München:Das Allerheiligste

Für das Fotoprojekt "Wie geWOHNT" haben Menschen vom Schwabinger Ackermannnbogen großzügig die Haustüren geöffnet. Barbara Hummel und Bettina Lindenberg bekamen Zutritt zu japanischen Teezimmern, Nähstuben und gestylten Lofts

Von Ellen Draxel

Ikuko Kagaya wohnt im dritten Stock. Schon im Laubengang vor ihrer Eingangstür würde man sich als Besucher am liebsten gleich in einen der von blühenden Pflanzen umrankten Sessel sinken lassen. Drinnen dann fällt der Blick unweigerlich auf das Highlight ihrer Wohnung: ein japanisches Teezimmer, traditionell eingerichtet mit Schiebetüren, Bastmatten, Teeschalen und einer gusseisernen Teekanne. "Die Teezeremonie ist ein bisschen wie Meditation für mich", erzählt die gebürtige Japanerin. Sie plaudert mit charmanter Offenheit und scheut sich auch nicht, Fremden ihre privaten Räume zu zeigen.

Seit fast 50 Jahren lebt die Mutter dreier Kinder in Deutschland, sie hat hier Sozialpädagogik studiert, die Japanische Schule in München geleitet und ist später in die Wirtschaft gegangen. Das Interieur ihrer Wohnung am Ackermannbogen, in der sie seit 2005 mit ihrer Familie lebt, spiegelt diesen kulturellen Mix wieder: Neben einem japanischen Hochzeitsschrank, einem dunklen Vollholzmöbel mit schweren Eisenbeschlägen, in dem die 69-Jährige ihre Kimonos aufbewahrt, findet sich im Esszimmerbereich unter anderem ein bayerischer Bauernschrank. Die Bierkrüge darauf bilden einen interessanten Kontrast zu den roten Kühen aus Pappmaschee mit Wackelkopf aus Nordjapan, die im Wohnzimmerregal stehen.

Ikuko Kagayas Teezimmer ist genau einer dieser "Schätze", die Barbara Hummel bei ihrem neuesten Projekt mit Bettina Lindenberg zu entdecken erhoffte. Vor zwei Jahren porträtierten die beiden Frauen aus dem Ackermannbogen bereits einige ihrer Nachbarinnen, die damalige Ausstellung mit von Martin Schnitzer gesponserten, großformatigen Drucken im Schauraum fand regen Zuspruch. Jetzt haben sich die Architektin und die Fotografin unter denselben Konditionen die Heimstätten im Viertel als Dialogbasis ihrer neuen Ausstellung ausgesucht. Innerhalb weniger Monate besuchten Hummel und Lindenberg 13 Wohnungen am Ackermannbogen und haben mit deren Bewohnern gesprochen. Eigentums-, Miet- und Sozialwohnungen sind darunter, kleine und luxuriös große Appartements, sogar drei Wohnungen aus dem Cubello, dem Steidle-Wohnhochhaus im Zentrum des Quartiers. "Unser Ziel war es, die Vielfalt zu vermitteln, zu zeigen, wie individuell die Leute tatsächlich wohnen." Am Ackermannbogen leben mehr als 6400 Menschen aller Altersgruppen, aller Einkommensverhältnisse, aller Nationen. Mit Bildercollagen und persönlichen Geschichten wollen Hummel und Lindenberg die Anonymität der Nachbarschaft aufbrechen. Die vom Kulturbüro des Quartiersvereins veranstaltete Ausstellung soll einen Blick hinter die Fassaden bieten.

Die eigenen vier Wände, das war den beiden Initiatorinnen von Anfang an klar, können für Menschen alles Mögliche bedeuten: ihr Zuhause, ihr Zufluchtsort, ihre Werkstatt, ihre Heimat. Vielleicht auch ihre Geldanlage. Was sie aber unterschätzten, das gibt Hummel offen zu, ist, wie intim von den meisten Menschen ihr Wohnraum empfunden wird. "Wir durften oft gar nicht in alle Zimmer rein", erzählt die Stadtplanerin. "Da hieß es ganz klar, das Schlafzimmer bitte nicht fotografieren - und auch nicht das Bad." Inzwischen ist ihr bewusst, dass das Projekt natürlich auch "ein Stück Voyeurismus" impliziert - selbst wenn das so eigentlich nicht gedacht war.

München: Gemütlich und doch modern fällt dieses Arrangement aus.

Gemütlich und doch modern fällt dieses Arrangement aus.

(Foto: Bettina Lindenberg)

Erstaunt waren Lindenberg und Hummel aber auch, wie "schick und gestylt" die von ihnen besuchten Wohnungen aussahen. Zwei erinnern an eine Kunstausstellung, eine dritte ist komplett weiß und fast puristisch eingerichtet. Das Loft von Elisabeth Antoine und ihrem Mann beispielsweise ist sehr reduziert möbliert, hat überall offene Durchgänge und ermöglicht so freie Blicke. "Ich war fast erschrocken und habe mich gefragt, wo die Leute denn ihre ganzen Sachen hin haben", erzählt Barbara Hummel. Besonders diejenigen, die nicht in Deutschland geboren sind. Außer Ikuko Kagaya haben sich Lindenberg und Hummel auch mit einer Senegalesin, einer Serbin, einer Marokkanerin in deren Allerheiligstem getroffen. "Kaum jemand hat seine ausländische Kultur mit in die Wohnung genommen." Die Japanerin bildet da eine Ausnahme.

Und noch jemand schert aus der Riege der "cleanen" Wohnungen aus: Maximilian Demmel. Weil sein Appartement nur 45 Quadratmeter misst, steht die Nähmaschine, ein antiquarisches, aber funktionsfähiges Modell, im Bad. "Wenn ich etwas zu flicken habe, mache ich es dort", sagt der 70-Jährige. Funktionalität vor Design. Derzeit gleichen seine Räume ohnehin eher einem Gewächshaus als einem Wohn- und Schlafzimmer. Denn Demmel ist stolzer Besitzer eines Schrebergartens - und im Frühling zieht er "Nachtschattengewächse" heran. Paprika, Tomaten, Chili.

Zu sehen ist die Ausstellung "Wie geWOHNT" im Schauraum am Rückgebäude der Therese-Studer-Straße 9 außer bei der um 18.30 Uhr beginnenden Vernissage am Donnerstag, 6. April, auch an den Samstagen des 8. und 22. April, jeweils von 16 bis 19 Uhr. Oder nach telefonischer Vereinbarung unter 26022522. Die Finissage ist für Donnerstag, 27. April, um 18.30 Uhr angesetzt.

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