen Impressionismus und den deutschen Expressionismus, entwickelte einen eigenen Stil. Er habe fachliche Anerkennung gefunden, erzählt sie, obwohl ein Bild wie mit dem Fotoapparat aufgenommen im damaligen China als die höchste Stufe der Kunstmalerei galt. Für Marwayit Hapiz ist es reine Technik, Dinge realitätsgetreu abbilden zu können, aber keine Kunst. "Diese Technik muss ein Künstler haben, aber er braucht auch Seele. Seine eigene Seele, seine eigene Welt, sein eigenes Gefühl, zu leben."

Der Expressionismus hat die Künstlerin ermutigt, das auszudrücken. Vor 22 Jahren sei sie sehr erfolgreich gewesen, sagt sie, und viele hätten von ihr gewusst. "Weil ich einen neuen Weg entwickelt habe. Ich bin eine Rebellin." Sie wünschte sich an einen Ort, an dem sie ihre Gedanken und ihre künstlerische Gabe ausdrücken konnte. "Ich habe mich irgendwie nicht so frei gefühlt. Deshalb bin ich hierhergekommen."

Durch zwei Ausstellungen in den Jahren 2000 und 2001 im Gebäude der Psychologischen Akademie und im Europäischen Patentamt schaffte Marwayit Hapiz den Einstieg in die Münchner Kunstszene. Ihr persönlicher Erfolg ist für sie immer auch ein Schritt weiter zu ihrem Ziel, die Kultur der Uiguren bekannt zu machen. In einem sprachlichen Bild, das ihr sehr am Herzen liegt, sieht sie diese Kultur als die Mauern der Häuser bei sich zu Hause. "Ich möchte mich wie ein Stück Ziegelstein in die Wände meiner Heimat einmauern lassen", sagt sie. So ist es schwerer, sie abzureißen.

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