Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in München:Singen vorübergehend erlaubt

Chöre, die wegen der Corona-Pandemie im Freien proben wollen, haben es schwer, dafür eine Genehmigung zu erhalten. Nun lenkt die Schlösserverwaltung offenbar ein.

Von Francesca Polistina

Die Geschichte beginnt an einem heißen Augustnachmittag, als man das Gefühl hat, keine Luft mehr zu bekommen - erst recht nicht, wenn man eine Maske trägt. Die Gesangsdozentin Hana Katsenes, die einen Kurs in Solmisation an der Volkshochschule am Max-Weber-Platz hält, schlägt den acht Teilnehmern vor, sich auf den Weg in die Maximiliansanlagen zu machen, um den Kurs dort, in der Nähe des bayerischen Landtags, abzuhalten. Es ist warm, es gibt das Virus, ein bisschen frische Luft kann doch nicht schaden, denkt sie.

Doch dann, am zweiten Kursabend, kommt die Parkaufsicht, die nett darauf hinweist, dass man eine Genehmigung benötigt, um dort eine Veranstaltung abzuhalten. Der Kurs darf an dem Tag weitermachen, doch noch am selben Abend bittet Katsenes die Volkshochschule, eine Genehmigung zu beantragen - ohne Erfolg. Die Genehmigung wird abgelehnt mit der Begründung: Die Maximiliansanlagen, die der Bayerischen Schlösserverwaltung unterstehen, dienen der Ruhe und Erholung der Besucher. Dies bedeutet: Singen verboten. Zumindest war es das bis vor Kurzem.

Hana Katsenes ist sauer, als sie eine Ablehnung bekommt. Die 33-jährige Sängerin sagt, ihr ging es vor allem darum, "eine praktische Lösung für die Corona-Zeit zu finden". "Praktisch" bedeutet in diesem Fall: genug Abstand halten zu können und die Aerosole, die man beim Singen ausstößt, in der freien Luft zu verteilen, um die Gefahr einer Verbreitung des Coronavirus zu minimieren. Deshalb möchte sie den Kurs in den Maximiliansanlagen abhalten - auch wenn die Autos und Straßenbahnen auf den angrenzenden Straßen um einiges lauter sind.

Bei der Solmisation handelt es sich um eine Methode für Sänger und Instrumentalisten, sich Tonhöhen und Melodien konkret vorzustellen, und zwar ohne Instrument. Dabei werden Handzeichen und Silben genutzt und Melodien zusammen gesungen. Die Dozentin findet: "Natürlich ist es schwieriger, ohne Schreibtische und Technologie diesen Kursinhalt zu vermitteln. Wir haben dies getan, um unseren Teil gegen die Corona-Pandemie zu leisten."

So sehen es andere Sänger und Sängerinnen auch. Etwa Petra Seifert, die die Online-Plattform "Singen in München" betreibt. Mit ihrem Chor musste sie eine ähnliche Erfahrung machen: Man habe sich um eine Genehmigung bemüht, um im Westpark proben zu dürfen - allerdings erfolglos, denn, wie Seifert berichtet, wurde in jenem konkreten Fall die Chorprobe als Veranstaltung angesehen. Und Veranstaltungen aller Art sowie gewerbliche Aktivitäten sind in der Benutzerordnung der städtischen Grünanlagen, zu denen auch der Westpark gehört, nicht gestattet. Seifert findet das schade: "Wegen der Corona-Regeln haben einige Chöre Schwierigkeiten, Übungsräume zu finden. Außerdem fühlen sich einige Sänger verunsichert und haben Angst, sich in geschlossenen Räumen anzustecken".

Seit Ende Juni dürfen sich Laienchören in Bayern wieder zum Proben treffen, als Voraussetzung gilt derzeit ein Mindestabstand von zwei Metern beim Singen, regelmäßige Lüftungsintervalle und eine Begrenzung der Probendauer. Laut Seifert verfügen nicht alle Chöre in München über angemessene Proberäume. Ihrer Meinung nach besteht somit die Gefahr, dass ein Teil der bayerischen Gesangskultur damit verloren geht. Auch Karl Weindler, Präsident des Bayerischer Sängerbundes, findet es schade, dass das Singen in Freien häufig nicht zugelassen ist, denn vor allem in Städten wie München ist es nicht immer einfach, einen passenden Proberaum zu finden.

Was das Musizieren angeht, sind die Vorschriften in den Grünanlagen der Bayerischen Schlösserverwaltung (zu denen der Südteil des Englischen Gartens, der Hofgarten, der Finanzgarten und der Schlosspark Nymphenburg gehören) im Vergleich zu denen in den städtischen Anlagen wie West- und Ostpark um einiges strenger. Denn in den historischen Gärten ist nicht nur "das Betreiben gewerblicher Aktivitäten aller Art einschließlich Musizieren" verboten, sondern auch, so steht in der Verordnung, ist "jede Ruhestörung zu vermeiden".

In den städtischen Grünanlagen wie Ost- und Westpark ist immerhin "das nicht gewerbliche Musizieren im Regelfall zulässig", wie ein Sprecher des Kreisverwaltungsreferates auf Anfrage mitteilt. Denn: Musizieren sei "Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit" - solange das nicht nachts passiert und solange die Anwohner berücksichtigt werden. Es ist allerdings so, dass der Grat zwischen "nicht gewerblich" und "Veranstaltung", zwischen erlaubt und nicht erlaubt also, ziemlich schmal ist, sodass am Ende der Einzelfall entscheidend ist, wie der Sprecher hinweist.

In den historischen Gärten der Schlösserverwaltung scheint sich die Situation jedoch nun zu ändern. Wie eine Sprecherin der Schlösserverwaltung schriftlich mitteilt: "Mit Blick auf die massiven Einschränkungen aufgrund der Corona- Pandemie auch für Chorproben steht die Bayerische Schlösserverwaltung einer Nutzung für Übungen von Chören in dieser Sondersituation vorübergehend offen gegenüber". Das heißt: Chöre dürfen in Anlagen wie dem Englischen Garten, dem Hofgarten und den Maximiliansanlagen nun proben, Voraussetzung dafür sind eine Anmeldung bei der zuständigen Gartenverwaltung und die Einhaltung der notwendigen Abstände. Sollte es "zu Beeinträchtigungen anderer Parkbesucher kommen, muss in diesem Fall eine für alle Seiten gute Lösung gefunden werden", so die Sprecherin.

Im Fall Hana Katsenes kam dieses Umdenken der Schlösserverwaltung zu spät. Die restlichen drei Abende ihres einwöchigen Kurses hat die Dozentin im ersten Geschoss der Volkshochschule gehalten, mit offenen Türen und Fenstern. Für die ganze Dauer des Gesangkurses haben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen den Mund-Nase-Schutz getragen und Abstand gehalten. Nun dürfen immerhin andere Chöre im schönen Englischen Garten proben - und dabei hoffen, dass das Wetter noch solange wie möglich mitmacht.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2020/kafe
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