Coronavirus in München:Keimfreie Rolltreppen für den Marienplatz

Keimfreie Rolltreppen

Christian Hacker, Mitarbeiter von den Stadtwerken München, installiert an einer Rolltreppe im S- und U-Bahnhof Marienplatz UV-Lampen.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

UV-Strahlen sollen Coronaviren und andere Keime von den Handläufen der U-Bahn-Rolltreppen entfernen. Experten zweifeln an dessen Nutzen. MVG und Stadtwerke haben nun einen Test gestartet.

Von Britta Schultejans/dpa

In Corona-Zeiten kann jede Berührung eine zu viel sein. Wer hat den Öffner-Knopf an der U-Bahn-Tür vorher angefasst? Und wann hat der sich zum letzten Mal die Hände gewaschen? Es sind Fragen, die man sich häufiger stellt als früher. Dazu passt ein Test, den die Stadtwerke München (SWM) und die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) gestartet haben und der eine weitere potenzielle Virenschleuder in den Blick nimmt: die Rolltreppe. Unten im U-Bahnhof Marienplatz werden derzeit sechs Rolltreppen mit speziellen Geräten zur UV-Desinfektion ausgestattet. Die erste ist seit Freitag vergangener Woche in Betrieb. Ursprünglich war der Test schon um den Jahreswechsel herum geplant gewesen. Doch mit der pandemischen Ausbreitung des Coronavirus bekommt er nun eine ganz neue Relevanz.

Die Rolltreppen verbinden die Bahnsteige der U-Bahnlinien U3 und U6 mit dem Sperrengeschoss. Sie wurden nach MVG-Angaben für den Test ausgewählt, weil sie mit einer Steigung von 35 Grad vergleichsweise steil sind (normal sind 27,3 Grad) und dann auch noch besonders lang. Die Risiko für jemandem, der stürzt, weil er sich ekelt und nicht am Handlauf festhält, wäre also größer als andernorts im Münchner Untergrund.

Der Test ist auf mehrere Jahre angelegt, wie ein Sprecher der Stadtwerke sagt. Im Fokus stünden bei der Erprobung "insbesondere die Auswirkungen auf das Nutzerverhalten und das Material". SWM und MVG wollen beispielsweise wissen, ob die UV-Bestrahlung mehr Fahrgäste dazu veranlasst, sich an den Handläufen festzuhalten. Blaue Schilder weisen auf die laufende Desinfektion hin. Zum anderen soll geklärt werden, wie das Gummi der Handläufe auf die dauerhafte Bestrahlung mit UV-Licht reagiert.

"Die Wirksamkeit der Bestrahlung ist nicht primärer Bestandteil der Untersuchung", betont der Sprecher. "Diese wurde bereits in einem früheren Test des Herstellers von einem unabhängigen Labor bestätigt. Demnach sorgt die UV-Bestrahlung dafür, dass 99 Prozent der Keime beseitigt werden." Das Ganze funktioniert so: Die Module werden im Rücklauf der Rolltreppe, im verschlossenen Bereich, eingebaut und bestrahlen dort durchgehend den Handlauf mit UV-C-Licht. Das UV-C-Licht zerstört dann die DNA der Mikroorganismen. Der Handlauf soll so innerhalb von Sekunden weitgehend keimfrei sein.

Es gibt inzwischen verschiedene Anbieter, die UV-Desinfektion für Handläufe anbieten. Die Technik, die in München zum Einsatz kommt, stammt von dem Kölner Unternehmen Uvis. Die Gründerinnen Katharina Obladen und Tanja Zirnstein haben ihre inzwischen patentierte Technik noch zu Schulzeiten für einen Wirtschaftswettbewerb entwickelt - damals grassierte gerade die Schweinegrippe. "Wir haben uns gefragt, was die größten Infektionsquellen im öffentlichen Raum sind, und was wir dagegen unternehmen könnten", sagt Zirnstein. "Schnell sind wir auf die Handläufe der Rolltreppen gekommen. Sie ist nicht nur eine der größten Infektionsquellen, es ist auch gefährlich, wenn man sich nicht am Handlauf festhält, da es dann schnell zu Stürzen kommen kann."

Die Schweinegrippe brachte sie auf die Geschäftsidee, und jetzt ist es erneut ein Virus, das die Geschäfte voranbringt: Durch den neuen Erreger Sars-CoV-2 erlebt das Kölner Start-up derzeit einen regelrechten Boom. "Wir müssen niemandem mehr Argumente für mehr Hygiene liefern", sagt Obladen. "Das hat Corona für uns übernommen." Ihre UV-Technik wird beispielsweise schon am Hauptbahnhof in Düsseldorf, in den Münster-Arcaden, am Flughafen Zürich, in der Hamburger Europa-Passage eingesetzt - und nun eben auch am Marienplatz in München. Bald sollen noch ein Museum und eine bekannte deutsche Kulturstätte dazu kommen, deren Namen aber noch nicht verraten werden dürfen.

"Spanien ist ein sehr großer Markt", sagt Obladen. Die Infektionszahlen in dem Urlaubsland sind so hoch, dass die deutsche Bundesregierung es gerade erst zum Risikogebiet erklärte. "In Singapur haben wir eine Hotelkette als Großabnehmer", berichtet Obladen, und "in Australien wird es auch von den Verkehrsgesellschaften genutzt."

Keimfreie Rolltreppen

Die Stadtwerke und die Münchner Verkehrsgesellschaft untersuchen in einem Langzeittest die Desinfektion von Handläufen an Rolltreppen mit UV-Licht.

(Foto: dpa)

Ein generelles Patentrezept gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus ist das alles freilich nicht, wie das bayerische Landesamt für Gesundheit (LGL) auf Anfrage betont - vor allem, weil die Ansteckung mit dem Virus hauptsächlich über Tröpfcheninfektion oder Aerosole geschieht, kleine Partikel in der Luft, die das Virus tragen. Eine Ansteckung über Oberflächen spiele "eine untergeordnete Rolle".

Das Landesamt sieht es außerdem kritisch, dass die UV-Technik "lediglich punktuell eingesetzt" werde und kommt zu dem Schluss: "Die Installation von Handlaufdesinfektionsgeräten im öffentlichen Bereich stellt unter Berücksichtigung der Infektionswege keinen zielführenden Schutz dar." Studien darüber, wie verkeimt Rolltreppenhandläufe tatsächlich sind, seien nach Wissen des LGL bisher nicht veröffentlicht worden, heißt es. Dass UV-Strahlung durchaus wirksam gegen Viren sein kann, sei allerdings belegt, bestätigt das Landesamt. Ob eine Fläche wirklich erfolgreich desinfiziert werden könne, hänge aber nicht nur vom Typ des Keims ab, sondern auch vom "zu entkeimenden Material".

Eine Auswertung in Hamburg hat ergeben, dass zumindest das Sicherheitsgefühl der Nutzer von Rolltreppen mit UV-Desinfektion steigt. Nach Angaben des Phoenix-Centers, wo 2018 die wohl ersten keimfreien Rolltreppen in einem deutschen Shoppingcenter in Betrieb gingen, ergab eine Umfrage, dass 91 Prozent der befragten Kunden den Aufenthalt im Einkaufszentrum wegen der desinfizierten Handläufe als angenehmer empfanden als vorher. Auch das Sicherheits- und Sauberkeitsempfinden sei bei den Kunden gestiegen, betont die Firma Uvis. Das war freilich alles vor Corona.

Die beiden Kölnerinnen schmieden mit ihrem Start-up bereits Expansionspläne: Sie haben auch eine antimikrobielle Beschichtung für Oberflächen wie Türgriffe und Aufzugsknöpfe im Produktportfolio. Die Beschichtung wird unter anderem im öffentlichen Nahverkehr bei 100 Bussen der DB Regio eingesetzt. Das Landesamt für Gesundheit betont allerdings: "Sinnvoller ist es, nicht die Oberfläche zu behandeln, sondern sich an die AHA-Regeln zu halten" - also Abstand zu anderen Menschen zu halten, sich regelmäßig die Hände zu waschen und Alltagsmasken zu tragen.

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