Alles glitzert, strahlt und schwitzt an diesem Samstagnachmittag. Eine große Party unter freiem Himmel zieht sich durch die Innenstadt, vom Mariahilfplatz in der Au bis zum Marienplatz vor dem Rathaus. Es ist laut, es ist heiß – und es scheint allen, die gekommen sind, richtig Spaß zu machen.
An diesem Wochenende ist wieder CSD in München. Der Christopher Street Day ist der Tag, an dem die Menschen gegen die Diskriminierung und für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und nicht binären Personen, einfach der ganzen queeren Community, demonstrieren. Dieses Jahr liefen laut der Polizei rund 20 000 Menschen mit beim Umzug mit insgesamt 200 teilnehmenden Gruppen, rund 230 000 Menschen schauten und klatschten ihnen von den Straßenrändern zu.
Nach der Demo unter dem Motto „Liberté, Diversité, Queerité“ und der Party am Samstag gab es auch am Sonntag Programm. Am Samstag zählte die Polizei etwa 50 000 Besucher beim Straßenfest, am Sonntag ebenfalls mehrere Zehntausend.
Traditionell ist die Demo gleichzeitig auch ein riesiges Fest, bei dem jeder Mensch, so die Idee, sich so zeigen kann, wie er möchte. Etwa Maggi, die zusammen mit zwei Begleiterinnen zum CSD gekommen ist. Auf dem Kopf trägt sie einen Haarreif mit zwei Tierohren, schwarz-weißes Fell, an ihrem unteren Rücken, kurz vor dem Po, ragt ein schwarzer tierischer Schwanz heraus. Katze oder Hund, fragt man nach. „Ich begreife es eher als Wolf“, sagt sie.
Maggi erklärt, sie sei ein sogenannter Furry. Das „Furry Fandom“ ist eine Subkultur, die mit Tierkostümen ihre Faszination für bestimmte Tiere signalisiert. „Das hat was mit Identität zu tun“, so Maggi. „Ich mag das Gefühl, alles sein zu können, was ich will.“ Beim CSD gehe es ja auch um die Freiheit von Identität, um Vielfalt und Akzeptanz. Immer wieder finden sich an diesem Nachmittag vereinzelte Furrys entlang der Parade, manche mit ganzen wuscheligen Tierköpfen. Wie sie das wohl aushalten bei der Hitze?
Die Flaggen am Rathaus sind ein politisches Statement
Bei den Eröffnungsreden auf dem Marienplatz brutzelt man richtig unter der Sonne. Die meisten versuchen, sich auf jeglichen freien Millimeter Schatten zu retten. Stefan, Mathias und Raik haben ein Plätzchen an der Mariensäule ergattert, mit Blick auf die Regenbogenflaggen am Rathaus. Einer von ihnen macht ein Foto davon. Für sie als schwule Männer ist das keine oberflächliche Bekundung der Stadtpolitik. Sondern ein echtes, politisches Statement, wie sie erzählen. „Man fühlt sich wahrgenommen“, sagt Stefan. Sie lebten zu dritt als „Tripple“ zusammen. Und seien seit 17 Jahren jedes Jahr beim CSD. „Auch beim Rathaus-Clubbing“, so Mathias, der sichtlich stolz darauf ist, Karten für die begehrte Abendparty ergattert zu haben.

Christopher Street Day in München:Bunt, laut, schrill: Eine Party für die Vielfalt
Glitzer geht immer, dazu laute Technomusik und Seifenblasen: Die Parade zum Christopher Street Day läuft bunt und schillernd durch die Innenstadt - gut 300 000 Menschen sind unterwegs. Die Bilder.
Wenige Minuten später erinnert Bernd Müller, neuer Spitzenkandidat der Rosa Liste für den Stadtrat, bei seiner Eröffnungsrede daran, dass die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner beschlossen hat, am CSD-Tag in Berlin keine Regenbogenflagge auf dem Reichstag mehr zu hissen. Die deutsche Flagge wäre inklusiv genug für alle, lautete die Begründung.
„Ein katastrophales Zeichen“, findet Müller, der den Stadtrat Thomas Niederbühl vertritt. „Queer zu sein ist keine parteipolitische Position, sondern ein Menschenrecht“, sagt er. „Deswegen müssen wir Flagge zeigen.“ Laute Zustimmung. Am Maximilianeum weht die bunte Flagge indes – denn für Landtagspräsidentin Ilse Aigner symbolisiert sie „sehr demokratische Werte“ wie Vielfalt, Toleranz und Offenheit.
„Ich bin so stolz darauf, dass diese Flaggen heute an unserem Rathaus hängen“, sagt der Zweite Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) etwas später. Queerfeindliche und antifeministische Narrative würden wieder salonfähig, warnt er. Umso wichtiger sei es, gegen die zunehmende Zahl von Angriffen und Hasskriminalität seine Stimme zu heben. Der erste offen schwule Spitzenpolitiker im Rathaus zeigte sich bei der Parade mit seinem Bild und dem Titel „BürGAYmeister“ an einem Wagen.
„Es ist geil, dass so viele da sind“, ruft Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) von der Bühne. Er möchte nicht in einer Stadt leben, in der nicht alle, die es wollen, offen Händchen halten oder sich küssen können. „München lebt seit vielen Jahren und Jahrzehnten von eurer Vielfalt“, so Reiter an die Community. Und er sei als Oberbürgermeister bereit, „alles zu tun, um euch zu unterstützen“. Sein Appell zum Schluss: „Bleibt laut, bleibt unüberhörbar!“
Partystimmung und Glitzer überall
Und die Community hat richtig Lust dazu. Schon zuvor entlang der Parade wird man immer wieder mitgerissen von der Partystimmung. Unweit des Sendlinger Tors etwa, wo eine Tirolerin, die sich als „Lisa aus Innsbruck“ vorstellt, mit einem Dutzend Freundinnen ihren Junggesellinnenabschied feiert. Weiße Herzchen-Sonnenbrille, Regenbogen-Glitzer an den Wangen, auf dem rosafarbenen Plastikbecher steht „getting drunk“, als Anspielung an „getting married“. Man sei hier schon so richtig „im Pride-Fieber“, sagt Lisa. Im September stehe die Hochzeit an. Heiratet sie einen Mann oder eine Frau? „Eine Frau natürlich.“
Ein bisschen weiter die Sonnenstraße lang liegt der kleine Zeno in seinem Kinderwagen. Er sei vier Wochen alt, erzählt seine Mutter, „seine erste Pride“. Immer wieder, wenn ein Parade-Wagen mit lauter Techno-Musik vorbeifährt, hält die Frau aus Unterhaching ihm schützend die Hand übers Ohr. Aber ihn scheint die krachende Feierlaune nicht zu stören.
Überhaupt sieht man viele Kleinkinder entlang der Parade, einige davon mit speziellen Kopfhörern gegen den Lärm. Sie bekommen Regenbogenfähnchen, Seifenblasen und Luftküsschen von den Teilnehmenden. Mit dabei ist auch eine ganze Bimmelbahn von Regenbogenfamilien, vertreten etwa durch die Vereine Regenbogenväter oder Lesmamas.



Etwa 750 Polizisten begleiteten und schützten die Politparade und das zweitägige Straßenfest des CSD. Außerdem war das Polizeipräsidium mit einem eigenen Infostand vertreten. Anders als etwa in Regensburg hatte es in München im Vorfeld keine Drohungen gegen den CSD gegeben. Rechte Gruppierungen, die in den vergangenen Jahren unter dem Schlagwort „Stolzmonat“ öffentlich gegen die queere Gemeinschaft gehetzt hatten, zeigten sich in München am Wochenende nicht.
Dennoch gab es einige Zwischenfälle, über die die Veranstalter am Sonntag in ihrer Bilanz berichteten. An einigen Infoständen habe es Auseinandersetzungen mit aggressiv auftretenden christlich-fundamentalistischen Gruppen gegeben. Am Zelt der Kontaktgruppe Munich Kyiv Queer rissen nach Angaben von CSD-Pressesprecher Conrad Breyer zwei Männer Deko ab und bezichtigten das Team der Propaganda für die Ukraine.
Während der Politparade sei die Gruppe Be’er Sheva Munich Queer beschimpft worden, die Kontakte zur Community in Münchens israelischer Partnerstadt hat. Am Sonntag sagte die Künstlerin Myss Keta ihren Auftritt ab, weil der CSD Israel unterstütze. Die Veranstalter bedauerten das, betonten aber: „Der CSD München steht für queere Sichtbarkeit, gegen Rassismus und Antisemitismus.“ Die Solidarität mit queeren Menschen in Be’er Sheva bedeute nicht, staatliche Politik mitzutragen. „Eine Stellungnahme gegen Antisemitismus ist keine Unterstützung für eine Staatsregierung und deren Handlungen.“
Der Auftakt eines von evangelikalen Christen dominierten Treffens in der Matthäuskirche gestaltete sich dagegen weniger konfrontativ, als im Vorfeld befürchtet worden war. Als Vermittler zwischen den Gruppierungen, von denen viele gelebte Homosexualität ablehnen, und den Kritikern des Treffens fungierte der evangelische Münchner Regionalbischof Thomas Prieto Peral.
Er hatte sich am Freitag an die in der Matthäuskirche versammelten, teilweise fundamentalistischen Gruppen gewandt und erklärt: „Wenn Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung immer öfter im Alltag erleben, wie sie angepöbelt werden, dann ist unser Platz als Kirche ganz klar an ihrer Seite!“ Dafür gab es nach seinen Angaben Applaus. Er begrüße es, „dass nachher im Gottesdienst auch für einen friedlichen und schönen CSD gebetet wird“.
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Am Abend traf sich der Regionalbischof auch mit den Teilnehmern einer Gegendemo, die von der Initiative „Fundi-Watch“ initiiert worden war. „Bischof Prieto Peral stellte sich unseren kritischen Fragen und nahm diese wohl ernst“, berichtete die Initiative auf der Plattform Bluesky – und sie versprach: „Wir bleiben dran.“
Prieto Peral, der vergangenes Jahr in einem Gottesdienst zum CSD gepredigt hatte, hatte bereits im Vorfeld in einem offenen Brief daran erinnert: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern habe sich im Frühjahr „mit großer Klarheit zur Würde und Gleichberechtigung queerer Menschen bekannt, das Leid benannt, das sie erfahren haben, und konkrete Maßnahmen zur strukturellen Verankerung von Queer-Sensibilität in der Kirche beschlossen“ habe.
Am Sonntagnachmittag bilanzierte CSD-Geschäftsführer Alex Kluge: „Wir sind glücklich, dass so viele Menschen am Pride in München teilgenommen haben.“ Es sei ein friedliches und buntes Fest für Freiheit und Demokratie geworden. Kluge: „Viele Menschen haben sich gesagt: jetzt erst recht!“ Angesichts der aktuellen Lage sei es alles andere als selbstverständlich, dass queere Menschen öffentlich für gleiche Rechte und Akzeptanz eintreten.