Coronavirus:"Wir nehmen die Lage sehr ernst, ohne in Panik zu geraten"

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Neu ist der Anblick nicht, nun kennt aber jeder den Anlass: Viele Touristen sind mit Mundschutz auf dem Marienplatz unterwegs.
Neu ist der Anblick nicht, nun kennt aber jeder den Anlass: Viele Touristen sind mit Mundschutz auf dem Marienplatz unterwegs. (Foto: Michaela Handrek-Rehle/Bloomberg)

Die Angst vor dem Coronavirus ist auch in München spürbar: Apotheker berichten von Hamsterkäufen, eine Reisefirma muss ihre Pläne ändern - am besorgtesten sind aber nicht die Münchner selbst.

Von Ekaterina Kel

Der Zettel an der Tür der Centrum Apotheke wurde erst neulich ausgetauscht. Jetzt steht dort, unübersehbar für alle, die durch die Ettstraße in der Innenstadt schlendern: "Wir haben wieder Atemschutzmasken!" Und darunter, auf Englisch: "Masks available again!" Zwischenzeitlich seien in der Apotheke alle Schutzmasken ausverkauft gewesen, berichtet der Filialleiter, aber den Engpass haben sie nun überwunden. Eigentlich seien die Masken ein Nischenprodukt. Doch nun habe die Filiale in einer Woche bereits etwa so viele verkauft, wie normalerweise in einem ganzen Jahr. Seine Kunden? Zu "99 Prozent" chinesische Touristen, schätzt er. Sie kaufen den Mundschutz einzeln für 8,90 Euro das Stück, oder auch gleich im Zehnerpack. Denn nach Hause kommen sie wohl nicht ohne ein solches Produkt.

Wenn sie in ein paar Tagen - "hoffentlich" - aus dem Flugzeug in China steigt, müsse sie eine Atemschutzmaske tragen, sagt Mian Chen, die soeben in die Apotheke gekommen ist. Sie verlangt gleich vier davon, zwei für sich, zwei für ihre Mutter. Sie sind Touristen aus der chinesischen Provinz Guangdong, Hunderte Kilometer entfernt von Wuhan, wo das Coronavirus ausgebrochen sein soll. Vor ein paar Tagen erst seien sie aus der Schweiz nach München gereist, erzählt Chen. Und hier lasen sie dann in den Nachrichten, dass sie dem Virus sozusagen in unmittelbare Nähe nachgereist sind.

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Die junge Frau hält sich vorsichtig den Schal vor den Mund, während sie spricht. Schließlich hat das bayerische Gesundheitsministerium am Freitag bereits den sechsten Fall einer Coronavirus-Infektion unweit der Landeshauptstadt bestätigt. Zwar gibt es auch vereinzelt Geschichten über Münchner, die sich nun plötzlich vor asiatisch aussehenden Menschen fürchten. Kürzlich erreichte die SZ zum Beispiel der Bericht einer Schülerin aus der zehnten Klasse einer Realschule. Das Mädchen stammt aus Vietnam und erzählt, dass sich Menschen in der U-Bahn von ihr abwenden würden und ihre Gesichter mit Schals und Jackenkragen abschirmten. Doch offenbar sind es nicht die Münchner, die sich am häufigsten vor einer Ansteckung fürchten - sondern es sind vor allem die Chinesen in der Stadt.

Touristen aus Asien scheinen am Freitagnachmittag tatsächlich die einzigen Menschen zu sein, die die Fußgängerzone in der Innenstadt mit Mundschutz entlang schlendern. Spricht man sie darauf an, drehen sie sich meist sofort weg - der Kontakt mit Einheimischen scheint ihnen zu heikel zu sein.

Viele Asiaten trifft man dieser Tage aber ohnehin nicht beim Bummeln. Dabei seien die Wochen rund ums Chinesische Neujahrsfest, das am vergangenen Wochenende stattfand, normalerweise Hauptshoppingwochen für chinesische Touristen im europäischen Ausland, sagt die Expertin für Shoppingtourismus Maren Hartung von Kaytrip, einem der größten Reiseunternehmen für Chinesen in Europa mit Sitz in München. Dass der Umsatz in den kommenden Wochen zurückgehen wird, sei zu erwarten, so Hartung. Was das genau in Zahlen bedeuten wird, müsse aber erst noch ausgewertet werden.

Maren Hartung, die geschäftlich immer wieder in China unterwegs ist, hält nichts von der Panik vor dem Coronavirus, die manche in Deutschland und auch in ihrem privaten Umfeld an den Tag legen würden. Eine für den Februar geplante Tourismuskonferenz in München habe ihre Firma allerdings bereits abgesagt, weil viele Gäste schlicht nicht einreisen könnten. China ist seit Mittwoch zunehmend vom Flugverkehr isoliert, nachdem die Fluggesellschaften British Airways und Lufthansa ihre Flüge von und nach China zunächst bis zum 9. Februar gestrichen haben.

Im China-Restaurant konzentriert man sich jetzt auf deutsche Mägen

Dass immer weniger Reisende aus China nach München kommen, spürt zum Beispiel auch eine Verkäuferin des "Germanstyle Trade & Shop". Es ist ein geräumiges Geschäft am Isartor, das vor allem davon lebt, dass hier täglich mehrere Reisegruppen hinkommen, um beliebte Qualitätsware wie kleinere Küchengeräte, Töpfe und Pfannen "made in Germany" zu erwerben. Die Schilder sind allesamt auf Mandarin, an der Tür klebt ein Sticker mit der Aufschrift "Alipay" und einem blauen Haken: Hier kann man seine Rechnung direkt mit dem chinesischen Onlinebezahlsystem begleichen. Die Frau an der Kasse spricht gebrochen deutsch. Angesprochen auf das Virus zieht sie ihre Augenbrauen zusammen: "Meine Eltern sind in China", sagt sie. Sie seien die ganze Zeit zu Hause - es sei zu gefährlich und die Atemschutzmasken seien längst alle ausverkauft. In dem Geschäft überlege man nun, im Februar kürzere Arbeitszeiten einzurichten. Die Käufer werden womöglich noch eine Weile ausbleiben.

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Auch im Restaurant Mok Asia an der Einsteinstraße versucht man, sich so gut es geht mit der Situation zu arrangieren. Auch hier hat man sich vollends auf die mit Bussen ankommenden Reisegruppen aus China spezialisiert, berichtet Christian Pietrowiak, der dort arbeitet und an einem der Tische mit seinem Laptop sitzt. Was seinen Sitzplatz betrifft, hatte er freie Auswahl: Um Viertel vor eins, mitten in der Mittagszeit, ist das Lokal absolut leer. Beim Buffet in der Mitte des Raumes ist nicht einmal die Leuchte an. Wozu auch, es komme ja keiner mehr. "Wir konzentrieren uns jetzt auf Deutsche", sagt Pietrowiak. Man feile gerade an einer neuen Speisekarte, deren Gerichte auch für hiesige Mägen verträglich seien.

Geschäftlich ist an vielen Stellen mit Einbußen zu rechnen. Die Messe München sah sich bereits am Donnerstag gezwungen, die ISPO Beijing, eine Messe für die Sportindustrie, die vom 12. bis zum 15. Februar in Peking stattfinden sollte, abzusagen, "um die Gesundheit und Sicherheit von Ausstellern und Besuchern sowie der Öffentlichkeit zu schützen". Auch der Autohersteller BMW reagiert mit großer Vorsicht. Nachdem drei Werke in der Millionenstadt Shenyang am Donnerstag geschlossen wurden, lässt man per Firmenstatement wissen, dass bis auf Weiteres nur noch "zwingend notwendige Dienstreisen von und nach China anzutreten" seien. Und ob die Bayerische Staatsoper mit einer Produktion zum Hong Kong Arts Festival, das Mitte Februar starten soll, überhaupt nach China reisen kann, ist momentan ebenfalls unklar, sagt eine Sprecherin.

Und wie sieht es mit den hier lebenden Chinesen aus? Das Sprachen- und Dolmetscherinstitut (SDI) ist eine internationale private Fachakademie in München. Mehr als 100 Studenten aus China absolvieren dort ihre Ausbildung zum Übersetzer oder Dolmetscher. Von mindestens einer Studentin wisse man, heißt es aus dem Sekretariat, dass sie sich beim Heimatbesuch mit dem Virus angesteckt habe. Sie bleibe vorerst dort. Die Sekretärin, die selbst aus China kommt, weiß, dass das Thema viele chinesische Studenten beschäftigt. Vor allem in den sozialen Medien finde reger Austausch darüber statt. "Wir nehmen die Lage sehr ernst", sagt sie, "ohne in Panik zu geraten." Zurzeit sei eben häufiges Händewaschen angesagt.

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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