Süddeutsche Zeitung

Salon F:"Es ist ein anderes Arbeiten"

Der Salon F ist ein Coworking Space für Frauen, in dem es mehr gibt als nur Schreibtische. Die Bürogemeinschaft will sich austauschen und gegenseitig inspirieren.

Von Franziska Gerlach

Das kleine Wort "aber" muss an diesem Abend draußen bleiben. Katharina Horvath hat die Frauen, die im Salon F, dem neuen Coworking Space und Social Club an der Leopoldstraße, auf dem Boden sitzen, nämlich gerade darum gebeten, diese hinterhältige Konjunktion aus ihrem Wortschatz zu streichen. Und stattdessen mal so richtig auf den Putz zu hauen mit Dingen, die ihnen in dieser Arbeitswoche gelungen sind. "Ich liebe es, wenn Frauen angeben", erklärt die Meditationstrainerin, die an diesem Tag eine "Mußestunde" abhält. Wenn sie sagten: "Krass, ich hab' es drauf."

Zu großspuriger Angeberei gerät jedoch nicht, was die Frauen auf den weichen Sitzkissen daraufhin tun. Sachlich und ruhig und ohne "aber" erzählen sie von ihren Erfolgen. "Ich habe diese Woche eine perfekte Website live gestellt", meint eine Frau. "Es ist Geld von meinem ersten großen Workshop auf dem Konto gelandet", sagt eine andere. Und eine Dritte berichtet: "Ich habe einem Mann eine Grenze gesetzt." Die anderen jubeln, jedes Mal aufs Neue, wenn eine erzählt, was gut gelaufen ist. Willkommen im Salon F, wo man sich in der Tradition jener US-amerikanischen Frauenclubs sieht, in denen das weibliche Geschlecht bereits vor mehr als einhundert Jahren auf Gleichberechtigung pochte. Wie bitte? Ladies only? Stören Männer etwa bei der Arbeit? "Männer stören nicht", sagt Gründerin Friederike Streib. "Aber die Atmosphäre ist unter Frauen einfach anders."

Seit der Aufruf zum Feminismus vor einigen Jahren zum T-Shirt-Aufdruck avanciert ist - zuerst bei Dior, später praktisch überall - ist ein wenig Skepsis angebracht, wenn in der Stadt der erste Coworking Space, also eine Bürogemeinschaft, nur für Frauen eröffnet. Sind da womöglich Leute am Werk, die Kapital schlagen wollen aus dem Umstand, dass weibliche Selbstbehauptung nicht mehr zwangsläufig mit selbstgedrehten Zigaretten und Krawall verbunden wird? Ein Besuch aber zeigt: Friederike Streib und ihre Mitgründerin Judith Anger, 36 und 33 Jahre alt, sind Frauen mit guten Ideen und dem Glauben an die Kraft der weiblichen Solidarität, und halten in den Händen obendrein einen Mietvertrag über 260 Quadratmetern plus Dachterasse, auf denen sie ihr Konzept gleich in mehreren Räumen umsetzen können.

Was sie aus der Fläche gemacht haben, hebt sich ab von den Coworking Spaces der großen Anbieter, in denen manche Nutzer an ihren Rechnern so verloren wirken wie die Zimmerpflanzen. Die beiden Geisteswissenschaftlerinnen haben dort, wo der Aufzug den Besucher zuvor im fünften Stock in die Vorstandsetage einer Vermögensverwaltung entließ, Mandalas aufgehängt und Schalen mit Keksen aufgestellt. Sie haben cremefarbenen Teppich verlegt und die Wände in warmem Rot oder Capuccinobraun gestrichen. Streib bietet Kräutertee an, er wird kalt sein, wenn die Münchnerinnen zu Ende erzählt haben, was ihnen im Salon F vorschwebt. "Der Ort soll viel für Frauen abdecken", sagt Anger, die eigentlich Theaterdramaturgin ist und lange in New York gelebt hat. Viel, das bedeutet auch: viele Angebote für die moderne Großstädterin, die gerne die achtsame Seite der Emanzipation pflegt. Die verinnerlich hat, dass Arbeit und Freizeit irgendwie in Balance zu bringen sind.

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern weiterhin unausgewogen, auch im Hinblick auf die Unternehmensgründungen. Wie eine im September 2019 veröffentliche Studie der Boston Consulting Group (BCG) ergeben hat, gründen Frauen nicht nur seltener als Männer. Ihre Chance, Investorengelder für ihre Geschäftsidee einzusammeln, ist auch um 18 Prozent geringer. "Da fehlen die weiblichen Business Angel", sagt Streib. Frauen, die in die Geschäftsidee anderer Frauen investieren und diese mit ihrer Erfahrung unterstützen. Finanzielle Starthilfen sieht das Konzept eines Coworking Spaces freilich nicht vor.

Was Streib und Anger den Münchnerinnen aber bieten wollen, ist eine Community: Eine Gemeinschaft, in der sich Frauen austauschen, inspirieren und weiterbringen sollen. Dass Patrizia Czech hier gerne ihren Laptop aufklappt, hat auch praktische Gründe. "Das ist hier eine gute Mischung aus Community, Freizeitgestaltung und Arbeit." Denn Streib und Anger, die sich über ihre Kinder in einer Münchner Kita kennengelernt haben, vermieten im Salon F gegen einen monatlichen Betrag von 250 Euro nicht nur flexible Arbeitsplätze. Es sollen auch regelmäßig Veranstaltungen stattfinden, die auf die Interessen von Frauen zugeschnitten sind.

Seminare oder Workshops zu Themen wie "Geldanlagen für Frauen", "Unternehmensgründung" oder dem unbequemen Dauerbrenner "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" zum Beispiel, aber auch medizinische Vorträge sind angedacht: Weibliche Sexualität, Gendermedizin, solche Inhalte. Geplant ist zudem eine Spielgruppe, in der die Kinder stundenweise betreut werden, während die Mütter arbeiten. Und da es nicht nur um Arbeit gehen soll, kommt für die Mitglieder des Clubs zwei Mal pro Woche eine Yogalehrerin vorbei - oder Katharina Horvath, die in der "Mußestunde" mit den Frauen meditiert.

Wer die Frauen auf den Kissen im Kreis auf dem Boden sitzen sieht, in Jeans und Pullovern und übereinandergeschlagenen Beinen, der wird Streibs Verweis auf die literarischen Zirkel des 19. Jahrhunderts vielleicht nicht auf Anhieb nachvollziehen können. Entspannung war vermutlich kein erstrebenswerter Zustand, als die Münchnerinnen - oder zumindest der bürgerliche Teil von ihnen - unter dem Deckmantel kultivierten Beisammenseins über Politik diskutierten und jene gesellschaftliche Teilhabe einforderten, die ihnen nach dem damaligen Rollenverständnis verwehrt blieb.

Ein Vorbild der Münchnerinnen ist außerdem "The Wing", ein im Jahr 2016 in New York gegründeter Club für Frauen, den es mittlerweile nicht nur in mehreren Städten der USA, sondern auch in London gibt. Wird die männerfreie Zone dort allerdings recht rigide durchgesetzt, sind in München gemäßigte Töne zu vernehmen. Befinde sich etwa ein Mann unter den Teilnehmern eines Workshops, den eine Frau in den Konferenzräumen des Salons halte, sei das natürlich kein Problem, meint Streib. Und ja: auch der Hausmeister sei hier sehr gern gesehen.

Gut vernetzt sind Streib und Anger schon jetzt. Sie unterhalten Kontakte zu kleineren Münchner Fraueninitiativen, aber auch zu dem Alumni-Netzwerk "Women of TUM" und dem 1894 gegründeten "Verein für Fraueninteressen". Jemand kennt jemanden, der wiederum Friederike Streib oder Judith Anger kennt, oder aber immerhin von ihrem Projekt gehört hat. An diesem Abend ist zum Beispiel eine Grafikdesignerin in die Leopoldstraße gekommen, die eine Zeitung für Senioren plant. Eine Zweite coacht Frauen mit Kinderwunsch. Eine Dritte unterstützt Studierende beim Schreiben von Masterarbeiten und Promotionen. "Es sind viele mutige Geschichten von Frauen, die neue Wege gehen", sagt Streib.

Caroline Zierold, 31 Jahre alt, hat einen solchen Weg sogar im Wortsinne beschritten: 3000 Kilometer lang war der Te Araroa Trail, den die Industriedesignerin in Neuseeland gewandert ist. Über ihre Erfahrungen als "Fernwanderin" hat sie nicht nur ein Buch geschrieben, sie berichtet demnächst auch im Salon F von ihren Erfahrungen. Dass hier nur Frauen arbeiten dürfen, findet Zierold gut. Sie blickt auf ihre Hände, hebt dann den Blick und sagt leise, aber deutlich: Beobachteten zum Beispiel fünf Männer sie selbst dabei, wie sie ihren Laptop für eine Präsentation anschließt, hätte sie das Gefühl, sich beweisen zu müssen. Das sei unter Frauen überhaupt nicht so. "Es ist ein anderes Arbeiten. Stressfrei. Und mit weniger Druck."

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SZ vom 09.03.2020/baso
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