Süddeutsche Zeitung

München:Kultur in ausrangierten Flughafen-Teilen

  • Schienenbus, Trambahn, Ausflugsdampfer: Daniel Hahn hat schon einige ungewöhnliche Objekte in gut laufende Kultur- und Ausgeh-Orte verwandelt. Nun hat ihm der Münchner Flughafen zwei Boardingstationen, zwei Fluggastbrücken und einen Fluggaststeg angeboten.
  • Die Gebäudeteile werden noch genutzt, sollen aber bereits diesen Monat stillgelegt werden.
  • Hahn will daraus ein multifunktionales Kulturzentrum bauen - die Standortfrage ist noch offen, "vorzugsweise in kulturschwachen Gebieten".

Von Michael Zirnstein

Wenn sich die Chefetage des Flughafens München bei Daniel Hahn meldet, liegt die Vermutung nahe, dass neben dem Ausflugsdampfer Alte Utting nun bald auch ein ausrangierter Jumbo-Jet in München für Aufsehen sorgen könnte. "Ein Flugzeug wäre räumlich weder praktisch noch spannend. Und wir sehen uns auch nicht als Fahrzeugsammler", sagt der 29 Jahre alte Kreativ-Gastronom, der auch einen alten MAN-Schienenbus zum Filmhochschul-Café Minna Thiel und Schiffscontainer und Trambahnwagen zum Kulturzentrum Bahnwärter Thiel umfunktioniert hat. Was Hahn tatsächlich vom Flughafen angeboten bekommen hat, freut ihn viel mehr - und weckt seine Kreativität: zwei Boardingstationen, zwei Fluggastbrücken und ein Fluggaststeg. Mit diesen Baukörpern aus viel weißem Stahl und Glas an einem anderen Ort ein neues Gesamtwerk mit einer völlig neuen Aufgabe zu schaffen, das nennt Hahn "eine wirklich schöne Herausforderung".

Beim Flughafen München wird gerade der Terminal 1 im Nordteil um einen T-förmigen Anbau erweitert. Dabei müssen einige Gebäudeteile weichen. Viel zu schade zum Verschrotten seien vor allem die signifikanten Fluggaststege, dachte sich der Geschäftsführer Michael Kerkloh, diese seien architektonische Ikonen, mit denen Passagiere aus aller Welt ihr Bild vom Münchner Flughafen verbinden. Kerkloh beauftragte also den kreativen Kopf des Flughafens, Björn Potulski, der als Theaterregisseur schon ein Theaterstück mit Mitarbeitern des Airports und von 19 internationalen Fluglinien inszeniert hat, eine würdigere Verwendung zu finden. Potulski fiel die Alte Utting ein, er recherchierte, wer dieses Mammut-Projekt gestemmt hatte, und schrieb eine Mail - nach drei Minuten hatte er Daniel Hahn in der Telefonleitung.

Dem gefällt vor allem auch die emotionale Geschichte der Module: "Millionen Menschen sind durch diese Stege und Brücken auf Reisen gegangen oder in München angekommen, sie stehen für Verbindung, Vernetzung und Träume." Dass der 29-Jährige von seinem neusten kreativen Spielplatz so schwärmt, ist ein gutes Zeichen. Normalerweise lässt er dann nicht mehr locker.

Mit seinem Team entwickelte er ein Konzept mit dem Arbeitstitel "Terminal-Galerie": Wie in einem Baukasten will er alles neu zusammenpuzzlen: die hohen dreieckigen Boardingstationen samt Rolltreppen, die Passagiere auf dem Vorfeld von den Shuttle-Bussen in die Flugzeuge verteilten; den Steg, der einst über die Versorgungs-Fahrbahn ragte; und die Fluggastbrücken samt der Ziehharmonika-Rüssel zur Einstiegsluke.

Daraus wird eine Art begehbare Skulptur - "das hat auch etwas Wesenhaftes mit den beiden Armen". In dem stählernen, gläsernen Komplex sei es dann wohl zu ungemütlich für einen ausgebreiteten Gastrobetrieb, aber es werde so viel Raum und Licht geben, dass man ihn als multifunktionales Kulturzentrum nutzen könnte - "vorzugsweise in kulturschwachen Gebieten", sagt Hahn schon in Gedanken an mögliche Genehmigungsverfahren, "das wäre für die Stadtviertel vielleicht interessant".

Illustration, Pläne und Wunsch-Standorte (auf privatem wie öffentlichen Grund, im Urbanen wie im Grünen) hat Hahn an den Flughafen geschickt. Dort flog man gleich ab auf die Idee, will Hahn inhaltlich komplett freie Hand lassen und versucht, auf höchster Ebene zu helfen, vor allem seinen Einfluss in der Politik auszuspielen. "Dann muss er nicht lange Klinkenputzen", sagt Björn Potukski, denn man müsse "sehr bald zu Potte kommen".

Die Terminal-Baustelle im laufenden Betrieb sei "eine Operation am offenen Herzen". Die Gebäudeteile werden momentan noch genutzt, sollen aber bereits diesen Monat stillgelegt werden. Wer dann für den aufwendigen Transport der sperrigen Konstruktion (allein der Steg wiegt mehrere Dutzend Tonnen) aufkommt, ist noch nicht geklärt. Eigentlich, so Potulski, sei das Hahns Angelegenheit, und eigentlich sei dafür kein Budget eingeplant, andererseits müsse man die Teile ohnehin verlagern und ob dann 100 Meter oder weiter - man werde schauen.

Wo ein gemeinsamer Wille ist, findet Hahn erfahrungsgemäß einen Weg. Und einig sind sich beide Seiten in dem, was Potulski so zusammenfasst: "München braucht nicht noch mehr Glitzer und Kommerz. München braucht spannende Orte, die eine Einladung sind für alle. Das wäre das Geschenk des Flughafens dafür."

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SZ vom 23.09.2019/infu
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